I. Oesterr.
Liebelei
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OBSERVER peneret. konz.
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Buro für Zeitungsnachrichten
—
WIEN I, WSLLZEILE 11
5
Trosesseitunf, Wien
ATFEB 933
(Theater in der Josefstadt.) Ein Schnitzler¬
Abend, an dem man den Ausreißer Paula
Wesely ganz besonders herzlich zu Hause
begrüßte. Sie spielt die Christine in der noch
immer erschütternden, meisterlichen „Lie¬
belei“ so, wie sich Schnitzler wahrscheinlich in
seiner Dichterphantasie dieses unglücklich gefühl¬
volle Wiener Geschöpf erträumte. So echt, so
innig, o menschlich, so untheatralisch war, von
der Eandrock und Niese angefangen, noch
keine einzige Christine. Die Wessely ist wirklich
des zührende, schwerblütige Ding der Wiener¬
stadt anno 1890, die alles mit schwärmerischer
Opferfreude für das Glück ihrer ersten Liebe
hingibt und das Leben wegwirft, wie der über
alle Zweifel geliebte Mann für eine andere im
Duell sein Leben lassen muß. Im letzten Akt
wächst die Wessely ohne einen einzigen Theater¬
ton zu tragischer Größe. Neben ihr wirkt Hugo
Thimig als schwacher, rührender Vater Wey¬
ring, der die Kraft nicht aufbringt, sein geliebtes
Kind festzuhalten, durch Größe und Einfachheit
der Darstellungskunst überwältigend. Fräulein
Czeppa markiert sehr lustig das süße, gute
Mädel mit dem leichten Blut und mit dem
leichten Sinn. Aber sie spielt eben nur nettes
Theater. Ebenso tut es der fremde Herr des
Herrn Hübner, der zu dem jugendlichen,
lebensgenießerischen Nebenbuhler mit der
——
Strenge eines Offiziers die tragische Schuld ein¬
kassieren kommt. Eine gute Vorstadt=Type
zeichnet Frau Rosar. Hans Thimig, der Viel¬
seitige und sehr Begabte, bringt schon äußerlich
zu wenig für den Fritz Lobheimer mit, aber er
ist, wie in jedem Fall, sehr nobel in seiner schau¬
spielerischen Diskretion. Den guten, ehrlichen
Warner Theodor spielt der Sohn des Dichters,
Heinrich Schnitzler, elegant, geschmackvoll,
„OBSERVER
zum Schluß nur zu stark und auffällig im
I. österr. behördl. konzessicniertes
Trauerrand. — Vorher wurde das Puppenspiel
Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
vom „Tapferen Cassian“ das hinter der
Harlekinade viel melancholische Gedankenspielerei
WIEN, I., WOLLZEILE 11
versteckt, sehr anständig, aber ohne eigentliche
Wirkung mit Hans Thimig, Frl. Czeppa
TELEPHON R-23-0-43
und Herrn Neugebauer gespielt. Mit einem
Akt aus „Lebendigen Stunden“ wäre dem An¬
denken an Schnitler besser gedient gewesen. Paul.
Ausschnitt aus:
Kalbe#
Erpröbie sich weder als vornehmer
eir Hortung Wien
Regisseur von Geist. Paula Wessely soll man
sich jedenfalls nach ihrer „Sissy“ jetzt aber auch
als Christine Weyring anschauen.
22FEB.o
vom:
(gebauer graziös, beziehungsweise zerbrechlich=leicht,
beziehungsweise nußknacker=mächtig unwirklich=wirkliches
Theater und Kunst
Leben, als spielte sich alles in einer schimmernden, ach so
„Der tapfere Cassian“ — „Liebelei“
vergnüglichen Seifenblase ab.
Die „Liebelei“ hingegen ist wirklich: die reichen
Ein Marionettenspiel und eine Komödie in 3 Akten von
Jünglinge von ehedem, die auf heimlichen Wegen nach¬
Arthur Schnitzler
dem verführerischen Weib des anderen begehren und
Neueinstudiert im Josefstädtertheater
zwischendurch zum Zeitvertreib das kleine, süße Wiener
Obwohl wir zu den Allerletzten zählen, die nach Arthur
Mädel in die Arme nehmen. An diesen Dingen konnte
Schnitzler rufen, den wir gleich Heine als den „kranken
man so zwischendurch zugrunde gehen und zugrunde rich¬
Juden und den großen Dichter“ empfinden, einen Fremden ten. Kommt beides im Stücke vor. Der tändelnd gefangene
in feinstem Wiener Kulturgewand, dessen Dichtung nichts
Student fällt unter der rächenden Kugel des Ehemannes
und zieht ein gutes, verliebtes Mädchen mit in den Tod.
anderes ist als:
„Böser Dinge hübsche Formel,
An Stelle weicher Halbheit, die wir bei Schnitzler so sehr
Glatte Worte, bunte Bilder,
kennen, trägt „Liebelei“ ein Stück naturalistischer Größe in
sich. Wieviel davon an Schnitzler und wieviel an der Dar¬
Halbes, heimliches Empfinden,
stellung des töricht liebenden Mädchens durch Paula
Agonien, Episoden“,
so müssen wir doch gestehen, daß die gestrige Aufführung Wessely lag, läßt sich nicht sicher sagen. Ihr Spiel war
überhaupt kein Spiel mehr, sondern unmittelbares, un¬
des „tapferen Cassian“ und der „Liebelei uns ein Schock
bekümmertes Leben und Erleben, wie ich das noch nie
französischer Übersetzungen à la „Hühnerhof“ aufwiegt.
gesehen. War Vater Thimig rührend und ergreifend,
Der Schnitzlerabend gibt wohl mit das Beste aus dem kunst¬
[Fräulein Czepa bezwingende Vorstadtkoketterie,
reichen, aber innerlich gebrochenen Lebenswerk des vor
Hans Thimig in lässiger Haltlosigkeit eine echt schnitz¬
kurzem Verstorbenen. „Der tapfere Cassian“
lerisch=erotische Gestalt, Anni Rosar ein unverfälschtes
zaubert ein Marionettenspielchen von Liebesfreude und
Wiener Original, das es dick hinter den Ohren hat, Paula
Abschiedsleid, jäher Werbung und Liebestod zwischen Leben
Wessely durchbrach an diesem Abend die Schranken
und Puppenmärchenstil reizvoll auf die große Bühne.
Diesen Zwischengebilden, halb Gliederpuppe, halb Mensch, jeglichen Theaters und erschütterte uns durch ihr einfach
W. W.
gaben Fräulein Czepa, Hans Thimig und Neu=menschliches Dasein. Dank, herzlichen Dank!