II, Theaterstücke 4, (Anatol, 0), Anatol, Seite 21

Anat
4.
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ALLGEMEINE KUNST-CHRONIK.
61.
legenheit; ich kann das ganze Buch mit bestem Gewissen
Unsres Fühlens heut und gestern,
Böser Dinge hübsche Formel,
empfehlen.
N.
Glatte Worte, bunte Bilder,
„Mutter!“ Roman von Heinz Tovote. (Berlin,
Halbes, heimliches Empfinden,
F. Fontaue & Co.) Nicht der neueste Roman Tovote’s und
Agonien, Episoden
auch nicht sein, bester, Geschrieben ist „Mutter“ bereits
Manche hören zu, nicht alle
Manche träumen, manche lachen,
vor drei Jahren; so, liegt er zeitlich vor dem „Ljebes¬
Manche essen Eis und manche
rausch“ und dem „Frühlingssturm“, in denen einige Per¬
Sprechen sehr galante Dinge
sonen aus der „Mutter“ wieder aufgenommen, werden. Ein
Kritisch, hann ich mich in solche Stimmung wol versetzen,
vierter Roman, „Das. Ende vom Liede“, soll diese ganze
und menschlich vermag ich sie zu begreifen, zu Zeiten
Reihe Berliner Liebesromane zu Ende führen; dann will
auch zu theilen: sie ist ja so bequem, wie jedes Gehen¬
Tovote zeigen, dass er auch andera. Stoffe, heherrscht. Dies
lassen und Gleiten, immer bequem ist. Aber es gibt
alles erfahren wir aus dem, langen, Vorwort, mit dem Tovote,
Stunden, da man sich mit größeren Absichten und ziel-.
nach seiner schlechten Gewohnheit, auch dieses Buch ein¬
bewusstem, Widerstand hinwegtäuschen möchte über die
leitet. Welche Berechtigung hat,, ein, Vorwort bei einem
Roman? Ungefähr die gleiche wie eine lange gedruckte
eigene Schwäche, und für diese Stunden, wüsste ich keinen
schlechteren, keinen unsympathischeren Begleiter als.
Einführung bei einem Bilde. Entweder ist, es überflüssig,
Schnitzler’s „Anatol“. Und noch etwas liegt in ihm, was.
oder es zeigt einen Fehler des. Buches an. Ein Kunstwerk
ihm ein größeres Publikum immer fernehalten wird: etwas
braucht keine Einleitung, keine Erläuterung, keine capfatio
benevolenkar; an sich muss es verstanden werden, sonst
Negatives. Es fehlt ihm jene Brutalität und Deutlichkeit,
war des. Künstlers Liebesmüh verloren. Bei Tovotc's,
die ein Künstler immer nöthig hat, wenn er wirken will,
jener Hochdruck, den er seinen Gedanken und Empfindungen.
Romanen sind die Vorworte auch immer zu entbehren.
verleihen muss, sobald sie sich von seiner Seele loslösen,
Unsere jungen Schriftsteller lieben es, ihrem künftigen
un 1 der allein sie der Offentlichkeit begreiflich und an¬
Biographen vorzuarbeiten. Und niemals noch ist der Unfug,
nehmbar macht. Die meisten Bücher, in denen feine Dinge.
die unbedentendsten Mitlebenden biographisch zu. behandeln,
auf feine Art gesagt werden, sind zuerst für den Ver¬
zu solcher Ausdehnung gedichen, wie geradle heute. Diese
fassen geschrieben, dann für einen beschränkten Kreis.
Anmerkung wan nöthig; kürzer kann ich mich über das
bekannter oder, durch Anlage und Erfahrungen, ver¬
Buch, selbst fassen. Ein, junger Mann, der eig, junges
Mädchen zärtlich liebt, entdeckt, dass ihr Vater in. Wirk¬
wandter Personen und exst in dritter Linie, nach einem
langen Zwischenraum, auch für ein entfernteres Publikum.
lichkeit auch sein Vater, der Geliebte seiner angebeteten
Mutter ist. Die moderne Art, das kleinste Gefühl gleich
So zarte Regungen und Triebe, wie Schnitzler sie schildert,
auf ein Dutzend Seiten hinaus auseinander zu zerren,
verstehen nur einzelne allein die Freunde, denen man
besonders wenn dies so wahl- und ziellos geschicht wie
einen Ton ganz leise nur anzuschlagen braucht. und
bei Tovote, ist nicht nur ermüdend, sondern gibt auch
sofort exwacht in ihrer Erinnerung eine gemeinsame
kein rechtes Gesammtbild. Auch Tovote’s Methode, zu
Stimmung, ein gemeinsames Gefühl, alt und vergessen
arbeiten, die wir aus seinem eigenen Geständnis (vgl. Ein¬
durch lange Jahre. Sie sind für Menschen, die, selbst
leitung zum „Frühlingssturm“) kennzu, mag daran Mit¬
Künstler, ähnliche Empfindungen aus eigenster Erfahrung
kennen und die halben und flüchtig angedeuteten durch
schuld tragen. Von allen Modernen hat es Tovote am
alle Winkelzüge und Vertuschungen einer verfeinerten
schnellsten zu einer gewissen Beliebtheit gebracht. Wenn
Technik herausspüren. Diese werden in „Anatol“ manches,
ich boshaft wäre, wünde ich sagen, gerade das spreche für
seine geringere Künstlerschaft.
Reizvolle üinden: im Großen und Ganzen aber wird es
F. M. F.
dabei bleiben müssen: ein unsympathisches Buch. Immer¬
„Anatol.“ Von Arthur Schnitzler. (Berlin,
hin aber ein Buch, stark durchflutet von einer, wenn auch
Bibliographisches Bureau.) Schnitzler ist einer der be¬
nicht allzu starken, Persönlichkeit; eines von denen, die
gabtesten des jungen Wien. Das wird man erkennen, wenn
man sich von der Scele schreiben muss. Ob es sich Schnitzler
erst einmal sein Schauspiel „Das Märchen“ ie Berliner
aber wirklich von der Seele und nicht erst recht in sie
Lessing-Theater zur Aufführung gelangt sein wird. Vor¬
hinein geschrieben hat?
F. M. F
läufig bietet er uns sieben kleine Einakter, ## ziöse Plau¬
„Der verlorene Sohn.“ Berliner Sittenbild von
dereien, bei denen feinsinnige, geislreiche und witzige
'aul Bliss. (Verlag von Freund & Jeckel, Berlin 1892.)
Franzosel Pathen gestanden haben. Auf dieses hindeutend
Ein prächtiger Mensch, dieser Karl Meinhold, alles kann
wag, wer will, die einleitenden Verse von Loris nehmen
er, Klavier spielt er, süß und leidenschaftlich zum Ver¬
— das Vorwort eines Achtzehnjährigen zum Buche eines
lieben, Novellen schreibt er, dass es eine Art hat, nur
Dreißigjährigen —: reizende Verse übrigens, die nur den
charakterfest kann er nicht bleiben. Hiedurch verschuldet
einen Fehler haben, dass sie auch vor fünfzig andere
er den Tod seines ihm zugethanen Zöglings Willi, mit
Bücher, d. h. eigentlich vor gar keines passen würden.
dessen Mutter er buhlt, und den Selbstmord der ihn hin¬
Aber sie sind aus jener Stimmung hervorgegangen, von
gebungsvoll liebenden Sophie Walter, die ihm ihre Ehre
der ein großer Theil unserer jungen Wiener Schriftsteller
geopfert. Seine für sie gehegte, scheinbar tiefere Neigung,
sich treiben lässt, und in deren Strömung sie sich bei¬
die der Drang nach Reinheit in ihm erweckte, macht einer
nahe als Steuermann fühlen. Sie bezeichnen diese Stimmung
sogar ganz genau:
neuerwachenden Leidenschaft platz, die ihn dem Laster
und schließlich dem Wahnsinn entgegenführt. Bliss’ Roman,
Also spielen wir Theater,
im Allgemeinen kein originelles Werk, weist bei allen
Spielen unsre eignen Stücke,
Frühgereift und zart und traurig,
Mängeln Einzelzüge auf, die eine ganz hervorragende Be¬
Die Komödie unsrer Seele,
gabung des Verfassers verrathen. So sei hier besonders des