Liebelei
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sie im Fluge auffängt, retiet und sich mit ihr triumphie¬
rend aus dem Staube macht, so kann kaum noch ein
Zweifel darüber obwalten, daß man auch den Tod des
inzwischen an einem Degenstich verblutenden Martin nicht
weiter tragisch zu nehmen braucht, wenngleich er dieses
Sterben mit tiefsinniger Rede begleitet: „Es ist bitter,
allein zu sterben, wenn man eine Viertelstunde vorher
noch geliebt, wohlhabend und der herrlichsten Hoffnungen
voll war.“ Der Tod des betrogenen Betrügers: Er verriet
die reizende Sophie, sein Herz gehörte einer anderen, der
er in die Arme eilen wollte. Und jählings eilte er dem
Tod in die Arme.
Ein für allemal: Wir lieben Spässe nicht, die sich um
das traurigste Ding im Leben, das Sterben, noch so witzig
ranken. Aber Schnitzler liebte ja dieses nahe Neben¬
einanderstellen spassiger Lebens- und Todesszenen und
bezog daraus wiederholt jene Kontraste, die in Wirklich¬
keit zwar schon manchmal bestehen, aber humoristisch
niemals sind. Freilich gab er diesem Humor immer einen
bitter mahnenden Unterton.
Eine Aufführung dieses Puppenspieles im Theater
ist ein nicht ungefährliches Wagnis. Der Regisseur Paul
Kalbeck findet den einzig möglichen Stil dafür. Er
gibt der Dichtung eine zarte Spieldosenmusik mit auf den
Weg und läßt sie „zwischen Trug und Wahrheit“ hin¬
gaukeln wie einen windgetriebenen Schmetterling. Die
drei Schauspieler, welche die Aufführung tragen, gehen
mit feinem Verständnisse auf diesen Ton ein, auf den
Ton der tragischen Groteske. Prachtvoll Herr Neu¬
gebauer als der breit bramarbasierende, brutal nach
seinem Glück greifende Cassian, von einer süß ver¬
träumten, dabei verderblich lockenden Anmut Fräulein
Czepa als Sophie. Hans Thimig aber, äußerlich
wie innerlich zunächst auf „Harlekin“ kostümiert, zahlt mit
ergreifender Wehmut die Zeche des ganzen Spasses.
Unbeschreiblich, wieviel Leid und Trauer doch im Antlitz
dieses „Komikers“ wohnt.
Dann folgte, als weitaus bedeutsamerer Teil des
Abends, das Schauspiel „Liebelei“, von unterschied¬
lichen Aufführungen des Burgtheaters und des Deutschen
Volkstheaters her bekannt. Schwerlich aber sah man es
je in einer so schönen, wie nun die des Josefstädter
Theaters ist (Regie Kalbeck). Oft erhobene Einwände
gegen das verspielt an der Oberfläche der Gefühle ver¬
weilende (erst zum Schlusse jäh und tödlich in die Tiefe
stoßende) Schauspiel mögen hier unterdrückt werden. Der
Vorübergang von vier Jahrzehnten hat bewirkt, daß selbst
Dinge, die damals auf kühne Weise neu schienen, heute
versöhnlichen Altersstaub tragen. Stark an diesem Schau¬
spiel ist immer noch seine wienerische Atmo häre, die
Zeichnung seiner Figuren. Was für ein echtpisierendes
Blut diese in sich haben, wird in so großer, erster Be¬
setzung doppelt offenbar. Da ist der alte Musiker Weyring
(ein Verwandter von Schillers Musikus Miller). An der
Burg svielte ihn als letzte seiner Rollen Girardi. Jetzt
stattet ihn Hugo Thimig mit einer unerhörten Fulle
menschlich echtester und theatralisch wirksamster Züge aus,
die Angst und der Schmerz des Vaters um sein leid¬
gefoltertes Kind sind atembeklemmend. Was verschlägt es,
daß der sächsische Tonfall dieses Künstlers sich in das
Wiener Stück nicht einfügen will? Hans Thimig
bringt für den jungen Fritz die zunächst nötige Leicht¬
lebigkeit und Unbekümmertheit nicht auf, um so schöner
und glaubhafter aber dann die Todesahnung, den schon
dem Jenseits verhafteten Blick. Den leichten Sinn der
jungen Wiener (von einst), das „Fesche“ dieser Lebe¬
jünglinge und Flaneure — der junge Herr Schnitzler
als Theodor bringt es vollender auf die Bühne. Fräulein
Czepa als Schlagermizzi: Vielleicht um eine Spur zu
nobel, zu wenig kuraschiert, zuviel gute Kinderstube be¬
weisend, aber freilich bezaubernd. Echteste Vorstadt in
Erscheinung, Sprache, Spiel: Frau Rosar als Strumpf¬
wirkersgattin Binder. Herr Hübner als fremder Herr
beschränkt sich weise darauf, keine andere Dämonie zu
spielen, als die des Schicksals. Wuchtigsten Akzent aber
erhielt der Abend durch Frl. Wessely, die Christine.
Zwei Akte lang scheue Verhaltenheit, mädchenhafte Karg¬
heit in Aeußerungen ihres Liebesgefühles. Dann aber, da
sie die Nachricht vom Tode des Geliebten erfährt, nein:
errät, da sie hört, daß er im Duell wegen einer anderen
Frau fiel, bricht Liebe und Schmerz zugleich in einem so
elementaren Aufschrei hervor, daß man überwältigt ist
von der grandiosen Wirklichkeitsnähe solcher Kunst.
Großer Beifall lohnte ihr, daß sie uns dieses Erlebnis
beschert hatte.
— Gusfun A.
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sie im Fluge auffängt, retiet und sich mit ihr triumphie¬
rend aus dem Staube macht, so kann kaum noch ein
Zweifel darüber obwalten, daß man auch den Tod des
inzwischen an einem Degenstich verblutenden Martin nicht
weiter tragisch zu nehmen braucht, wenngleich er dieses
Sterben mit tiefsinniger Rede begleitet: „Es ist bitter,
allein zu sterben, wenn man eine Viertelstunde vorher
noch geliebt, wohlhabend und der herrlichsten Hoffnungen
voll war.“ Der Tod des betrogenen Betrügers: Er verriet
die reizende Sophie, sein Herz gehörte einer anderen, der
er in die Arme eilen wollte. Und jählings eilte er dem
Tod in die Arme.
Ein für allemal: Wir lieben Spässe nicht, die sich um
das traurigste Ding im Leben, das Sterben, noch so witzig
ranken. Aber Schnitzler liebte ja dieses nahe Neben¬
einanderstellen spassiger Lebens- und Todesszenen und
bezog daraus wiederholt jene Kontraste, die in Wirklich¬
keit zwar schon manchmal bestehen, aber humoristisch
niemals sind. Freilich gab er diesem Humor immer einen
bitter mahnenden Unterton.
Eine Aufführung dieses Puppenspieles im Theater
ist ein nicht ungefährliches Wagnis. Der Regisseur Paul
Kalbeck findet den einzig möglichen Stil dafür. Er
gibt der Dichtung eine zarte Spieldosenmusik mit auf den
Weg und läßt sie „zwischen Trug und Wahrheit“ hin¬
gaukeln wie einen windgetriebenen Schmetterling. Die
drei Schauspieler, welche die Aufführung tragen, gehen
mit feinem Verständnisse auf diesen Ton ein, auf den
Ton der tragischen Groteske. Prachtvoll Herr Neu¬
gebauer als der breit bramarbasierende, brutal nach
seinem Glück greifende Cassian, von einer süß ver¬
träumten, dabei verderblich lockenden Anmut Fräulein
Czepa als Sophie. Hans Thimig aber, äußerlich
wie innerlich zunächst auf „Harlekin“ kostümiert, zahlt mit
ergreifender Wehmut die Zeche des ganzen Spasses.
Unbeschreiblich, wieviel Leid und Trauer doch im Antlitz
dieses „Komikers“ wohnt.
Dann folgte, als weitaus bedeutsamerer Teil des
Abends, das Schauspiel „Liebelei“, von unterschied¬
lichen Aufführungen des Burgtheaters und des Deutschen
Volkstheaters her bekannt. Schwerlich aber sah man es
je in einer so schönen, wie nun die des Josefstädter
Theaters ist (Regie Kalbeck). Oft erhobene Einwände
gegen das verspielt an der Oberfläche der Gefühle ver¬
weilende (erst zum Schlusse jäh und tödlich in die Tiefe
stoßende) Schauspiel mögen hier unterdrückt werden. Der
Vorübergang von vier Jahrzehnten hat bewirkt, daß selbst
Dinge, die damals auf kühne Weise neu schienen, heute
versöhnlichen Altersstaub tragen. Stark an diesem Schau¬
spiel ist immer noch seine wienerische Atmo häre, die
Zeichnung seiner Figuren. Was für ein echtpisierendes
Blut diese in sich haben, wird in so großer, erster Be¬
setzung doppelt offenbar. Da ist der alte Musiker Weyring
(ein Verwandter von Schillers Musikus Miller). An der
Burg svielte ihn als letzte seiner Rollen Girardi. Jetzt
stattet ihn Hugo Thimig mit einer unerhörten Fulle
menschlich echtester und theatralisch wirksamster Züge aus,
die Angst und der Schmerz des Vaters um sein leid¬
gefoltertes Kind sind atembeklemmend. Was verschlägt es,
daß der sächsische Tonfall dieses Künstlers sich in das
Wiener Stück nicht einfügen will? Hans Thimig
bringt für den jungen Fritz die zunächst nötige Leicht¬
lebigkeit und Unbekümmertheit nicht auf, um so schöner
und glaubhafter aber dann die Todesahnung, den schon
dem Jenseits verhafteten Blick. Den leichten Sinn der
jungen Wiener (von einst), das „Fesche“ dieser Lebe¬
jünglinge und Flaneure — der junge Herr Schnitzler
als Theodor bringt es vollender auf die Bühne. Fräulein
Czepa als Schlagermizzi: Vielleicht um eine Spur zu
nobel, zu wenig kuraschiert, zuviel gute Kinderstube be¬
weisend, aber freilich bezaubernd. Echteste Vorstadt in
Erscheinung, Sprache, Spiel: Frau Rosar als Strumpf¬
wirkersgattin Binder. Herr Hübner als fremder Herr
beschränkt sich weise darauf, keine andere Dämonie zu
spielen, als die des Schicksals. Wuchtigsten Akzent aber
erhielt der Abend durch Frl. Wessely, die Christine.
Zwei Akte lang scheue Verhaltenheit, mädchenhafte Karg¬
heit in Aeußerungen ihres Liebesgefühles. Dann aber, da
sie die Nachricht vom Tode des Geliebten erfährt, nein:
errät, da sie hört, daß er im Duell wegen einer anderen
Frau fiel, bricht Liebe und Schmerz zugleich in einem so
elementaren Aufschrei hervor, daß man überwältigt ist
von der grandiosen Wirklichkeitsnähe solcher Kunst.
Großer Beifall lohnte ihr, daß sie uns dieses Erlebnis
beschert hatte.
— Gusfun A.