II, Theaterstücke 5, Liebelei. Schauspiel in drei Akten, Seite 1807



Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
Liebelei
WIEN, I., WOLLZEILE 11
box 13/4
S. 1. —
TELEPHON R-23-0-43
Ausschnitt aus:
Die Böhne, Wien
vom:
356
NGINNDER EINEA
WIENER
LIEBNE GESCHICHTE
„HEDLELIWARIS
VON J. KESSEL
Joseph Kessel, einer der auch dem deutschen Lese¬
publikum sehr bekannten französischen Romanciers, äußerte 1
sich über den Film „Liebelei“:
Unsere Nerven packen, unser Blut erregen, — das vermögen
doch viel besser Gangster-Verherrlichungen, die Aufregungen der
Eine diese Bilder durchpulsende Genialität, die starke Bewegung
Doppelexistenz eines Dr. Jeckyll und Mister Hyde, eine Drei¬
in ihnen, der Reichtum bildhafter und tönender Einfälle, das alles
groschenoper oder die klirrenden Ketten eines amerikanischer.
bewirkt, daß man sich viele Einzelheiten des ausgezeichneten
Gefängnisses.
Films „Liebelei“ gar nicht recht zu merken vermag. Gleichzeitig
Aber „Liebelei“?
jedoch hat er mit einer ganz außerordentlichen Wirkungs¬
Der Erfolg ist gleich von den ersten Szenen an entschieden.
kraft gepackt.
Menschen und Milieu erobern sofort den Zuschauer. Sie kommen
Es scheint unvorstellbar, daß jene Wesen, die auf der Leinwand
ihm entgegen und er läßt sich willig gefangennehmen. Dieses
erscheinen und eine ganz einfache, ganz menschliche Handlung
wundersame Ineinandergleiten führt zum Traum, der allein das
agieren, tatsächlich Schauspieler sind, also Männer und Frauen, die
Recht der Wirklichkeit hat.
eigens für den Zweck dieses Spieles zusammengeholt, geschminkt#
Bis zu diesem entscheidenden Augenblick folgt man bewundernd
und kostümiert worden sind. Sie stehen sc stark und so natürlich
der großen Feinheit des Könnens, der Gestaltungskraft und des
da, sie vertiefen sich so echt in ihre Gefühle, sie gleiten mit so
Geschmacks eines unsichtbaren Meisters. Er spielt großartig auf
überzeugender Selbstverständlichkeit von ausgelassener Lustigkeit
dem Instrument menschlicher Natur, er weiß jede seiner Saiten
zu tiefem Leid, von innigster Zärtlichkeit in den Tod — kurz: ihre
zum vollen Erklingen zu bringen. Man bewundert auch noch das
Exiatenz ist so wirklichkeitsnah, daß man gar nicht daran glauben
Leuchten der Bilder, die Wahl der Gesichter, die Geschicklichkeit,
möchte, sie könnten anders heißen wie im Film, ihr Lachen sei
sie zu verwenden. Man denkt dabei an die schen so fern gewor¬
anders als sonst, ihre eigenen Sorgen und Schmerzen seien andere
dene Romantik der Gedichte von Lermontoff, an die tiefe Melan¬
wie die, die sie uns vorspielen.
cholie seiner Gesänge.
Und doch: kaum gab es je eine schwerer zu lösende Aufgabe.
Aber bald wird die Tätigkeit des kritischen Verstandes müd
Dieser völligen Erfülltheit, dieser halluzinatorischen Sicherheit im
Erfassen des Milieus — schon schwierig bei Werken, die uns in¬
langsam ein alles einhüllender und verschleiernder Vorhang. Ubrig
haltlich und zeitlich viel vertrauter sind — standen die großen
bleibt nur: die Jugend der beiden Leutnants, der schicksalumwit¬
Schwierigkeiten einer fremden Umgebung, ungewohnter Sitten,
terte Blick des Barons, das leise vom Tode gezeichnete Gesicht
einer ganz anderen Denkungsart, mit der uns Heutige kein gemein¬
des Fritz und die reinen, süßen, begehrenden Lippen der Chri¬
sames Band mehr verbindet, entgegen. Diese österreichischen Vor¬
stine. Und wenn der Schlitten auf der Fahrt durch verschneite
kriegsoffiziere, diese ganz altmodisch gewordenen Liebschaften,
Landschaft vorüberkommt, dann wird in uns das beste und schmerz¬
diese entschwundenen Aristokraten, dieses Duell, dieses an Leiden¬
lichste Gefühl, das jeder in der Brust hat, lebendig.
schaft zugrunde gehende Mädchen, diese Unschuld mit der Forde¬
Ich habe erst später erfahren, daß Max Ophüls der Regisseur
rung ewiger Liebe — wie hätte uns das alles je anders inter¬
ist, daß Fritz im gewöhnlichen Leben Wolfgang Liebeneiner heißt
essieren können, wie höchstens als entzückende, sicher sehr kunst¬
und seine Braut Magda Schneider. Ich will ihnen und allen an¬
volle Bilder, aber doch Bilder einer für immer vergangenen Zeit?
deren für ihre wunderbaren Leistungen nur einen kurzen Augen¬
blick Dank sagen.
Wie konnte diese naive Geschichte direkt den Weg zu unserem
gefühl finden, zu unseren durch die heutige Zeit abgenützten,
Ist es denn nicht das beste Lob, das man ihnen zollen kann,
blasierten Empfindungen?
sie über „Liebelei“ zu vergessen?
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