II, Theaterstücke 4, (Anatol, 8), Anatol, Seite 14

4.9. Anatol
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klu-
401.1910 Die Zeit, Wien
Theater und Kunst.
Anatol.
Fünf Einakter von Arthur Schnitzler. Erst¬
aufführung im Deutschen Volkstheater am 3. Dezember.
c. h. Heute ist es natürlich kein Verdienst
mehr, den „Anatol“ zu spielen. Vor etwa
zwanzig Jahren, als Schnitzler noch am Anfang
stand und unberühmt war, hätte man es tun
sollen. Diese kleinen, seinen Szenen waren da¬
mals nicht schlechter als sie jetzt sind. Vielleicht
waren sie, was allerdings paradox klingt, sogar
besser. Denn sie waren damals wundervoll neu
Ihr anmutiges Getändel und Philosophieren,
ihr Leichtsinn und ihre Schwermut, ihr Ton und
Parfüm, waren damals noch unverbraucht, un¬
angetastet, bestrickend. Seitdem hat man sie
so unzählige Male nachzumachen versucht, hat
sie bestohlen und geplündert, hat sie gefälscht
und verwässert, daß man Schnitzlers Gestalten
wie durch einen Schleier sieht. Es liegt ja nicht
an ihnen selbst, gewiß, aber der Unmittelbarkeit
des Genusses steht eine ganze unerquickliche
Literatur im Wege. Und Schnitzler ist ja auch
inzwischen ganz anderswo angelangt. Gründ¬
liche Leute mögen die Linie ziehen vom
„Anatol“ zum „Jungen Medardus...
Sie werden wohl Verwandtheiten entdecken in
allen Schnitzlerschen Helden. In allen diesen
Menschen, die vor den Verbindlichkeiten des
Lebens eine namenlose Scheu haben. Anatol,
der Erotiker, erlebt aus diesem Seelenzustand
nur Episoden. Darum liebt er das Flüchtige,
das Vergängliche. Er ist aber Dichter genug,
sich irgend etwas Ewiges hinzuzuträumen.
Diese Figur konnte man Schnitzler doch nicht
nachpfuschen; nur die Stimmungen, die Ironien
des Dialogs, das Gemisch mancher Sentimente
kopierte man. Aber Anatol ist jung und neu wie
am ersten Tag. Anatol ist der Don Juan von
Wien geblieben. Es mag sein, daß er im Leben
besser nachgemacht wird als in den Büchern,
daß ihn die reichen Wiener Jünglinge besser
nachempfinden,
weil er aus demselben
lebendigen Stoff geschaffen ist wie sie und er
ihnen bloß die Form angibt. Man spielt jetzt
fünf von den sieben Szenen des „Anatol
mehrere nicht zum erstenmal. Daß man die
Episode zwischen das „Abschiedssouver" und
„Anatols Hochzeitsmorgen einschiebt, stört den
Konner. Herr Kramer ist der leichtfertige
Melancholiker, scharmant, ironisch, sentimental,
und nur nicht jugendlich genug. Den Freund
Max, den praktischeren und weniger philosophi¬
schen Genießer, gibt Herr Lackner. In die
amüsanten süßen Mädchen und Frauen teilen
sich die Damen Hannemann, Reinau,
Müller, Glöckner und Galafrés, und
so ist viel Munterkeit und Koketterie auf der
Bühne versammelt. Man rief den Autor
stürmisch
Die eine Re¬