II, Theaterstücke 4, (Anatol, 8), Anatol, Seite 23

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klu-
4.9. Anatol
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Dramaturgen und Schauspieldirektoren unmittelbar
Anatol!" sagt der beispielsweise in der „Episode und wirft
imponieren, weil ihre Stücke voll von dem konventionellen
mit diesen Worten, die er zu sich selbst, das heißt zum
Bumbum und Trara des antiquierten Theaters sind
Publikum spricht, Biancas Brief ins Feuer, das heiß
und solche, die wirkliche dramatische Dichter sind und
also in den Kamin, denn im alten Burgtheater hatten
die man in ihren Anfängen infolgedessen meist für
auch noch die Studenten Kamine. Wer hört aus dieser
Novellisten hält. In diese Kategorie gehört Artur
Phrase nicht sogleich den Tonfall Sonnenthals heraus,
Schnitzler; seine Stücke, obwohl oft lyrisch
oder
des Sonnenthal der Achtzigerjahre, der noch die Lieb¬
novellistisch anmutend, sind doch alle mit der
haber spielte? Und wenn im letzten Stück, im „Hochzeits¬
sympathetischen Tinte des echten Dramatikers geschrieben,
morgen", der Freund im Frack zur Unzeit bei Anato
deren Schrift erst bei künstlichem Licht lesbar wird. Man
erscheint, um zu erkunden, von welcher Farbe die Toilette
braucht sie nur aufzuführen, und sie wirken. Das hat
seiner Cousine Alma sein wird, weil er sich als Kranzel¬
man dieser Tage erst beim Anatol gesehen. Wie eigen
herr mit dem Bouquet danach richten muß — ist das
ist doch das Schicksal dieses Werkes. Seinerzeit, als es
nicht eine unschuldige, lustspielmäßige Motivierung wie
erschien, hat man die Einaktersammlung nicht einmal al¬
bei Bauernfeld? An Bauernfeld, an Feuillet, an ander¬
Buch gelten lassen wollen. Jetzt, hinterher, bemerkt man,
ganze und halbe Burgtheaterfranzosen erinnert denn auch
daß sie sogar ein bühnenwirksames Drama enthält...
der Dialog in allen seinen Nuancen. Aus diesem seiner¬
zeit als modern verschrienen Buche klingt uns heute der
Nun, wir wollen nicht übertreiben. Ein wirkliches
Von des alten Burgtheaters entgegen, der darin lebt wie
Drama sind diese fünf kleinen Lustspiele nicht, aber jedes
das Meeresauschen in jenen Seemuscheln, mit denen von den fünfen ist ein kleines dramatisches Kunstwerk
man zur Anatol-Zeit den Salon zu schmücken liebte.
das erheiternd wirkt. So ergibt sich am Ende ein äußers
vergnüglicher Lustspielabend, wenn auch nur durch
Man hat jetzt eine gute Gelegenheit, diese hübschen
Addition. Das ausschlaggebende Element, auch auf dem
Muscheln abzuhorchen, da man fünf von den sieben
Theater, ist die Figur des Anatol. Daß er ein Dichter
reizenden Einaktern zur Zeit im Deutschen Volkstheater
ist und die Atmosphäre des alten Burgtheaters passiert
aufführt; und sagen wir es gleich: in der anmutigsten
hat, haben wir schon festgestellt; aber zu diesen beiden
Art. Herr Kramer, der den liebenswürdigen Helden
Voraussetzungen seines Wesens mußte sich eine dritte
spielt, ist ein sehr charmanter Anatol; Freund Max, der
gesellen, die wichtiger ist als die beiden anderen, und
Raisonneur, ist bei Herrn Lackner launig aufgehoben:
worin zugleich die Originalität des Dichters und die
die Reinau ist eine entzückende große Dame; die Müller
Allgemeingiltigkeit der Figur beruht, die ihrerseits wieder
eine reizende kleine Schulreiterin, Frau Glöckner ein
ihre Wirkung auf dem Theater erklärt. Anatol ist nämlich
resolute Ballerine. Das Publikum unterhält sich vor
ein Wiener; trotz seines französischen Namens, seiner
trefflich und begreift nicht recht, warum man ihm diese
französischer Abstammung und französischen Manieren
Unterhaltung nicht schon längst beschert hat. Zwar die
einzelnen Einakter sind schon da und dort gespielt durch und durch ein Wiener Kind, dem heimischen Grund
entsprossen, eine Frucht, ein Früchte unserer lieben alter
worden, und Jarno gebührt das Verdienst, ihre Bühnen¬
Kaiserstadt. Nicht Anatol aus irgend einer gleichgiltigen
qualität entdeckt zu haben, an die im Anfang die
weil charakterlosen französischen Komödie ist er, sondern
praktischesten Bühnenmänner nicht glauben wollten.
der Anatol, wie man in Wien gemütlich sagt, der
Indessen, den Zyklus als solchen haben wir noch nicht
Anatol, den wir alle kennen — obwohl er gar nicht
zu Gesicht bekommen, obwohl er, auch als Ganzes be¬
existiert, was freilich ein bißchen verwunderlich ist. Aber
trachtet, durchaus dramatisch anmutet. Nur hat das
wenngleich es ihn in Wirklichkeit nicht gibt, weil er eben
bisher, in Wien zumindest, noch niemand herausgefunden
Es gibt eben zweierlei Dramatiker; solche, die den ein Dichter ist und weil die Dichter heute anders sind,
so hat es ihn doch einmal geg
Geburt allerdings, sondern be¬
ist der lebenslustige Hausherrn
Posse. Er ist der burgtheate
herrnsohn, wie Raimunds Val¬
gewordene Hauswurst. Ein He
Dichter, das ist der Schnitzlersch
Es liegt eine anmutige
Figur, über deren krasse M
zwanzig Jahren entsetzte, heu¬
altmodische Naivität vergessen
modern ist. Denn, täuschen wir
Typus, Anatol als soziale Er¬
schwundenen Epoche an. Er se
aus, ein Wien der Linienwäl
bettes, der klingelnden Pferdeb¬
beleuchtung. Dieses Wien ist ve¬
elegische Bummler Anatol. Ab¬
kommt der Gestalt als solcher
der Wirklichkeit entzogen, die in
förderlich war, wirkt sie heute
wirkt wie ein zart gemaltes, sche
Bildnis aus der Zeit. Daru¬
Regieeinfall, wenn anders es
ersten vier dieser fünf Ein¬
dunklen Coulisse spielen zu¬
Tapeten, diese Plüschgarnitu¬
Lampenschirme und bunten Ar¬
dazu. Schattengleich und ein
der Träumer Anatol durch das
Neunzigerjahre, bei dessen And
rungen an die eigene Jugend
quarischer Duft, wie ihn erst
geben — aber nur die echten
Bühne aus und dem rücksch
Nase. Heiter gerührt sieht er den
Vorhang nur höchst ungern fal
wir uns so schwer von diesen zu
aller Heiterkeit doch auch ein biß
trennen unsere eigene Jugend