II, Theaterstücke 4, (Anatol, 8), Anatol, Seite 165

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4.9. Anatol - Zyklus
Woi,

unerfüllt bleiben müssen. Aber weit über die
Grenzen Bayerns hinaus wird man an diesem gend niemand vorausgesagt. Denn aus der Ehe er seine künftige Gemahlin, die geborene Prin¬
zessin Auguste, die Tochter des Großherzogs
seiner Eltern, des Königs Ludwig I. von Bayern
Tage mit Ehrfurcht und Achtung seiner ge¬
Leopold II. von Toskana kennen. Am 15. April
und der Königin Therese waren vier Söhne
denken.
chen aus der Vorstadt, bei dem er den Abend ver¬
Begegnungen der kleine Kirchhof von Montmartre
oder das alte Viertel beim Hotel-Dien, durch das die bringen wird. „Das süße Mädel, steht in den
„Anato.

„Weihnachtseinkäufen. Aber das säße Mädel war
Katzen streichen. Der dreißigjährige Arthur Schnitzle
mußte das Milieu sich erst schaffen. Er gab dem noch nicht die Theaterfigur aus der „Liebelei und
(Neues deutsches Theater.)
nicht die unentrinnbare Operettentrivialität,
„jungen Wien“, das bis dahin nur den Hamletty
wurde,
mißbraucht
nachher
der es
Das Opus I Arthur Schnitzlers ist nun aus Felix Dörmanns „Neurotika" hatte, den Hamlet
sondern etwas Schwindsches und Schubertsches, etwas
Anatol, den der Hauch der Bergänglichkeit ummit¬
bei uns ganz so wie in Berlin auf ge¬
Blondköpfiges mit Veilchen, lyrisch verklärt: „Denken
bracht worden: als eine Abschlagszahlung für den tert. Anatol, den Liebe suchenden, von Liebe um¬
Sie sich — ein kleines, dämmeriges Zimmer, so klein
„Medardus, den man noch erhoffen mag. (Wird er fangenen und Liebe lösenden, Anatol, dessen Modelle
mit gemalten Wänden, und noch dazu etwas zu licht
wohl Alfred oder Viktor hießen. Er erfand die
kommen? wird er nicht kommen?) Den „Anatol
ein paar alte, schlechte Kupferstiche mit verblaßten
o zu sehen ist eins jener Erlebnisse, die unbehaglick Melancholie des Opernrings. Und über Wie¬
Ausschriften hängen da und dort. Eine Hängelampe
berühren, vielleicht auch schmerzen und doch einen hinaus hallte der Erfolg wieder.
mit einem Schirm. Vom Fenster aus, wenn es Abend
Indessen, der „Anatol" war mehr. Er war das
Rest von Freude zurücklassen. Die kleinen, nach¬
wird, die Aussicht auf die im Dunkel versinkenden
denklichen Spiele, die in der Phantasie ihre Heimat erste Buch der werdenden Literatur überhaupt, das
Dächer und Rauchfänge! Und — wenn der Früh¬
hatten, sind nun körperhaft und durch die Körper eine diskrete Tönung und etwas wie kultivierte
ling kommt, da wird der Garten gegenüber blühn
lichkeit entstellt. Diese Plaudereien sind von den Philosophie zu geben wagte. Ein Jahr nur vorhe
und duften." Das süße Mädel war ein Traum von
Regisseuren abhängig geworden, die uns bevormun- hatte Bahr den Naturalismus für tot erklärt. Noch
Frieden. Doch war es nur eine Illusion, ein Zwischen¬
wußte man kaum von den Anfängen der Künste, die
den. Laut und zweifellos ist, was leise und ungewis
war. Aber während wir ein bischen verdrossen zu dem großen Prestidigitateur gelingen sollten. Hof zustand, ein Uebergang zu den gewaltsameren oder
gewöhnlicheren Abenteuern der Wirklichkeit. Der
hören, fangen wir die bekannten Worte auf und mannsthal hieß noch Loris, und als Loris schriebe
für den „Anatol“ zierliche Geleitverse. In dem Buche „Anatole des Buches ist am tiefsten in den beiden
halbe Erinnerungen melden sich, Erinnerungen an
Stücken, auf die der „Anatol“ des Theaters Verzicht
selbst stand nicht viel. Sieben novellistische Dialoge
die Zeit, wo dies alles neu, dichterisch, von Lebens¬
waren darin vereinigt, und außer in zweien gab es istet: in den „Denksteinen, an denen nichts Feuilleton
nähe erfüllt schien.
saule ist als der Titel, und in der „Agonie". Beide
jedesmal das gleiche, spöttisch oder elegisch konver
Im Buche irrt über die Züge von Anatol und
sierende Freundespaar. Doch durch diese Gespräche sia sie voll gequälten Gefühls, beide sind sie echt:
Max hie und da jenes blasse Licht, das die Lebens
glitten Frauen und Mädchen, und in ihnen allen Anatol, der Emilie, die er heiraten will, zurück¬
egoisten im „Einsamen Weg, umspielt, und Sala¬
war triebhafte Anmut, in den mondainen und in schleudert, weil sie den schwarzen Diamanten, für
Worte kommen uns in den Sinn: „Bleiben Sie
Julian, unser Dialog ist zu Ende." Auf der Bühne den geringen. Da ist das Präludium, die „Weih¬ den sie sich verkauft hat, mit der Feuerzange auf
ist Anatol der in sich selbst verliebte französische nachtseinkäufe, die Unterhaltung mit der Dame, die der Glut hervorholt, und Anatol, der das „unsag¬
bar traurige Verglimmen seiner Liebe zu Else er¬
am Christfestabend, mit Paketen beladen und in ten
Lebejüngling und Max der assistierende Raisonneur.
lebt. Am freiesten ist Schnitzlers Talent schon da¬
Kein wienerischer Autochthone, wie man sich trotz des rem Pelz, bei leichtem Schneefall durch die Kärnt¬
mals überall da, wo die Ironie durchbricht. In
nerstraße geht und dem jungen Müßiggänger er
gallischen Vornamens 1892 schmeichelte, sondern ein
der „Episode": Bianca, die Zirkusreiterin, die für
Enkel von Mussets Oktave, ein Pendant etwa zu laubt, ihr bis zur Wagentür zu helfen. Sie weis
Anatol, den koketten Romantiker, nichts mehr ist
dem Raymond Afame in Donnays „Cendre, der, ihn zurecht, sie lächelt nicht öfter, als sie darf, doch
sie gibt ihre heimliche Neugierde zu erkennen, wie als eine zu Staub zerfallene Blume in seinem
leichtsinnig und schwermütig wie der Bonvivant von
es in der anderen Welt aussieht, in der Welt, in Souvenirkasten — Bianca, das „arme Kind, das
Wien, seine Liebesbriefe verbrennt und mit seinem
mit der Unbekümmertheit einer irdischen Kreatur
Freunde Jacques Transe Reflexionen austauscht, der er glücklich zu sein pflegt. Verwirrt, beschämt
Bei Donnay ist der Schauplatz der sentimentalen fest ergriffen leicht sie ihm Blumen für das Mäd¬ zurückkehrt, um Max zu besuchen, und Anatol von