II, Theaterstücke 4, (Anatol, 8), Anatol, Seite 141

4.9. Anato
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yk-
232 Paul Oskar Höcker:
als die Geschmackverlassenheit ihres Ver¬
so meisterlich, so lapidar hingeschmissen,
daß man schon ein Snob mit Eichenlaub
fassers.
sein muß, um nicht herzlich über sie zu
Die Komische Oper hat unter dem rüh¬
lachen. Der Schlosser Gluthammer und
rigen Direktor Gregor die meiste Arbeits¬
anerkennung und den geringsten Publi¬
der Pächter Krautkopf sind Gestalten, wie
sie Wilhelm Busch nicht treffsicherer zeichnen kumserfolg gefunden. Die Aufführung der
konnte. Die Darstellung des Neuen Schau¬
„Bohème" hat in vieler Hinsicht die der
spielhauses, das im alten Schöneberg der
Königlichen Oper stark in den Schatten
ehemaligen Millionenbauern liegt, über gestellt. Natürlich hat sie keinen Caruso
trieb natürlich um einige Nuancen. Aber
als Rudolf aufzuweisen gehabt — aber
eine köstliche Entdeckung brachte der Abend:
dafür in Frau Maria Labia eine Mimi,
Ida Wüst, die wir bisher nur als muntere wie wir sie im Hause Hülsens vergeblich
suchen. Von allen Neuengagements der letz¬
Liebhaberin kannten, entwickelt sich zu
einer Charakterkomikerin ersten Ranges.
ten Jahre ist dort einzig das der entzücken¬
Ihr Lachen und Weinen ist nicht so herz¬
den Désirée Artôt de Padilla eine Bereiche¬
lich wie das der Hansi Niese — kann es rung; Stimme und Spiel der jungen Kraft
in der Rolle der Frau von Schleier auch
haben als „Mignon" ihre Vorgängerin
nicht sein —, aber die drollige Selbstpersi= völlig entbehrlich gemacht. Das Personal
der Königlichen Oper erreicht sonst mit
flage verrät noch viel mehr Können. Schick¬
sal, gib uns eine Komödie! Den Ansat
wenigen Ausnahmen kaum die Leistungen,
die jedes zweite Stadttheater im Reich sei¬
zu einem neuen Lustspielstil haben wir hier
Im Kleinen Theater gibt man Abend
nen Abonnenten bietet. Ein Jammer, daß
für Abend den in einem Eisenbahncoupé
nun auch noch die gesunde Konkurrenz und
spielenden Einakter „Erster Klasse“ von
Vergleichsmöglichkeit, die wir bisher in
Ludwig Thoma. Wer über Thomas
Gregors Komischer Oper hatten, fortfällt:
Gregor geht an die Hofburg nach Wien, und
„Briefe des Abgeordneten Filser" gelacht
hat, wird auch in dieser ulkigen Parodie
das Haus an der Weidendammer Brücke
auf bayrische Eisenbahnverhältnisse und
(verfehlt war der Bau von vornherein)
andere Rückständigkeiten lachen. Nur ver¬
wird die Filiale eines dritten, vierten Ope¬
mißt man die herrliche Orthographie des
rettentheaters. Die gut abgerundete Auf¬
wackeren Filser. Als nicht ganz neue ko¬
führung des hübschen musikalischen Lust¬
mische Gestalt bekommen wir dafür den
spiels „Das vergessene Ich“ von Richard
nervösen, flegelhaften Geschäftsreisenden
Schott und Waldemar Wendlandt zeigte
aus Pinne oder Perleberg hinzugeliefe
wieder, was wir verlieren: eine Stätte
den in Bayern mit Recht so beliebte
geschmackvoller künstlerischer Unterhaltung
„Saupreiß. In München fallen die bun
im besten Sinne des Wortes.
desbrüderlichen Anspielungen der Thoma¬
Aber die erste Hälfte des Theaterwinters
schen Parodie natürlich auf fruchtbaren wäre schon zur Stunde, da diese Blätter
Boden. Da gibt es an gewissen Stellen zum Druck wandern, völlig versunken und
sogar demonstrativen Beifall. Die Ber= vergessen, hätte Berlin nicht den Zauber¬
liner amüsieren sich über ihr Konterfe¬
künstler Max Reinhardt, den Propheten
herzlicher. Sie sind selbstgerechter. Hun= der neuen Schauspielkunst, -
auch den
dert Wiederholungen erlebte dieses „Erster
Herold einer neuen dramatischen Literatur,
Klasse". Ein bißchen viel für so einen Jux, wenn sie nur erst da wäre.
so nett er ist. Man ließe sich ihn am besten
„König Odipus“, die Tragödie des
an einem Kneipabend als Aufführung der
Sophokles, hat Max Reinhardt in der
Fidelitas vorsetzen. Im Kleinen Theater
freien übertragung von Hugo von Hof¬
gab man anfangs zwei Einakter von Max mannsthal im Zirkus Schumann aufgeführt,
Burkhardt dazu, „Die verflirten Frauen¬
und jede Vorstellung bot ein brechend ge¬
zimmer, um den Abend zu füllen. Sie
fülltes Haus und löste am Schlusse einen
wollen die totale Vertrottelung der Wie¬
geradezu elementaren Beifall aus.
ner Bourgeoisie und Aristokratie an den
Unserm Empfinden steht die Welt des
Pranger stellen. Die eindeutigen Stücke
König dipus — ach, so fern. Und den¬
stellen aber nichts anderes an den Pranger
noch