II, Theaterstücke 4, (Anatol, 8), Anatol, Seite 188

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4.9. Anato
ly
Jedenfalls hat sich das Publikum bei allen vier Stücken ausgezeichnet
Dialoge „Anatol"), von denen bis jetzt bloß einzelne auf die Bühne

unterhalten, ohne sich von den gewagten, Situationen die Freude
gebracht worden waren, als Ganzes aufzuführen. Wenn in einem
an der in der Tat faszinierenden Dichtung stören zu lassen.
Berliner Bericht der Schlesischen Zeitung vermutet wurde, der Anatol¬
19
Will man Schnitzlers „Anatolgerecht werden und sich an dem dichterischen
zyklus werde sich nach seinem großen Erfolge im Berliner Lessingtheater
hervortreten in den
Reiz des gewandten Dialogs und der lebensprühenden weiblichen Modelle
„wahrscheinlich jetzt auch die größeren Provinzbühnen erobern", so ist
Zeitabschnitt in der
diese Weissagung teilweise bereits eingetroffen. Zwar hat sich die erfreuen, so muß man in der Tat alle moralischen Bedenken, jaden moralischen
deckten, war Artur
Leitung der „Vereinigten Breslauer Theater" nicht an die Vorführung
Maßstab überhaupt vollständig bei Seite lassen. Im Vergleiche zu den
Er hat in Liebelei
der ganzen Reihe gewagt, sondern von den sieben Einaktern den zweiten erotischen Keckheiten der zehn Dialoge „Reigen“, die Schnitzler selbst
reihen „Der grüne
ursprünglich (1896/97) nur als Handschrift für seine Freunde hatte drucken
und vierten Dialog „Weihnachtseinkäufe" und „Denksteine", an
gezeichnete Bühnen¬
denen beiden der Raisoneur Max nicht teilnimmt, und den sechsten
lassen und erst 1903 der Offentlichkeit übergab, sind ja die Anatolzenen
der Beatrice" (1900
Dialog „Agonie", dessen Erfahrungen wohl Anatols Heiratsentschluß
sehr harmlos. Es gilt aber auch für sie die dem „Reigen“ vorgedruckte
Kraft durch¬
hervorrufen, ausgeschieden. Das Spielen der vier übrig bleibenden Ein¬
Rahnung, nicht nach dem Widerspruche ihres Inhalts zu den — theo¬
geschick, das
akter kann man aber kaum mit dem Theaterbureau als „Erstaufführung
retisch — geltenden sittlichen Begriffen zu urteilen, sondern diese
sein weiteres
bezeichnen, denn die einleitende „Frage an das Schicksal“ ist im
Stimmungs- und Augenblicksbilder mit ihrer Mischung von Sinnlichkeit
gessen, daß es
Frühjahr 1900 von der „Freien literarischen Vereinigung" auf die Bühne und schwärmender Sehnsucht hinzunehmen,
den „Schleier
gebracht und dann im September in den regelmäßigen Spielplan des
„Frühgereift und zart und traurig
Die Komödie unsrer Seele,
Uraufführung
Lobetheaters aufgenommen worden. Der fünfte Einakter des Zyklus
Unsers Fühlens Heut und Gestern,
große Auf¬
„Abschiedssouper“ ist im Lobetheater zum ersten Mal am 26. Dezember
Böser Dinge hübsche Formel,
Was damals
1900 gegeben worden. Anatol und seine Geliebten wurden beide Mal
Glatte Worte, bunte Bilder,
Schuldtag
von Herrn Lettinger und Fräulein Nolewska, der Max das eine Mal
Helles, heimliches Empfinden,
ter noch ge¬
von Herrn Botz, im „Abschiedssouper“ von Herrn Ziegel gespielt. Jetzt
Agonien, Episoden.
reihe, deren
sind die Rollen der Freunde Anatol und Max in allen vier Stücken den
Manche träumen, manche lachen."
ussetzungen
Herrn Skoda und Müller anvertraut worden, während für die vier
In dem zweiten Dialoge „Weihnachtseinkäufe", der vor den ver¬
ns" (1905
füßen Mädels, die verlogene Cora, die Zirkusspringerin Bianca in
schiedenen Schaufenstern in einer Straße Wiens spielt, schildert Anatol
uspielhause
Episode", die freche Annie und die eifersüchtige Ilona, von Herrn
der „bösen Mondaine“ Frau Gabriele den Typus des „füßen Mädls
ten macher
Regisseur Bonno die Damen v. Pothy, Jauck, Lamberg und Fabry
denn schon vor Wolzogens „Geschichten von lieben, süßen Mädeln" hat
Schnitzle
ausgewählt wurden. Die kleinen Rollen des Kellners im „Abschieds¬
Schnitzler den etwas euphemistischen Ausdruck gebraucht. Das süße
the der
souper" und des Dieners Franz am „Hochzeitsmorgen" wurden von
Mädl der kleinen Welt „ist nicht faszinierend schön, sie ist nicht besonders
te und
den Herren Mandel und Siegler gespielt.
elegant und sie ist durchaus nicht geistreich, aber sie hat die weiche
-
Fräulein Jauck hat nun dabei freilich den Kranz des Abends
Anmut eines Frühlingsabends und die Grazie einer verzauberten
der Be¬
davongetragen. Annie erzählt, wie in ihrem neuen Geliebten, dem
Prinzessin und den Geist eines Mädchens, das zu lieben weiß." Und
Tänzer Karl „das Theaterblut zu wurd'n angefangen hat". Nun, so
die stolze Frau Gabriele, die trotz Anatols Werbungen ihrem Manne
na der
rechtes Theaterblut hatte die Darstellerin selber. Ohne Übertreibung
reu geblieben ist, gibt beim Einsteigen in den Wagen Anatol eine Blume
mit ein¬
und doch mit höchst drastischer Wirkung hat Fräulein Jauck die
für das süße Mädl als Gabe von einer „Frau, die vielleicht ebenso
tatischen
ganze Szene, Schwips und Erzählung, in fortwährender Stei¬
lieben kann wie Du und die den Mut dazu nicht hatte. Im Dialog
1910
gerung allerliebst gespielt. Freilich hat auch Herr Müller,
„Agonie" aber erleben wir den Ausgang eines Liebesverhältnisses
dessen Max in allen vier Stücken eine Musterleistung diskreter
ten. Wie
Anatols mit der ihren Gatten betrügenden Mondaine Frau Elsa, die
Charakterisierung und Akkomponierkunst war, im „Abschiedssouper
ht. Zur
im Grunde um nichts besser ist als die Dirne Emilie, welche ihren übel
völkerung
durch sein natürlich herzliches Lachen die Zuschauer selbst zum
erworbenen Schmuck wegschleudert, um durch diese Selbstlosigkeit Anatol
ter Schar
Lachen gezwungen, aber den größten Beifall des sehr gut besuchten
zur Heirat zu bewegen, sich aber die kostbarsten „Denksteine", einen
Schlacht¬
Hauses erntete doch nach Verdienst Frl. Jauck. Herr Skoda dagegen
Rubin und einen schwarzen Diamanten, für alle Fälle heimlich zurück¬
war als Anatol wohl im einleitenden Stücke am meisten nach dem Sinne
enschaft.
hält, eine ähnliche Kriegslist, wie sie von der stark belasteten Heldin in
des Dichters, dem er auch noch im „Abschiedssouper entsprach. In der
Helene
Dumas „Demimonde angewendet wird. Indessen, wenn man an Vor¬
„Episode" spielte er in ironischem Pathos die Enttäuschung Anatols au
Klähr
bilder für diese geistvollen und pikanten Dialoge suchen wollte, würde
das Komische hinaus, wo doch ein wehmütiger Hauch des enttäuschten
nung er
an Murgers „Scènes de la vie de Bohème“ und Alfred de Mussets
Poeten mitklingen sollte. Wie Anatol hier von seinen Erinnerungen
mit sich
„Proverbes“, deren Schatz die deutschen Bühnenleiter noch immer nicht
spricht, das klingt an die Worte an, die Goethe einmal (1779) auf seine
wie Ver¬
gehoben haben, zu erinnern sein. Murgers Sentimentalität gehört
den Vereignen Dichtungen anwandte:
freilich einer entschwundenen romantischen Periode an; bei Anatols Ver¬
„Holde Zeugen süß verträumter Jahre,
die
hältnissen klingt die sinnliche Note stärker hervor. Aber um ihm gerecht
Falbe Blumen, abgeweihte Haare,
Donau
zu werden, muß man die Stimmung, aus der heraus die einzelnen
Schleier, leicht geknickt, verblichne Bänder,
rauterer
Szenen geschaffen sind, diesen Glauben, unter den Liebeleien einmal
Abgeklungner Liebe Trauerpfänder.
es alten,
doch die wahre Liebe zu finden, berücksichtigen. In der „Episode
Damit ist es natürlich ganz und gar nicht vereinbar, wenn Anatol
ingen ist
die gelegentlich eine so seine Verspottung der jugendlichen Verehrer Nietzsche¬
an seinem „Hochzeitsmorgen" als ein voller Kretin erscheint. Nichts
kommen,
einflicht, schildert Anatol diesen Zauberborn sehnsuchtsvoll träumerischer
schlimmeres kann man der feinen, graziösen Dichtung antun, als wenn
enschen¬
Stimmung, in den er alle, die er liebe, tauche. „Und das macht mir
man den stets verliebten Poeten Anatol, in dem Schnitzler sich selbst
te. Der
das Leben so vielfältig und wandlungsreich, daß mir eine Farbe die
gezeichnet hat, nach dem leider so beliebten Vorbilde Alexanders spielt.
lassen die
ganze Welt verändert. Tausend andere tappen hinein in irgend ein
Herrn Skoda, der im ersten Stücke den lieben, leichtsinnigen Kerl
stück er¬
Abenteuer, brutal mit offenen Augen, aber mit verschlossenem Sinn,
so treuherzig zu spielen wußte, stehen bei seiner Künstlerschaft
des jungen
und es bleibt farblos für Euch! Aus meiner Seele aber, ja aus mir
weit bessere Mittel zu Gebote, als daß er die Manieren der im
der Vor¬
heraus blitzen tausend Lichter und Farben drüber hin, und ich kann
Berliner Residenztheater gespielten Possen auf Schnitzlers liebenswürdig
erhalb Öster¬
empfinden, wo ihr nur — genießt."
feine Lustspielszenen anzuwenden brauchte. So wie es im „Hochzeit¬
dramatischen
Damit gibt Schnitzler selbst dem Leser, dem Schauspieler und Spiel¬
morgen" geschehen ist, dürfen Anatol und Ilona nicht gespielt werden.
leiter an, wie er diese Reihe von Liebesszenen verstanden und dar¬
Herr Bonno hat mit großer Sorgfalt für elegante Schauplätze gesorgt
leitern in Deutsch¬
gestellt wissen will. Und wir dürfen uns freuen, daß diese echte Dichter¬
nur dürfte nach einer Außerung Anatols in der „Episode der letzte Ein¬
sie auch Schnitzler
gabe nun nach siebzehnjährigem Buchleben wenigstens in ihrem größeren
akter nicht in derselben Wohnung wie der erste spielen.
ein schwierig zu in¬
Teile zum Leben auf der Bühne erweckt wurde. „Anatol" hat sein
mochten. Um aber
*) Artur Schnitzler, Anatol illustriert von M. Coschell. Erste bis

Theaterblut länzend bewährt.
Otto Brahm auf das
dritte Auflage. Berlin, S. Fischer Verlag 1901. 206 S. gr. 80. Geb.
de 1893 erschienenen 5 Mk. — Ohne Illustrationen 10. Auflage 1909. 146 S. 80. Geb. 3 Mk.