II, Theaterstücke 4, (Anatol, 8), Anatol, Seite 198

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(Quellenangabe ohne Gewähr).
Ausschnitt aus Neue Badische Landes Zeitur
Mannheim
JUNI 1911
vom
Aber er muß glücklich sein dabei und glücklich machen, sonst der Anatol, Herr Kökert der
kann er nicht lieben. Unglückliche Liebe kennt er nicht. Denn war Mitteldeutschland, Herrn
1
Feuilleton.
Königsberg gestanden zu habe
jede Liebe bedeutet ihm ja etwas, wenn nicht mehr in der
Wirklichkeit, so doch in der Erinnerung. Auch Enttäuschungen Wien bedeutend näher. Herr
Hof= und Nationaltheater.
stalt, die wir als Anatol kenn
bereichern, und haben sogar als Reminiscenzen einen größe¬
bröckelte, im „Hochzeitsmorgen
ren Stimmungswert als Beglückungen. Anatol, ob er von
„Anathol von Arthur Schnitzler.
einem Mädel verlassen wird oder es selbst verlassen muß, hat lich, zu eruptiv, zu gemacht.
nicht von mir, sondern von
Erstaufführung.
immer Mitleid mit sich. Er leidet unter dem Verlassen und
anerkennend schmunzelte: ein
Verlassenwerden gleichermaßen. Die Melancholie hängt über
Gestern und heute Wien, gestern und heute die Liebe,
wohl, das war Rormunds Anato
seinen glücklichsten, leichtsinnigsten Stunden. Hinge sie nicht
estern und
heute
en
Dichter. Gestern Hof¬
selbstverständliche Ruhe mit.
darüber, wären ihm die Stunden weniger wertvoll. Die
nannsthals „Rosenkavalier", heute Schnitzlers „Ana¬
als Herz zu sein, darf also
Liebe ist ihm alles, die Geliebte scheint ihm alles. Jede Frau
ol". Dieselbe Luft, dieselbe örtliche Grundstimmung hat
Anatol nicht darf.
alt er für die letzte, solange und weil er von der nächsten
beide erzeugt. Sie sind Kinder eines Landes, einer Stadt.
Und die Damen? Da wo
noch nichts weiß. Er ist zu einem Teil ein Künstler der Liebe,
Aeußerlich zwar durch ein Jahrhundert getrennt! Aber dieses
neues Bild einer alten Rolle ga
denn er geht in ihr auf, und zum anderen Teil bleibt er in
Jahrhundert hat das Milieu nicht geändert, sondern nur
Die Künstlerin gab ein paar üb
diesen seiner Kunst Dilettant, weil er ihre Mittel mehr liebt
anders gekleidet. Drum konnte auch Hofmannsthal im Jahre
auch ein Ganzes, das wirklich
als ihren Zweck und daher ihre Mittel handhabt, ohne ihren
1892 zu Schnitzlers „Anatol“ einen Prolog dichten, der zur
ausfah, allwo sie durch Reisen
Zweck zu erreichen. Er steht also zwischen Künstler= und
selben Zeit spielt wie jetzt sein „Rosenkavalier.
bacher betätigte sich wiederum
Dilettantentum, d. h. er ist der Aesthet der Liebe.
Noch erfüllt vom Dufte dieser Dichtung, die man lieben
wandte Dilettantin. So wie
Neben ihm Max, der ältere Freund... Alfred Kern
muß, auch wenn man Richard Strauß nur achtet, trat man
im „Abschiedssouper spielte,
hat diesen behäbigen, lugen Genießer endgiltig benamst
„Anatol“ heran. Hier ist alles klarer, aber auch kühler
manchmal besser, manchmal
der Betrachterich! Er sieht alles, erkennt einiges und be¬
näher, aber auch weniger zart. Im „Rosenkavalier" erleben
und schwer. Auch Fr. Bla
schwatzt vieles. Er hält sich zu sehr an die einzelne Frau.
wir das Wunder der Liebe, im „Anatol“ erkennen wir ihre
Ilona zu massiv und kämpferis.
Er ist der Nüchterne, denn er geht von dem Einzelfalle aus.
Psychologie. Der junge Schnitzler schildert die Liebe, der
risch. Fri. Hummel began
Er hat nicht die Kraft zur Deduktion. Die Liebe zerfällt ihm
reife Hofmannsthal träumt sie. Das ist der Unterschied
ihre Art ist, wurde aber ebensa
in Gelegenheiten, die man suchen und nutzen muß.
Anatol ist der Mann, der keiner Frau, sondern allen
mung, die Stimmung des Gan
gehört. Er besitzt wohl die einzelne Frau mit lebemännischer
Um Max und Anatol die Frauen. Ueber sie ist
Die Inszenierung poussier
Souveränität, aber von der Gesamtheit der Frauen wird er nichts zu sagen. Sie gleichen sich alle oder gleichen sich
90er Jahre. Die Szene der
selbst besessen, als teures Gut, das immer wieder verloren und
auch nicht, tun alle dasselbe oder tun auch nicht dasselbe
glücklich im Bilde, aber
gefunden, preisgegeben und wieder erobert wird. Der arme was weiß ich und was wißt ihr? Wir wissen alle nichts.
glückliche Kerl Die alten Leute, die schnell fertig mit dem
Wir fühlen ihre Launen und vermuten dahinter einen Willen.
Worte sind, wenn es die Liebe (der Jungen!) betrifft nennen
Wer weß, was von beidem das Wirkliche, das Existence ist.
Um alle, um Anatol und Max, um Cora, Gabriele,
ihn einen Don Juan. Das ist er aber gar nicht. Der Don
In (der historische und seine Nachfahren in Dichtung und
Bianca, Annie und Ilona webt die Luft der einen Stadt
Geschichte erobert und fällt das Weib, wie ein Jäger sein
Wien, dieser Stadt mit den vielen idyllischen Vororten, die
aber selber nur ein idyllischer Vorort ist — ohne Hast un
Wild zur Strecke bringt. Der Juan liebt die Jagd — auf das
Unras, mit dem Gemüt und der Gemütlichkeit altfränkischet
Weib. Tut das auch Anatol? Er ist zu sehr Aesthet, um eine
Kleinstädte. Nur hier kann Anatol viele, viele lieben, ohne
so, kriegerische Tätigkeit wie das Erobern und eine so hastige
ein Schürzenjäger zu sein, nur hier kann er viele Herzen
wie das Jagen zu lieben. Er liebt — ja, wen liebt er eigent¬
beglücken, ohne eines zu brechen. Denn hier gibt es keine
lich? Das Weib selbst? Man kann nur eines, ein einziges
Katastrophen. Die Luft ist zu weich dazu und der Himmel
lieben. Wen also sonst liebt er? Nun denn er liebt die Liebe
zu blau und das Wort zu kosend und sein Sinn zu flüch¬
Die Liebe als Stimmungswert, als Lebensinhalt, als seelische
tig... Diese untragische Stimmung ist das köstlichste an
Energie, als unveräußerliche Reministenz, kurzum, als eine
„Anatol“ und das feinste an der manchmal noch zu thea¬
Bereicherung seiner selbst. Anatol liebt sich und darum die
tralischen Kunst dieser Dialoge. Alles, alles vergeht. Aber
Liebe. Sucht man daher nach einem historischen Vorbild für
ihn, so darf man nicht auf den Don Juan, sondern nur auf das Vergehen ist schön, so schön.
Der Aufführung im Hoftheater merkte man nicht an,
Casanova verfallen. Juan war der Feind, Casanova der
daß Herr Reiter, der die Regie führte, ein Wiener ist.
Freund der Frauen. Casanova lebte als Philosoph und starb
Nichts von jener melancholischen Gelassenheit, die über die
als Christ. (Dies seine letzten Worte: J'ai vécu en philo¬
sieben Dialoge fließt wie Sonnenglanz über den Fluß, war
sophe, je moers en chrétien.) Er beging tausend schöne Sür¬
in der Darstellung. Man pointierte, man unterstrich, man
den, ohne als häßlicher Sünder sterben zu müssen. Er
war lustig, weil es der Dichter will, und man war schwer¬
brauchte den steinernen Gast nicht zu fürchten.
So auch Anatol. Er muß lieben, sonst lebt er nicht fällig, trotzdem er es nicht will. Herr Rotmund war