II, Theaterstücke 4, (Anatol, 8), Anatol, Seite 69

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4.9. Anatol - Zyklus
Den 11.

I. österr. behördl. konz. Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
Wien, I., Concordiaplatz 4.
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in Berlin, Budapest, Chicago, Christiania, Genf, Kopen¬
hagen, London, Madrid, Mailand, Minneapolis, New-York,
Paris, Rom, San Francisco, Stockholm, St. Petersburg.
Quel
che aus Genie,
Ausschnitt aus:
Sohne und Welt er¬
und
Das Lessingtheater scheint nicht Lust zu haben, Arthur Schnitzlers neues Werk „Der
junge Medardus aufzuführen —
das große Panorama Wiens vom Jahre 1809, mit seinen
mehr als halbhundert Rollen. Die Berliner Bühne des Wiener Dichters griff, offenbar um einen
Ersatz zu bieten, auf dessen Opus Eins zurück, den Einakter=Zyklus „Anato!". Einzelne der
zu einem Kranze von parfümierten Schäferstunden gebundenen Szenen waren früher schon hier
aufgeführt worden, und von den sieben Intimitäten ließ man auch jetzt zwei fort. Man kann
es kaum mißbilligen, daß der leichte Gedanke dieser Capriccios nicht noch durch ein größeres
Gewicht der Akte belastet wurde — so sicher der anmutige Geist die Zuschauer lockte und reizte.
Es besteht einige Verwandtschaft zwischen dem Hofmannsthalschen Jüngling, der vor dem
Tode bekennt, alles erlebt und doch nicht gelebt zu haben, und dem Schnitzlerschen Lebeknaben.
Doch hält sich die Nachdenklichkeit Schnitzlers im Hintergrunde, vor schiebt sich die tändelnde
Lustspielkaune und die Früherfahrenheit der damals jungen Dichters. Der Verfasser des „Anatol
ist ein ins Wienerische übersetzter Guy de Maupassant. Ein Maupassant mit einem Schuß Weich¬
lichkeit, Sentimentalität, Philosophie. Seine Hand übte, gleich jener des graziösesten Zynikers
von Paris, die Kunst des feinen Stricheln, und seine Lippen kräuselte der Spott. Dass
was Schnitzlers Jugendfünde: den Zyklus der Weibergeschichten, heute noch einem ernsten männ¬
lichen Betrachter wert macht, dem das Gegenständliche der Affären geringfügig scheint. Un¬
freut auch dieser direkt aus den Lebensquellen bezogene sexuelle Witz, der sich durchaus nicht
zotig gebärdet. Das bißchen Seele der Weibtierchen ist sauber präpariert, und hundert bunte,
drollige Merkmale der Gattung sind gesammelt. Aber Anatol selbst, der unnütze Held des melan¬
cholischen Leichtsinns, wirkt fast ärgerlicher als amüsant. Man braucht kein Sozialdemokrat zu
sein, um die Existenz solcher Luxusgewächse als soziales Unrecht zu empfinden. Luxus- und Zier¬
pflanze: das ist mitunter nämlich zweierlei; die Zierpflanze, die wir uns nicht knicken lassen
möchten, bringt wohltätige Schönheit in die Welt... Immerhin ist an der Gestalt des Anatol
die große Aufrichtigkeit seines jungen Dichters bewundernswert; und wer sehr aufmerksam horcht,
vernimmt sogar leise Anklänge an die erschütternde Musik, die in Rausch und Freude das Leid
des von der Sehnsucht ewig betrogenen Don Juan ausspricht. Ein sehr verweichlichter, deka¬
denter Don Juan, dieser Anatol! Daß auch er bis zu einer gewissen Grenze an Tragik heran¬
reifen konnte, hat Schnitzler später in seinem Meisterwerk „Liebelei“ bewiesen.
Der Anatol wurde von seinem Darsteller irrtümlich als komische Figur gegeben. Er ist
eine von Selbstironie und Mitleid geschaffene, übrigens realistische Gestalt. Herr Heinz Monnard
wollte vielleicht anders, als er konnte. Mehrere auffällige Verstöße, die aber doch seiner Auf¬
fassung anzukreiden sind, hätte übrigens die Regie verhüten sollen. Mit einem komischen Effekt
zerstörte der Schauspieler im Einakter „Weihnachseinkäufe" den Ausklang einer leisen, lyrischen
Stimmung, und im Schlußakte: „Anatols Hochzeitsmorgen", machte er mit einer riesigen Glatze
den Anatol zu einem jungen Greise, Typ „Fliegende Blätter... Reizend war die Abwechselung
der fünf Frauentemperamente in den fünf Stücken. Die Damen Somary, Sussin, Herterich
und Triesch gaben zusammen „das süße Mädel, und Fräulein Lossen brachte als distinguierte
Frau in die lockere Atmosphäre einen feinen Hauch von der Lebenssehnsucht unfreierer Menschen.
Emanuel Reicher hatte in der Rolle des Freundes Max die Aufgabe, mit taktvollem Humor
und Verstand den Maskenzug zu begleiten. Seine Intelligenz macht das vorzüglich,