II, Theaterstücke 4, (Anatol, 8), Anatol, Seite 204

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yklus
4.9. Anatol

et wird, ist typisch für die Wiener Litera¬
herr aufgegangen ist, sich zu stärkerem Glanze ent= vier weiblichen Hauptrollen haben sich Frin. No¬
die jüngste Zeit; gerade so wie die
falten sollte, in Karl Schönherr, dem Dichter von
velly und Frl. Boltény geteilt, und zwar so, daß
rischen süßen Wiener Mädels, die in der
„Sonnwendtag“ und „Glaube und Heimat“
erstere die Bianca und die Annie, letztere die Ga¬
liebt und in der Vorstadt geheiratet wer¬
mit dem für die Wiener Literatur das Morgen¬
briele und die Ilona gibt. Frl. Novelly hatte
aber doch eine etwas gesundere. Blut
rot einer Zeit aufzusteigen scheint, einer Literatur,
einen sehr guten Tag, namentlich im „Abschieds¬
aufweisen als ihr männliches Gegen
die aus dem Volk und seiner Geschichte geboren,
souper entwickelte sie bei aller dezenten Zurück¬
ihnen die Melancholie wenigstens das
die wenigstens gesund ist in ihrem Wesen, wenn
haltung Temperament und Grazie. Auch Frl.
ment nicht ganz getötet hat, wenn sie auch
ihr auch vorläufig noch Schlacken genug anhaften.
Boltény zeigte sich wieder als gewandte Dar¬
n Holz gemacht sind, aus dem sich keine
Wenn man den Schnitzlerschen Einakterzyklus
stellerin, obgleich auch sie mir für das süße Mädel
ein Ibsenschen Frauengestalten schnitzen als ganzes Werk erst jetzt auf die Bühne gebrach
in diesen Rollen allzu robust erschien.
und hier liegt der wunde Punkt des
hat, so liegt das einerseits wohl an der Armselig
Man hatte am Samstag abend zum ersten Mal
literaten- und Wienertums. Nirgends
keit unserer dramatischen Literatur in den letzten
einen Versuch mit der Verkleinerung der Szene
kige Figur, nirgends ein Mann oder eine
Jahren, andererseits in dem Werke, als Drama
gemacht. Nicht alle Mängel, deren Grund in der
e das Schicksal in die Schranken fordern, betrachtet, selber. Denn zu der durch das Wesen
Größe des Theaters und in der Vereinigung von
ein Wesen, das zur tragischen Helden¬
der Einakter bedingten Zerrissenheit der Handlung
Opern= und Schauspielbühne liegt, lassen sich auf
vorgehoben werden könnte — nur semi¬
kommt die Episodenhaftigkeit der Plaudereien
diese Weise beseitigen. Aber sie werden teilweise
Männer und nette kleine Mädchen. Dieser
denen z. T. auch das echte bramatische Rückgrat gemindert, die Darsteller können Spiel und
e Zug, der charakteristisch ist für das
fehlt — alles Mängel, die bei einer Aufführung
Sprache in eine bessere Harmonie bringen und
dienertum, zu dem es auch im politischen
auf der Bühne viel klarer zu Tage treten als beim
das Publikum braucht nicht mehr alles zu er¬
es österreichischen Volkes eine Parallele
Lesen des Buchdramas.
raten, was auf der Bühne gesprochen wird. Zu
seinen prägnantesten Ausdruck, seinen
Der hiesigen Aufführung gelangen nicht alle
ganz reinen künstlerischen intimen Wirkungen
hen Niederschlag in Schnitzlers „Anatol
Einakter gleichmäßig gut. Den Anatol spielte
wird man aber auch auf diesem Wege nicht voll¬
Und darin liegt die kulturgeschichtliche
Herr Hardel, sein gesunderes, aber mehr episo¬
ständig kommen, nicht kommen können.
dieser dramatischen
Dichtung
denhaftes Gegenstück Max Herr v. Falkenhausen.
Stück und Spiel wurden vom Publikum sehr
Eine umgekehrte Besetzung hätte ich für vorteil¬
freundlich aufgenommen. Es zeigte sich eben, daß
el Kritik die obigen Ausführungen auch hafter gehalten um der äußerlichen Erscheinung
ein Schnitzler immer noch einem Dutzend unserer
, die letzte Feststellung allein ist Be¬ willen; den kraft= und saftlosen müden Anatol
modernen Durchschnittslustspiele die Wage hält.
zug, daß sie keine Verkleinerung Schnitz¬
hätte Herr v. Falkenhausen äußerlich vielleicht
Dichter in sich schließen. Arthur Schnitz¬
treffender verkörpern können als Herr Hardel,
Führer des einstigen „Jung=Wien“, das
dessen Anatol körperlich nach meinem Empfinden
ch schon alt geworden, ist immer noch der
bei aller Eleganz einen zu gesunden Eindruck
ste und witzigste unter allen seinen Wiener
machte. Sonst spielten beide vorzüglich. Die
ssen. Sein Name wird auch dann als
Cora des Frin. Koch im ersten Einakter ließ zu
er Stern am literarischen Himmel Wiens
wünschen übrig, der somnambule Ton wurde von
wenn der neue Stern, der in Karl Schön der Dame nicht recht getroffen. In die übrigen