II, Theaterstücke 4, (Anatol, 8), Anatol, Seite 87

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von Hindernissen, an die er stößt, gebrochen und anders gerichtet
wird. Die Prinzessin ist eine unbiegsame Eroberer=Natur, die zu
ihrem Ziele vorschreitet, nicht achtend, ob sie durch einen großen
Jammer oder durch ein großes Glück hindurch muß. Auch sie ist
ganz und unbedingt das, was sie ist; aber dies ihr „Sein läßt sich
auf die Forderungen, auf die Logik der Stunde einstellen. Sie
empfängt den Geliebten und ist nur Liebende. Am andern Tage
jedoch findet er die Türe verschlossen und die Hunde losgekoppelt.
(Weil sie jetzt wieder nur Ehrgeizige, den Thron Frankreichs er¬
strebende Prätendentin ist.) Sie stirbt nicht schuldlos, denn sie
spielte mit der Liebe gab sich dem Medardus und versagte sich ihm,
je wie es in die Rechnung des Moments hineinpaßte. Das war
seine Seele aus dem Gleichgewicht und ließ seinen taumelnden Willen
ihre Pläne so logisch=absurd durchkreuzen.
Man sieht, der psychologische Kern des neuen Schnitzlerschen
Dramas ist nicht uninteressant geschnitten und gefurcht. Weniger
bemerkenswert scheint die ihn zunächst umhüllende Schichte des
Schauspiels: die balladeske Dichtung von Helden, Tod und Liebe.
Zweierlei Pathos fließt ineinander: das Pathos des alten Dumas
und das Pathos des jungen Schiller. Das ergibt ein unklares
rhetorisches Brackwasser, dem wenig spiegelnde Kraft zu eigen. Am
Hof des exilierten Herzogs von Valois herrscht eine spitzig-romantische
Grandezza des Tuns und Redens, ein abgekürztes, heldisches Ver¬
fahren, dessen sich die Drei Musketiere nicht zu schämen hätten.
Im Rhythmus eines tragischen Menuetts verkehrt man miteinander.
Was für Dialoge! „Töten Sie diesen Jüngling, Marquis, und ich bin
die Ihre!“ Als Medardus abends im Garten erscheint, sagt die
Prinzessin zur Zofe: „Führ ihn in dein Schlafzimmer", und als
die sich weigert: „So führ ihn in das meine." Welch romantische
Verkürzung der Schicksalslinien
Die Rede des jungen Medardus hingegen hat oft so starken
deklamatorischen Schwung, daß sie in einen Wortrausch hineingewirbelt
wird, dem die Verantwortung für Maß und Ziel des Gesagten
abhanden gekommen scheint. An der Leiche der Schwester sagt
Medardus dem tröstenden Freund (ungefähr): „Du hast leicht trösten.
Du hast sie nur geliebt, aber ich bin — der Bruder“ Nun, die
Steigerung ist nicht zwingend. Angesichts der Leiche spricht er ferner
(ungefähr): „Hätte ich dich in einem verrufenen Haus gesunden,
mit geschminkten Wangen — der Anblick wäre Seligkeit gewesen neben
diesen. Ich habe die feste Ueberzeugung, Medardus hätte, wär ihm
die Schwester im verrufenen Hause begegnet, deklamiert: „Hätt' ich dich
als Wasserleiche tot vor mir liegen gesehen — der Anblick wäre
Seligkeit gewesen neben diesem." Der Jüngling Medardus wird
wohlrednerisch auf seines Erlebens Wende= und Höhepunkten. Er
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