II, Theaterstücke 4, (Anatol, 8), Anatol, Seite 187

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4.9. Anat
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Dialoge „Anatol"), von denen bis jetzt bloß einzelne auf die Bühne
gebracht worden waren, als Ganzes aufzuführen. Wenn in einem
on sovelleten.
Berliner Bericht der Schlesischen Zeitung vermutet wurde, der Anatol¬
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zyklus werde sich nach seinem großen Erfolge im Berliner Lessingtheater
„Anatol."
„wahrscheinlich jetzt auch die größeren Provinzbühnen erobern", so ist
Von den zahlreichen jungen Dichtern, deren Hervortreten in den
diese Weissagung teilweise bereits eingetroffen. Zwar hat sich die
unziger Jahren die Hoffnung auf einen großen Zeitabschnitt in der
Leitung der „Vereinigten Breslauer Theater" nicht an die Vorführung
schichte des deutschen Dramas und Theaters erweckten, war Artur
der ganzen Reihe gewagt, sondern von den sieben Einaktern den zweiten
chnitzler nicht bloß der am meisten versprechende. Er hat in Liebelei
und vierten Dialog „Weihnachtseinkäufe" und „Denksteine", an
39 und „Freiwild“ (1890), den beiden Einakterreihen „Der grüne
denen beiden der Raisoneur Max nicht teilnimmt, und den sechsten
kadu" (1899) und „Lebendige Stunden“ (1902) ausgezeichnete Bühnen¬
Dialog „Agonie", dessen Erfahrungen wohl Anatols Heiratsentschluß
icke, in der Renaissancettagödie „Der Schleier der Beatrice" (1900)
hervorrufen, ausgeschieden. Das Spielen der vier übrig bleibenden Ein¬
ne wirklich großangelegte und mit seltener poetischer Kraft durch¬
akter kann man aber kaum mit dem Theaterbureau als „Erstaufführung
führte Dichtung geschaffen. Aber das unverdiente Mißgeschick, das
bezeichnen, denn die einleitende „Frage an das Schicksal“ ist im
erade dieses Drama verfolgte, scheint lähmend auf sein weiteres
Frühjahr 1900 von der „Freien literarischen Vereinigung" auf die Bühne
schaffen gewirkt zu haben und man kann es nicht vergessen, daß es
gebracht und dann im September in den regelmäßigen Spielplan des
i der Macht der Breslauer Bühnenleitung gestanden hätte, den „Schleier
Lobetheaters aufgenommen worden. Der fünfte Einakter des Zyklus
er Beatrice" zum Siege wehen zu lassen, wenn bei seiner Uraufführung
„Abschiedssouper" ist im Lobetheater zum ersten Mal am 26. Dezember
die Rolle der Beatrice / Vilma Illing und nicht einer für die große Auf¬
1900 gegeben worden. Anatol und seine Geliebten wurden beide Mal
abe vollkommen ungeeigneten Naiven zuerteilt worden wäre. Was damals
von Herrn Lettinger und Fräulein Nolewska, der Max das eine Mal
in Schnitzler gesündigt worden ist, bleibt dauernd ein böser Schuldtag
von Herrn Botz, im „Abschiedssouper“ von Herrn Ziegel gespielt. Jetzt
in der Breslauer Theatergeschichte. Mit dem im Lobetheater noch ge¬
sind die Rollen der Freunde Anatol und Max in allen vier Stücken den
pielten „Einsamen Weg begann Schnitzler eine Dramenreihe, deren
Herrn Skoda und Müller anvertraut worden, während für die vier
ausgeklügelte, schon mehr physiologische als psychologische Voraussetzungen
süßen Mädels, die verlogene Cora, die Zirkusspringerin Bianca in
die Schauspiele „Der einsame Weg" und „der Ruf des Lebens" (1905)
„Episode", die freche Annie und die eifersüchtige Ilona, von Herrn
vie die Komödie „Zwischenspiel, die wir mit Kainz im Schauspielhause
Regisseur Bonno die Damen v. Pothy, Jauck, Lamberg und Fabry
zu sehen bekamen, von vornherein zu verunglückten Experimenten machen
ausgewählt wurden. Die kleinen Rollen des Kellners im „Abschieds¬
nußten. Freudige Erwartung dagegen wurde erregt, als sich Schnitzler
souper" und des Dieners Franz am „Hochzeitsmorgen" wurden von
nach der wenig gelungenen Ausführung einer dritten Einakterreihe, der
den Herren Mandel und Siegler gespielt.
Marionetten" (1903), wieder einer größeren Aufgabe zuwandte und
Fräulein Jauck hat nun dabei freilich den Kranz des Abends
leichsam als Gegenstück zu dem halbhistorischen Renaissancedrama ein
davongetragen. Annie erzählt, wie in ihrem neuen Geliebten, dem
Menschenschicksal auf dem Hintergrunde großer Tage vaterländischer Ge¬
Tänzer Karl „das Theaterblut zu wurd'n angefangen hat". Nun, so
chichte im dramatischen Bilde zu gestalten versuchte.
rechtes Theaterblut hatte die Darstellerin selber. Ohne Übertreibung
Die österreichische Kaiserstadt im Jahre 1809 und das Bologna der
und doch mit höchst drastischer Wirkung hat Fräulein Jauck die
Bentivoglios im Beginn des 16. Jahrhunderts haben wenig mit ein¬
ganze Szene, Schwips und Erzählung, in fortwährender Stei¬
ander gemein, aber unverkennbar wollte Schnitzler in seiner „Dramatischen
gerung allerliebst gespielt. Freilich hat auch Herr Müller,
Historie Der junge Medardus" (Berlin, S. Fischers Verlag 1910,
dessen Max in allen vier Stücken eine Musterleistung diskreter
290 S. 80) ein Gegenstück zum „Schleier der Beatrice" gestalten. Wie
Charakterisierung und Akkomponierkunst war, im „Abschiedssouper
Bologna durch Cäsar Borgia ist Wien durch Napoleon bedroht. Zur
durch sein natürlich herzliches Lachen die Zuschauer selbst zum
patriotischen Abwehr scheint sich die im Wohlleben erschlaffte Bevölkerung
Lachen gezwungen, aber den größten Beifall des sehr gut besuchten
aufzuraffen. Da reißt ein Zufall den jungen Medardus aus der Schar
Hauses erntete doch nach Verdienst Frl. Jauck. Herr Skoda dagegen
der ins Feld aufbrechenden Krieger heraus und treibt ihn statt aufs Schlacht¬
war als Anatol wohl im einleitenden Stücke am meisten nach dem Sinne
eld in das für ihn viel gefährlichere Gewoge tollster Liebesleidenschaft.
des Dichters, dem er auch noch im „Abschiedssouper entsprach. In der
Wie Beatrice für den Dichter Filippo Loschi wird die Prinzessin Helene
„Episode" spielte er in ironischem Pathos die Enttäuschung Anatols auf
von Valois für den von der Phantasie beherrschten Medardus Klähr
das Komische hinaus, wo doch ein wehmütiger Hauch des enttäuschten
die ebenso anziehende als abstoßende Sphinx, in deren Umarmung er
Poeten mitklingen sollte. Wie Anatol hier von seinen Erinnerungen
aumelnd zugrunde geht und die zugleich Geliebte und Gehaßte mit sich
spricht, das klingt an die Worte an, die Goethe einmal (1779) auf seine
verdirbt. In seiner Vaterstadt Wien, in ihrer Gegenwart wie Ver¬
eignen Dichtungen anwandte:
gangenheit ist der österreichische Dichter zu Hause und in typischen Ver¬
„Holde Zeugen süß verträumter Jahre,
tretern führt er das „Kapua der Geister" vor, wie ein Größerer die
Falbe Blumen, abgeweihte Haare,
schöne, leichtlebige und entnervende Kaiserstadt an der blauen Donau
Schleier, leicht geknickt, verblichne Bänder,
liebend gescholten hat. Hier war Schnitzler naturgemäß in vertrauterer
Abgeklungner Liebe Trauerpfänder.
Umgebung als unter den Bürgern, Künstlern und Hofleuten des alten,
Damit ist es natürlich ganz und gar nicht vereinbar, wenn Anatol
stolzen Bologna. Allein über den lebenswahren Einzelschilderungen ist
an seinem „Hochzeitsmorgen" als ein voller Kretin erscheint. Nichts
ihm die dem Drama notwendige Konzentration abhanden gekommen
schlimmeres kann man der feinen, graziösen Dichtung antun, als wenn
mit der er im früheren Werke so meisterhaft das ungeheure Menschen¬
man den stets verliebten Poeten Anatol, in dem Schnitzler sich selbst
schicksal in die Zeiteinheit einer einzigen Nacht zusammendrängte. Der
gezeichnet hat, nach dem leider so beliebten Vorbilde Alexanders spielt.
fortwährende Szenenwechsel wie die Unmenge der Personen lassen die
Herrn Skoda, der im ersten Stücke den lieben, leichtsinnigen Kerl
„dramatische Historie" mehr als Lesedrama denn als Bühnenstück er¬
so treuherzig zu spielen wußte, stehen bei seiner Künstlerschaft
scheinen. Für die haltlose und wechselnde Schwärmerei des jungen
weit bessere Mittel zu Gebote, als daß er die Manieren der im
Medardus selbst kann man wenig Teilnahme aufbringen, und der Vor¬
Berliner Residenztheater gespielten Possen auf Schnitzlers liebenswürdig
zug des treu getroffenen Wiener Lokalkolorits dürfte außerhalb Öster¬
feine Lustspielszenen anzuwenden brauchte. So wie es im „Hochzeit¬
reichs die Theaterbesucher nicht für die vielen Mängel der dramatischen
morgen" geschehen ist, dürfen Anatol und Ilona nicht gespielt werden.
Historie entschädigen.
Herr Bonno hat mit großer Sorgfalt für elegante Schauplätze gesorgt,
Unter diesen Umständen kann man es den Theaterleitern in Deutsch¬
nur dürfte nach einer Außerung Anatols in der „Episode" der letzte Ein¬
land wahrlich nicht verübeln, daß sie, wie viel Dank sie auch Schnitzler
akter nicht in derselben Wohnung wie der erste spielen.
schuldig sind, sich doch zur Aufführung des ungemein schwierig zu in
*) Artur Schnitzler, Anatol illustriert von M. Coschell. Erste bis
szenierenden „Medardus nicht zu entschließen vermochten. Um aber
dritte Auflage. Berlin, S. Fischer Verlag 1901. 206 S. gr. 80. Geb.
den Dichter doch in etwas zu entschädigen, verfiel Otto Brahm auf das
Auskunftsmittel, das Erstlingswerk Schnitzlers, die 1893 erschienenen 5 Mk. — Ohne Illustrationen 10. Auflage 1909. 146 S. 80. Geb. 3 Mk.
Jedenfalls hat sich
unterhalten, ohne sich
an der in der Tat fa¬
Will man Schnitzler
Reiz des gewandten
erfreuen, so muß man in
Maßstab überhaupt von
erotischen Keckheiten
ursprünglich (1896/97)
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sehr harmlos. Es gilt
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„Agonie" aber erleben
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a. Murgers „Scènes
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Teile zum Leben auf
Theaterblut länzend