II, Theaterstücke 4, (Anatol, 8), Anatol, Seite 46

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4.9. Anatol - Zyklus
OBSERVER
1. österr. behördl.
konzessionirtes
Bureau
für Zeitung nachrichten
4 DIEMER 1910
Wien, 1.
Konkordiaplatz
Fremdenblatt,
Theater und Kunst.
„Anatol“ in Berlin.
Aus Berlin wird uns vom 3. d. telegraphiert: Im Lessing¬
Theater wurden fünf Akte aus Schnitzlers Einakterzyklus „Ana¬
tol zum ersten Male aufgeführt. Die Darstellung wich der Gefahr, zu
schwankmäßig zu wirken, vorsichtig aus und holte alle Stimmungen und
Feinheiten des Dialogs sorgfältig heraus. Monnard spielte den
Anatol recht gut, Reicher den Max. Am besten waren aber die
Damen Somary, Lossen, Lussin, Herterich und Triesch
Das Publikum folgte den delikaten Szenen mit größtem Behagen und
spendete Abhaften Beifall, der nach dem „Abschiedssouper besonders herz¬
lich klang.

De¬
n
burg, Toronto.

se des
,
0
Ausschnitt aus:
4-OLER 1916
Theater, Kunsten
Wissenschaft
„Anatol."
Fünf Einakter von Arthur Schnitzler.
Erstaufführung gestern im Lehr¬
Dies wienerische „Nachtmahl in fünf delikat zu¬
bereiteten und appetitlich servierten Gängen hat
uns ausgezeichnet gemundet, und ich bedaure auf¬
richtig, die holde Dessertstimmung, die mich tänzelnd
umschwebt, durch Abfassung eines kritischen Berichts
entweihen. Es tröstet mich nur, daß
es doch auch hübsch ist, für eine so
anmutige Gabe auf frischer Tat danken
zu können. Schnitzlers „Anatol"-Szenen
sind uns ein lieber Besitz aus den Zeiten, da die
Jungösterreicher mit der subtileren Kultur und der
weltschmerzlich lächelnden Walzerstimmung ihrer Stadt
unseren bitterernsten Naturalismus bereicherten, und
sie haben sich unverändert frisch erhalten, obschon sie
heute das für moderne Literaturwerke bereits ehrwür¬
dige Alter von siebzehn Jahren aufweisen. Wir
hören noch immer mit Behagen die graziöse Welt¬
weisheit der Dialoge an, in denen der „leichtsinnige
Melancholiken" Anatol und sein realistisch gesinnter
Freund Max ihre Erlebnisse und Anschauuligen über
das unendliche Thema „Weib" austauschen, während
zwischen dem blasierten Schwärmer und dem ver¬
gnüglichen Steptiker eine sympathische Reihe füßer
Mädel und mondäner Frauen hahinhüpft, als lebendige
Exempla, an denen ihre törichten und gescheiten
Doktrinen demonstriert werden. Diese Gespräche
schaukeln zwischen Novellette und Dramolet zierlich
hin und her, aber nachdem man schon früher mit ein¬
zelnen von ihnen gelungene Bühnenversuche angestellt,
ergab sich gestern, daß sie reich genug sind, auch die
Kosten eines ganzen Theaterabends zu bestreiten. Es
gab sogar in diesem losen Gefüge so etwas wie eine
dramatische Entwicklung, symbolisch dargestellt an —
Anatols Schädel: der zeigte nämlich üppigen Haar¬
schmuck, als der Held so vieler kleiner Abenteuer
vor der „hypnotisierten Cora die „Frage an
das Schicksal, nämlich die, ob sie
ihm treu sei, — lieber nicht stellt. Wir dürfen ihn,
also den Haarschmuck, noch ebenso üppig unter dem
Zylinder vermuten, unter dessen Schutz Anatol die
elegante Gabriele auf winterlicher Straße bei ihren
„Weihnachtseinkäufen" in ein pikantes Ge¬
spräch verwickelt. Aber er offenbart bedenkliche kleine
Lücken im „Abschiedssouper, da die betrogenen
Betrüger sich gegenübersitzen. Er wird dünner und
dünner in der „Episode", da das eitle Männchen
erleben muß, daß ihn ein Weibchen radikal vergessen
hat. Und er ist zur leuchtenden Glatze mit einsam
sich schlängelnder Sardelle am „Hochzeits¬
Morgen" geworden, da Anatol sein Bräutigams¬
bukett vor der rabiaten Ilona retten muß, mit der
er Abschiedsnacht gefeiert, bevor die Ehe ihn ein¬
heimst. Der Träger dieser tragischen Perückenfolge
war Heinz Monnard, der für den unsterblichen
Typus des liebenswürdigen Snob viel drollige Laune
und ein geschickt abgewogenes Quantum verliebter
Tumbheit aufbrachte. Wie die ganze Vorstellung des
Lessing=Theaters war auch dieser Anatei ein wenig
aufs Deutliche und Derbe gestimmt. Die Szenen
verlieren dadurch etwas von der zarten Lässigkeit ihrer
dekadenten Ironie, aber sie gewinnen dafür an
bühnenmäßiger Schlagkraft. Kam Herr Monnard
immerhin aus Wien, so stammte der Max von
Emanuel Reicher leider aus Budapest oder noch
ferneren südöstlichen Gegenden. Wie im Alter
(Herr Reicher kann sehr viel jünger aussehen) so in