II, Theaterstücke 4, (Anatol, 8), Anatol, Seite 50

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4.9. Anatol - Zyklus
Telephon 12.801.
OBSER
1. österr. beh. konz. Unternehmen für Zeitungs¬
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Wien, I., Concordiaplatz 4.
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New-York, Paris, Rom, San Francisco, Stockholm, St. Peters¬
burg, Toronto.
(Quellenangabe ohne Gewähr.)
Ausschnitt aus:

n
5
vom
Theater und Musik.
Lessingtheater.
Arthur Schnitzlers in der Buchhausgabe wohlbekannter Ein¬
akterzyklus nating am Sonnabend im Lessingtheater zum ersten
Male im Zusammenhange auf der Bühne in Szene, auf der eines der
fünf Stücke, das „Abschiedssouper, schon längst Heimatsrecht
genießt, zumal da es reisenden Künstlerinnen eine Paraderolle bietet.
Fast alle Schauspielerinnen von Ruf haben hier die Annie gespielt.
Ihnen gesellte sich am Sonnabend Mathilde Sussin hinzu, sonst eine
Darstellerin versonnener, ätherische Frauengestalten. Sie erbrachte
den Beweis, daß sie ebenso natürlich den Ton des Uebermuts zu treffen weiß.
Auch die „Frage an das Schicksal ist gelegentlich schon aufgeführt
worden. Im Mittelpunkt aller fünf Stücke steht die Gestalt Anatols,
eines Wiener Snobtyps, eines modernen dekadenten Don Juans
ohne alle Dämonie, den der Zuschauer durch einige Liebesepisoden
mit den sogenannten „süßen Mädels begleitet. Schnitzlers scharfe
Beobachtungsgabe, die in seinen neueren Werken mehr in die Tiefe
geht als hier in diesen oberflächlich hingeworfenen Skizzen, läßt auch
diese Stückchen immer interessant erscheinen; man merkt, daß sie nach
dem lebenden Modell gearbeitet sind und nur die Wirklichkeit ohne
alle Nebenabsichten wiedergeben wollen. Am wirkungsvollsten sind
wohl die beiden genannten Einakter, deren die Bühne sich schon
bemächtigt hat; seine Züge enthält aber auch das Stücklein
„Weihnachtseinkäufe, und auch der leise Spott, der durch die
Episode hindurchklingt, ist unterhaltsam genug. Anatols
Hochzeitsmorgen", das Schlußstück, ist derberen Schlags und
überschreitet auch die Grenzen des guten Geschmacks. Die Darstellung
konnte nicht besser sein, Herr Monnard zeichnete das weichliche Wesen
des Anatol, dieser Wiener Sumpfpflanze, mit diskret andeutenden
Strichen und wußte die Gestalt durch die nötige Dosis Gemüt davor
zu bewahren, unsympathisch zu berühren. Seinen Freund und Ver¬
trauten Max gab Herr Reicher mit feinem Humor. Unter den In¬
habern der weiblichen Rollen sind noch Lina Lossen und Irene Triesch
besonders hervorzuheben.
„OBSERVER
I. österr. be¬
konz
Bureau
OLLEMORIS
für Leitung schrichten
Wien, I.
Konkordiaplatz
Die
Theater.
Lessing=Theater. Zum ersten Male „Anatol“ von Arthur
Schnitzle
noch vor zehn Jahren hatte Otto Brahm das beste Personal,
wie es keine andere Berliner Bühne besaß. Nur wenige davon sind
jetzt noch bei ihm. Bequemlichkeit oder Rückgang seiner Urteils¬
kraft müssen schuld daran sein, daß er nur für unzulänglichen Ersatz
sorgt, denn es gibt an deutschen Bühnen genügenden Nachwuchs. In
den fünf „Anatol-Einaktern ließ er Herrn Monard die Titel¬
rolle spielen. Ganz abgesehen, daß dieser Darsteller von zu schwerer
Körperlichkeit für den graziösen und sensitiven jungen Herrn ist, hat
er auch zu stumpfe schauspielerische Instrumente, um die eleganten
Geisteskapriolen eines Wiener Gemüts mitmachen zu können. Mit
dem Operettendialekt, den sich Herr Monard zurechtgelegt hatte, ver¬
gröberte er die feinen Schnitzlerschen Zeichnungen dermaßen, daß wir
uns nach Matzner vom „Theater des Westens“ sehnten, der weit
feineren Humor für viel tiefer stehende Texte aufzubringen versteht.
Wenig Augenweide bietet dermalen die weibliche Garde des Lessing¬
Theaters. Die Frage drängt sich auf: Wie häßlich darf eigentlich
eine Schauspielerin sein? Müssen wir uns mit den Antworten ab¬
speisen lassen: Alle Frauenzimmer können nicht schön sein, und die
Schönen haben meist kein Talent. Die Wolter war eine Schönheit
ersten Ranges und zugleich ein Genie. Und auch unter den da¬
maligen Talenten hatte keine Schauspielerin ein anormales Aeußeres.
Soviele absonderliche Damen wie jetzt hat es niemals beim Theater
gegeben. Soll es soweit kommen, daß Eltern von einer Tochter sagen:
Sie ist so häßlich, daß wir sie nur zur Bühne gehen lassen können!
Wenigstens sollte im Lessing=Theater affigiert sein: Operngläser zu
benutzen, ist verboten. Diese Angelegenheit, so grausam es ist, muß
einmal energisch angeschnitten werden, zumal es sich im „Anatol¬
Zyklus um das typische „süße Mädel" handelt, das zwar keine regel¬
mäßige Wiener Schönheit, aber stets hübsch ist. Daß unter solchen
Darstellungsmodalitäten die feineren Wirkungen aus den Schnitzler¬
schen Jugendarbeiten nicht herausgeholt wurden, liegt auf der Hand.
Das Publikum belustigte sich über die Witze und Scherze, die an der
Oberfläche lagen, aber in die vom Dichter beabsichtigte Stimmung
wurde es nicht versetzt. Weit bessere Aufführungen von der
„Frage an das Schicksal und vom „Abschiedssouper
hat man schon vor Jahren in Berlin gesehen, und voraussichtlich
werden nun auch die „Weihnachtseinkäufe", „Episode
und „Anatols Hochzeitsmorgen" später einmal von ge¬
eigneteren Darstellern wieder aufgegriffen werden. Im Repertoire
Brahmschen „Lessing=Theaters werden sie nur ein ephemers

ein fristen.