II, Theaterstücke 5, Liebelei. Schauspiel in drei Akten, Seite 2033

GRATIS
Neue Freie Presse reruen
7. Desember 1933
Der Mann mit den 200 Filmen.
Von Haus Winge.
„Der Erzherzog Leopold Salvator war so liebenswürdig, Atelier eine der größten und modernsten Aufnahmehallen
Europas.
für unsere Freiaufnahmen sein Sch'oß zur Verfügung zu
stellen. Es war im Krieg und ich drehte zusammen mit meiner
Die Statistin Lilian Harvey.
Frau den Film „Zigeunerliebe““ erzählt Regisseur Fleck,
Inzwischen wird fleißig gedreht. Als erste verfilmen sie
„wir wohnten also auch auf dem Schloß und wurden auf das
Volksstücke und Operetten, als erste Stoffe von Anzen¬
freigebigste bewirtet. Da wir uns auf irgendeine Weise für
gruber und Ganghofer. Sie entdecken Liane Haid, Max
die herzliche Gastfreundschaft erkenntlich zeigen wollten,
Neufeld, Evelyn Holt, Ivan Petrovich. Liian Harvey statiert
fragten wir die Erzherzogin, ob nicht auch wir ihr einen
bei ihnen in „Frühlings Erwachen“. Sie drehen „Trilby“.
Gefallen tun könnten. Zuerst war sie etwas verlegen, aber
mit Ferdinand Bonn und der Galafrés. Sie zeigen den
dann dat sie, wir möchten doch ihre Kinder mitspielen lassen.
ersten repräsentativen Wienfilm „Johann Strauß an
Nichts war uns lieber als das, denn wir brauchten ohnedies
der schönen blauen Donau“, in dem unter der
eine größere Anzahl von Zigeunerkindern und hatten bisher
Führung der Fürstin Pauline Metternich
nicht genügend echte gefunden, so daß uns diese Komplettie¬
nicht mm die Damen und Herren der ersten Wiener Gesell¬
rung nur willkommen sein konnte.
schaft zu sehen sind, sondern auch Selma Kurz, Alfred
Wir ließen also die erzherzoglichen Kinder
Grünfeld, Luise Kartousch, Mizzi Günther. Josef
vom Friseur in Zigeuner verwandeln, was dem
König, Oskar Sachs und alle Größen der Wiener
ehrgeizigen Mann derartig gut gelang, daß wir nachher
Operette, die damals den Gipfel des Weltruhmes erreicht hat.
außerstande waren, die echten Zigeunerkinder von den
Es sind noch goldene Zeiten. Schon vor Ausbruch des
falschen zu unterscheiden. Auf jeden Fall sprach ich jetzt jedes
Welthrieges zeigen die Flecks ihren hundertsten Film, „Die
der Kinder mit „kaiserliche Hoheit“ an.
Jüdin, nach der Oper von Halévy, und die bereits damals
Wir hatten nun eine kleine Szene zu drehen, in der ein
gefeierte Liane Haid spielt die Titelrolle. Noch
Zigeunerknabe einem Herrn eine Tabatiere stiehlt. Ich suchte
führt man in den Kinos mit einem einzigen Apparat vor und
mir also aus der Kindergruppe einen besonders typisch aus¬
nach jedem Akt erscheint der Titel „Wiener Kunst¬
sehenden Zigeuner aus und erklärte ihm umständlich, was
film. Eine Minute Pause zur Vorbereitung
er zu tun habe. Der Junge war klug und hatte bald begriffen.
des nächsten Aktes.“
Nach wenigen Minuten konnte er schon stehlen wie ein Rabe.
Der 150. Film kommt „erst“ 1924 zustande,
Ich freute mich über die Schnelligkeit seiner Auffassung
„Lumpazivagabundus“ mit der Haid und der
und wollte schon mit der Aufnahme beginnen, als mich die
Zwerenz, mit Josef König und Oskar Sachs.
Erzherzogin zu sich bitten ließ. „Das freut mich ja sehr, Herr
Sieben Jahre Berlin.
Fleck, daß Sie mit dem Kleinen so zufrieden sind. Ich möchte
Sie aber schon bitten, daß Sie es vielleicht doch mit einem
Welch ungeheures Arbeitspensum wurde hier geleistet.
anderen Kind versuchen. Gerade stehlen — daswird
Mag auch das künstlerische Niveau dieser Filme oft anfechtbar
der Großpapa nicht gerne sehen.“
gewesen sein, so kann doch kein Zweifel darüber bestehen,
Ich hatte natürlich eines der erzherzoglichen Kinder
daß der Humus dieser ausgedehnten Produktion notwendig
erwischt und sein Großpapa, der es nicht gern stehlen sah, war
und segensreich für spätere, bessere Filme geworden ist, daß
der Kaiser von Oesterreich.“
erst die Arbeit der Flecks überhaupt dem Film in Oesterreich
Stundenlang kann Herr Fleck aus seiner fünfund¬
Boden gewinnen half.
zwanzigjährigen Filmtätigkeit erzählen. Er ist der wahr¬
Inzwischen sind sie in Branchekreisen weit über die
scheinlich einzige Regisseur der Welt, der
Grenzen hinaus bekanntgeworden. 1925 werden sie nach
jetzt seinen zweihundertsten abendfüllenden
Berlin geholt, wo sie in sieben Jahren das erstaunliche
Film inszeniert. Das Ehepaar Fleck nimmt in der
Quantum von achtundvierzig Filmen drehen. Auch in Preußen
Geschichte des österreichischen Films die Sonderstellung von
verleugnen sie nicht die Tradition, aus der sie die ewige Volks¬
Pionieren ein.
tümlichkeit ihrer Wirkungen schöpfen. Ihr erster Film dort
Der erste österreichische Film: „Der Müller
ist der „Pfarrer von Kirchfeld“ mit Wilhelm
Dieterle und Fritz Kampers. Der zweite „Liebelei“ von
und sein Kind.“
Schnitzler. In der ersten Verfilmung dieses Stoffes durch die
Zuerst Maler, trieb es Fleck später, sich als Schauspieler
Dänen spreite Waldemar Psylander eine seiner letzten Rollen.
zu versuchen und als solcher war er an mehreren Provinz¬
Die zweite Version in Berlin findet die besondere An¬
bühnen tätig. Bald aber kehrte er zur bildenden Kunst
erkennung des Dichters, der er in einer bezau¬
zurück, malte Vergrößerungen, experimentierte mit der
bernden Widmung an die Flecks Ausdruck verleiht.
künstlerischen Photographie und bastelt 1908 bereits an einer
selbstgebauten Filmkamera. Schon in Gemeinschaft mit seiner
Heimkehr nach Wien.
tüchtigen Gatten Luise inszeniert er den ersten öster¬
Der 199. Film wird wieder in der Heimat gedreht.
reichischen Film „Der Müller und sein
„Unser Kaiser“ ist ohne eine einzige Atelier¬
Kind“ Natürlich legt er auch Hand an die Kamerakurbel,
aufnahme hergestellt. Die Interieurs sind alle an Ort
entwickelt und kopiert den 600 Meter langen Film selbst.
und Stelle aufgenommen, was außergewöhnliche Mühe und
Zwei Tage haben die Aufnahmen gedauert und sind durch¬
Sorgfalt erforderte, um die im nicht zweckgebauten Raum
wegs im Freien gemacht. So etwas wie ein Atelier kannte
immer wieder entstehenden störenden Reflexe und Schlag¬
man damals noch nicht. Der „Riesen=Monster¬
schatten auszuleuchten. Ueberhaupt ist die Materialverbunden¬
Galafilm“ machte natürlich ungeheure Sensation.
heit der Flecks ihre Stärke. Als alter Photograph kann er
Aber die Flecks ruhten deshalb nicht. Bald drehen sie
sofort jeder kamera= und beleuchtungstechnischen Schwierigkeit
in einem Zimmer in der Wipplingerstraße den ersten
begegnen. Seine Frau schneidet alle Filme allein und hat
Tonfilm mit Schallplattenbegleitung. Es
dadurch ein stupendes Szenenzeitgefühl gewonnen. Diese tech¬
ist der „Wulzertraum“ in der Originalbesetzung der
nische Versiertheit macht ihnen gleichzeitig ein Erstarren in
Uraufführung, mit Mizzi Zwerenz und Fritz Werner.
Konventionen unmöglich und hält die Freude am Experiment
Ein anstelliger Volontär, Graf Kolowrat...
wach.
Die Kammer neben dem „Atelier“ ist das Laboratorium,
Fünfundzwanzig Jahre Regiearbeit, 200 österreichische
in dem das Ehepaar alle chemisch=technischen Arbeiten selbst
Filme — respektate Daten, die in der jungen Geschichte der
ausführt und sich bald einen anstelligen Volontär nehmen
Kinematographie ihren Ehrenplatz verdienen. Die unermüd¬
muß. Er heißt Graf Kolowrat und wird einmal später
liche Betriebsamkeit des Künstlerpaares läßt einen Wunsch