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Liebelei
e e te e e ee
„OBSERVER“
I. österr. behördl. konzessioniertes
Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
WIEN, I., WOLLZEILE 11
TELEPHON R-23-0-43
Ausschnitt aus:
per Raucher, Vien,
Nr 6
vom:
Die Rückkehr Paula Wesselys ins Josefstüdter Theuter schenkie
dem Wiener Theaterpublikum den unvergeßlich erschütternden
Jund von elementarer Poesie durchleuchteten Abend der 2Liebeleie.
Eine Gedenkfeier für Arthur Schnitzler ohne kalendarischen Zwang,
aber im Sinn einer bis jetzt doch noch ausgebliebenen Erfüllung.
Das tragische Erlehnis heißt auch an diesem Abend Paula Fessely.
In Tränen der Liebe, des Hasses und der Demut gebadet. Mit
heroisch verzerrter Schönheitslinie. In monumentaler Verachtung
nicht nur des Kitsches, auch des Begriffs: Süßes Mädl. Unheimliche
Erinnerung: So schrie Kriembild auf an Siegfrieds Bahre. So brach
die Wolter los: Grell und gellend, entflammt und Hammend,
schmerz- und schamgepeitscht. Eine große Schauspielerin? Mehr:
Eine große Frau! Sie spielt Schnitzler, fast in Striedberg-Nähe, ge¬
sund, blutsverhunden sinneswarm. Mit elementa n Weibestönen.
mit kindlich einsamem Mädchenlächeln, als ein Geschöpf Golles
und ihrer Rasse: Einmalig, unumstößlich, in ihrer Hingabe wie in
ihrem Gefühlsurteil unerbittlich, wie es Wind, Wetter und Wiesen¬
hauch sind Ihr Doppelruf: „Wo ist er? Wo ist er?e zählt zu
den größten deutschen Bühneneindrücken, zu den einmaligen, un¬
umstößlichen, unerbittlichen. Ihr wild zerrissener Schmerzensmund
verdrängt eine Legion süß dahinsehmelzender Christinen. Ihr
Sturz ins Unabschbare, jäh, taumelnd, verflackernd, läßt die Bühne
leer, todesleer
Ihre Rückkehr hat die Josefstadt mit einem Schnitzler-Abend ge¬
feiert, der mensci lich feinere Resonanz hatte als technisch. Er hul
mit dem Puppen-Schattenspiel des Tapferen Cassiung ein wenig
unsicher an. Die Groteske wie die Dämonie dieser Kapriole der
Wehmut und des Wirklichkeitswahns fehlte. Der Regisseur Paul
Kalbeck fand sich atmosphärisch menschlich, seelisch erst in der
Flüsterelegie der PLiebeleis. Mit großer, sanfter, strömender Musik
des Schweigens. Mit seinem zärtlichen Genie unentrinnbarer Zu¬
rückhaltung. Hier wird die schauspielerische Brillanz von Friedl
Czepa bestritten. Ihre Schlager-Mizzi, hold-raffiniert bis in die win¬
zigste mutterwitzige Pointe, rückt sie an die vorderste Josefstädter
Front. Dieses Quecksilbergeschopfehen sprüht gepfefferte Anmut.
berechnendsten Ubermut und den Mädehenreiz der verführerische¬
sten Vorstädte der Erde. Der Fritz Huns Thimigs scheint eine Edel¬
Notbesetzung. Mit Verzicht auf die gewisse romantisch Mirtmüde
Blasiertheit. Aber von einer spröden Innigkeit, die ans Herz greift.
Als Theodor ist Heinrich Schnitzler, des Dichters Sohn, keineswegs
überschäumend von entsprechend kontrastierender Laune. Aber er
hat einen Gefühlzton der Konversation, der die gute Kinderstube
einer Seele verrät. Der Weyring Hugo Thimigs eine saftige Leistung,
aber mit unverhohlenen Musikus-Miller-Tönen. Ohne alle Wiener¬
wald-Resignation.
Gewaltiger Eindruck, daß Sehnitzler überzeugender lebt denn
je. Daß seine Jugend verräterische Schatten mitten in unsere selbst¬
bewußte Sexualemanzipation wirkt. Daß dieses Biedermeier der
Erotik groß und glühend aufleuchtet, wortkarg, zermalmend, lebens¬
wahr wie ch und je .. Ein liefes Stück, diese PLiebeleis, ein
schlummerstilles Stück Liebesbitternis. Ein Theaterstück ohne¬
gleichen. Ein Evangelium launig-verzweifelter Abschiedsbereitschaft.
Ein Puppenspiel des Todes-Eros. Heurigenmusik des Unterganges
und der Erlösung durch eine Mädchenträne. Diesmal: Der Be¬
schämung durch einen Mädehenschrei.
Veraltet? Dann würde Paula Wesselg nicht leben. Sie selbst ist
Christine, das Mädchen mit dem irrend sicheren Herzen und dem
schonungslos wehen und wahrhaften Liebesmund. Es ist ihr Ab¬
schied von allem, was diesen Zauberspielplan niedlich stören
könnte. Die große tragische Schauspielerin der Wiener Bühne hat
den Boudoirflitter abgestreift. Ein Menschenantlitz, beispiellos,
glüht auf.
I. Oesterr.
UBSERGEK behsräl. kenz.
Büro für Zeitungsnachrichten
WIEN I, WOLLZEILE.1
Mein Film, Wien:
K84
Schaubühne
Theater in der Josefstadt
Stimmungsvolle Arthur-Schnitz
1er-Feier: Aufführung der „Liebelei“,
Zuvor: „Der tapfere Kassian“. Ein
Dichter-Abend der Würde und der
reinen, hohen Kunst. Schnitzlers Schau¬
spiel „Liebelei“ dessen Zeitlosigkeit und
ewige Gültigkeit man nun erst so recht
erkennt, ist eines der Meisterwerke
Mramatischer Literatur, Und eines der
gedanklich und scelisch vertieftesten
Theaterstücke. Die stille Versonnenheit
und der feine Humor Schnitzlerschen
Wesens offenbaren sich in der „Liebelei“
vielleicht am deutlichsten, so wie die
sichere Hand des Dramatikers fühlbar
wird. Im Theater in der Joséf¬
stadt inszenierte Paul Kalbeck
liebevoll und mit Geist sowohl „Liebelei“
als auch die nachdenklich-spielerische
Tragikomödie „Der tapfere Kassian“
Fernab vom Traditionellen und vom
Klischee erschafft die wunderbare Paula
Wessely eine Christine, wie sie in¬
niger und menschlicher der Dichter
selbst sie sich kaum denken konnte.
Hans Thimig, in einem Rollenfach,
das im Grunde nicht das seinige ist,
hat als Fritz Momente von starker Wir¬
kung. Friedl Czepa ist eine pracht¬
volle, amüsante, urwüchsige Schlager¬
Mizzi und Heinrich Schnitzler, des
Dichters Sohn, ein kultivierter verinner¬
lichter Theodor, Hugo Thimig spielt
den alten Weyring vom Herzen her und
Annie Rosar mit blendender Charak¬
teristik die Frau Weber. Im „Tapferen
Kassian“ bildet das Trio Friedl Czepa¬
Hans Thimig-Alfred Neugebauer eine
erstklassige Besetzung. Das Publikum
ehrte den Dichter und sich selbst, in¬
dem es den Aufführungen nicht enden¬
wollenden Beifall spendete!
Liebelei
e e te e e ee
„OBSERVER“
I. österr. behördl. konzessioniertes
Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
WIEN, I., WOLLZEILE 11
TELEPHON R-23-0-43
Ausschnitt aus:
per Raucher, Vien,
Nr 6
vom:
Die Rückkehr Paula Wesselys ins Josefstüdter Theuter schenkie
dem Wiener Theaterpublikum den unvergeßlich erschütternden
Jund von elementarer Poesie durchleuchteten Abend der 2Liebeleie.
Eine Gedenkfeier für Arthur Schnitzler ohne kalendarischen Zwang,
aber im Sinn einer bis jetzt doch noch ausgebliebenen Erfüllung.
Das tragische Erlehnis heißt auch an diesem Abend Paula Fessely.
In Tränen der Liebe, des Hasses und der Demut gebadet. Mit
heroisch verzerrter Schönheitslinie. In monumentaler Verachtung
nicht nur des Kitsches, auch des Begriffs: Süßes Mädl. Unheimliche
Erinnerung: So schrie Kriembild auf an Siegfrieds Bahre. So brach
die Wolter los: Grell und gellend, entflammt und Hammend,
schmerz- und schamgepeitscht. Eine große Schauspielerin? Mehr:
Eine große Frau! Sie spielt Schnitzler, fast in Striedberg-Nähe, ge¬
sund, blutsverhunden sinneswarm. Mit elementa n Weibestönen.
mit kindlich einsamem Mädchenlächeln, als ein Geschöpf Golles
und ihrer Rasse: Einmalig, unumstößlich, in ihrer Hingabe wie in
ihrem Gefühlsurteil unerbittlich, wie es Wind, Wetter und Wiesen¬
hauch sind Ihr Doppelruf: „Wo ist er? Wo ist er?e zählt zu
den größten deutschen Bühneneindrücken, zu den einmaligen, un¬
umstößlichen, unerbittlichen. Ihr wild zerrissener Schmerzensmund
verdrängt eine Legion süß dahinsehmelzender Christinen. Ihr
Sturz ins Unabschbare, jäh, taumelnd, verflackernd, läßt die Bühne
leer, todesleer
Ihre Rückkehr hat die Josefstadt mit einem Schnitzler-Abend ge¬
feiert, der mensci lich feinere Resonanz hatte als technisch. Er hul
mit dem Puppen-Schattenspiel des Tapferen Cassiung ein wenig
unsicher an. Die Groteske wie die Dämonie dieser Kapriole der
Wehmut und des Wirklichkeitswahns fehlte. Der Regisseur Paul
Kalbeck fand sich atmosphärisch menschlich, seelisch erst in der
Flüsterelegie der PLiebeleis. Mit großer, sanfter, strömender Musik
des Schweigens. Mit seinem zärtlichen Genie unentrinnbarer Zu¬
rückhaltung. Hier wird die schauspielerische Brillanz von Friedl
Czepa bestritten. Ihre Schlager-Mizzi, hold-raffiniert bis in die win¬
zigste mutterwitzige Pointe, rückt sie an die vorderste Josefstädter
Front. Dieses Quecksilbergeschopfehen sprüht gepfefferte Anmut.
berechnendsten Ubermut und den Mädehenreiz der verführerische¬
sten Vorstädte der Erde. Der Fritz Huns Thimigs scheint eine Edel¬
Notbesetzung. Mit Verzicht auf die gewisse romantisch Mirtmüde
Blasiertheit. Aber von einer spröden Innigkeit, die ans Herz greift.
Als Theodor ist Heinrich Schnitzler, des Dichters Sohn, keineswegs
überschäumend von entsprechend kontrastierender Laune. Aber er
hat einen Gefühlzton der Konversation, der die gute Kinderstube
einer Seele verrät. Der Weyring Hugo Thimigs eine saftige Leistung,
aber mit unverhohlenen Musikus-Miller-Tönen. Ohne alle Wiener¬
wald-Resignation.
Gewaltiger Eindruck, daß Sehnitzler überzeugender lebt denn
je. Daß seine Jugend verräterische Schatten mitten in unsere selbst¬
bewußte Sexualemanzipation wirkt. Daß dieses Biedermeier der
Erotik groß und glühend aufleuchtet, wortkarg, zermalmend, lebens¬
wahr wie ch und je .. Ein liefes Stück, diese PLiebeleis, ein
schlummerstilles Stück Liebesbitternis. Ein Theaterstück ohne¬
gleichen. Ein Evangelium launig-verzweifelter Abschiedsbereitschaft.
Ein Puppenspiel des Todes-Eros. Heurigenmusik des Unterganges
und der Erlösung durch eine Mädchenträne. Diesmal: Der Be¬
schämung durch einen Mädehenschrei.
Veraltet? Dann würde Paula Wesselg nicht leben. Sie selbst ist
Christine, das Mädchen mit dem irrend sicheren Herzen und dem
schonungslos wehen und wahrhaften Liebesmund. Es ist ihr Ab¬
schied von allem, was diesen Zauberspielplan niedlich stören
könnte. Die große tragische Schauspielerin der Wiener Bühne hat
den Boudoirflitter abgestreift. Ein Menschenantlitz, beispiellos,
glüht auf.
I. Oesterr.
UBSERGEK behsräl. kenz.
Büro für Zeitungsnachrichten
WIEN I, WOLLZEILE.1
Mein Film, Wien:
K84
Schaubühne
Theater in der Josefstadt
Stimmungsvolle Arthur-Schnitz
1er-Feier: Aufführung der „Liebelei“,
Zuvor: „Der tapfere Kassian“. Ein
Dichter-Abend der Würde und der
reinen, hohen Kunst. Schnitzlers Schau¬
spiel „Liebelei“ dessen Zeitlosigkeit und
ewige Gültigkeit man nun erst so recht
erkennt, ist eines der Meisterwerke
Mramatischer Literatur, Und eines der
gedanklich und scelisch vertieftesten
Theaterstücke. Die stille Versonnenheit
und der feine Humor Schnitzlerschen
Wesens offenbaren sich in der „Liebelei“
vielleicht am deutlichsten, so wie die
sichere Hand des Dramatikers fühlbar
wird. Im Theater in der Joséf¬
stadt inszenierte Paul Kalbeck
liebevoll und mit Geist sowohl „Liebelei“
als auch die nachdenklich-spielerische
Tragikomödie „Der tapfere Kassian“
Fernab vom Traditionellen und vom
Klischee erschafft die wunderbare Paula
Wessely eine Christine, wie sie in¬
niger und menschlicher der Dichter
selbst sie sich kaum denken konnte.
Hans Thimig, in einem Rollenfach,
das im Grunde nicht das seinige ist,
hat als Fritz Momente von starker Wir¬
kung. Friedl Czepa ist eine pracht¬
volle, amüsante, urwüchsige Schlager¬
Mizzi und Heinrich Schnitzler, des
Dichters Sohn, ein kultivierter verinner¬
lichter Theodor, Hugo Thimig spielt
den alten Weyring vom Herzen her und
Annie Rosar mit blendender Charak¬
teristik die Frau Weber. Im „Tapferen
Kassian“ bildet das Trio Friedl Czepa¬
Hans Thimig-Alfred Neugebauer eine
erstklassige Besetzung. Das Publikum
ehrte den Dichter und sich selbst, in¬
dem es den Aufführungen nicht enden¬
wollenden Beifall spendete!