II, Theaterstücke 4, (Anatol, 0), Anatol, Seite 20

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4. Anatol
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Arbeit der Polizei=trag für die Kost schuldig bleiben. Sie wird als etwas
m Zimmer der Ermordeten schlafen,
streitsüchtig geschildert.
Wand getrenut, deren Quartierleut=,
Lärm und Spektakel sind übrigens in dem Hause
nn. Diese behaupten, trotzdem sie Odeongasse Nr. 1 sehr häufig und es vergeht keine Nacht,
erfläche. Daß im Gemüthe seiner
weisen, einen offenen Sinn für die modernen Bestrebungen
nd einfältig sie auch sein mag, ein
auf theatralischem Gebiete. Müller war sogar einer der
uß, das läßt er uns nicht einmal
Ersten, die in Wien für Ibsen Propaganda machten. So
er dieses tiefe und schmerzliche Ge¬
hoch er jedoch auch den nordischen Dramatiker schätzt, so
Tage gefördert hätte, erst dann
ist er gleichwohl kein unbedingter Bewunderer seiner Werke.
und voll, erst dann hätte uns Bahr
Er sieht in Ibsen nur einen Bahnbrecher und er wagt
haß er nicht nur ein geistreicher,
sogar die kühne Behauptung, daß Gerhard Hauptmann
en Anempfindungsfähigkeit aus¬
bereits über Ibsen hinausgedrungen sei, und daß er ihn in
sondern auch ein Dichter ist. Diesen
den „Einsamen Menschen“ an Gestaltungskraft übertroffen
och erbringen.
habe. Seltsamerweise besitzt Müller, der ja einen scharfen
eHermann Bahr's ist Arthur
theaterpraktischen Blick hat, für die modernen französischen
ings die schillernde Beweglichkeit des
Dramatiker gar kein Verständniß. Er preist unter den
fehlt. In seinem Buche „Anatol“
Meistern der französischen Bühne nur Augier, der jetzt schon
des Bibliographischen Bureaus)
in Frankreich als antiquirt gilt, und er geräth in einen
itzler in sieben reizenden Einaktern
heiligen Zorn beim Gedanken, das Wilbrandt als Burg¬
und als geistvollen und scharfen
theaterdirektor die Pariser Dramatiker auf der ersten Bühne
hidentigen Gesellschaftssebichte kennen.
Deutschlands eingebürgert. Das ist eine deutschthümelnde
us demselben Holze geschnitzt, wie
Schrulle, von der den zukünftigen Direktor des Raimund¬
. aber er hat mehr Gemüth, mehr] Theaters die harte Zucht der Nothwendigkeit gar bald heilen
dürfte.
gende Könperlichkeit, als der Held
Ehebruchsgeschichte. Und obendrein
Von demselben Autor ist dieser Tage erst ein neues
Maivetät der Empfindung inmitten
Buch „Im Jahrhundert Grillparzer's“ (Wien, Verlag von
ption. Durch diesen Zug gewinnt
Kirchner und Schmidt 1893) erschienen.
hie. Anatol richtet vorderhand sein
In diesem Werke liefert der Verfasser durch eine ein¬
skünstlerinnen, Balletbamen und
gehende und an psychologischen Tiefblicken reiche Charakte¬
da ihn der Verfasser als ver¬
ristik der hervorragendsten österreichischen Dichtergestalten
ßt, so werden wir hoffentlich in
ein lebendiges Bild jenes literarischen Jahrhunderts in
seinen externen Liebesdrang auf
Oesterreich, das mit dem 15. Jänner 1891, dem hundertsten
rtieferen Perspektive sich bethätigen
Geburtstage Grillparzer's, seinen Abschluß gefunden. Es ist
dies eine sehr verdienstliche Arbeit, die jedoch eine viel
[Guttenbrunn ist kein Jünger dertiefere Perspektive dadurch gewonnen hätte, wenn der Autor
esitzt trotzdem, wie seine „Drama= nicht leichthin, sondern in eindringlicher Weise die Dichter,
sden, E. Pierson's Verlag 1892) be=1 deren Entwicklung er vorführt, mit den geistigen Strö¬
Mörder zunachst erdroffelt hat. Die
Schnalle war rechts vorne am Halse, der freie Theil des
Riemens hing über die Brust binab.
Am Halse waren von links nach rechts
mungen unserer Zeit in Zusammenhang gebracht und da¬
nach gedeutet hätte.
Der Privatdozent an der hiesigen Universität, Herr
Dr. Emil Reich, sonst ein friedlicher, theoretisirender
Aesthetiker, ist in seinem Buche „Die bürgerliche Kunst
und die besitzlosen Klassen" (Leipzig 1892, Verlag von
Wilhelm Friedrich) jählings als geharnischter Fürsprecher
der modernen Kunst und der Forderung: Panem et
circenses (Brot und Spiele) auf die Arena des künstleri¬
schen und politischen Parteikampfes hinausgestürmt. Er
übersieht jedoch in seinem Feuereiser, daß viele Wege in
den Tempel der Kunst führen.
Von einem Künstler zu verlangen, daß er ausschlie߬
lich soziale Stoffe behandeln soll, ist ein einseitiges, unge¬
rechtes Begehren. Seinem beredten Plaidoyer hingegen,
dafür, daß man die soziale Frage nicht blos als Magen¬
frage betrachten dürfe, sondern dem arbeitenden Proletariar
auch sein Recht auf geistigen Genuß mittelst Antheil an der
Kunst sichern müsse, stimmen wir aus ganzem Herzen bei.
Und nun wollen wir zum Schluß noch die Arbeit
eines jungen Schriftstellers, Herrn B.
her¬
vorheben, der durch zwei gediegene kulturgeschichtliche Werke
über Rußland bereits die Anerkennung fachwissenschaftlicher
Kreise errungen hat. Seine jüngste Arbeit: „Die Roma¬
now's“ (Berlin 1893, Verlag S. Cronbach), behandelt auf
Grund eines reichen Quellenmaterials intime, zumeist
erotische Episoden aus dem russischen Hofleben. Bei der
Lektüre dieses Werkes findet nicht nur der Historiker, son¬
dern auch der gewöhnliche Leser seine Rechnung. Es ist
interessant, pikant, liest sich fast wie ein Roman und wird
daher sicherlich bald sein Publikum finden.
Marco Brociner.