II, Theaterstücke 4, (Anatol, 8), Anatol, Seite 210

4.9.
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nato-
k


Kgl. städt. Theater.
Arthur Schnitzlers „Anatol."
„Aus meinen großen Schmerzen mach ich
die kleinen Lieder," — so plauder: Heinrich
Heine eine Intimität aus seiner poetischen
Werkstätte aus. Schnitzler könnte ähnlich
Mutsche Lage
22.
von sich sagen. Die Kunstart, aus einem tiefen
rechnete Salon=Ton des Sprechens prädestinie¬
ethischen Probleme ein kleines, + ungemein
ren ihn ausdrücklich für das Konversationsstück.

graziles, literarisches Ding, sei es eine Novel¬
Er war eine klare Verkörperung Anatols, die¬
lette, sei es einen Einakter oder nur einen
ses Idealtyp's des männlichen Exotikers
von
Dialog, zu machen, ist seine ureigentliche Do¬
Heute: immer nur Sünde, niemals Zote,
mäne. Von allen diesen Schnitzler'schen Bi¬
Ausdruck der wunderbarsten Kraft des Le¬
joutterien könnte man sagen, was Marie von
bens: sonniger Geschlechtsfreudigkeit. Aber
Ebner=Eschenbach
von dem „kleinen Liede auch alle anderen Darsteller hatten das volle
sagt: „Es liegt darin ein wenig Klang, ein Gewicht.
Herr Trimbacher nivellierte die
wenig Wohllaut und Gesang und eine ganze Schwere seines tragenden Organes durch Ele¬
Seele. Dieses Genre ist die künstlerische Hee¬
ganz des stummen Spieles und Elastizität des
mat des Dichters. Wenn er sie, wie z. B. im
Dialogisierens. Überhaupt der Dialog. Endlich
„Zwischenspiel oder gar im jungen Meder
hörte man gestern wieder, wie der richtige Kon¬
dus, verläßt, um sich auf ein Gebiet zu be¬
versationsdialog sich zu vollziehen hat, Na¬
geben, das für ihn ein künstlerisches Ausland.
mentlich in den „Weihnachtseinkäufen", wo
die Fremde, ist: dann stellt sich paradoxerweise
Fräulein Olga Grünwald, eine sehr sym¬
nicht bei Schnitzler selbst, sondern bei dem, der
pathische Salondame, mit so vielem vornehmen
diesen Dichter liebt, das — Heimweh ein.
Parfume, manchmal in den anmutigen Zwi¬
ja, auch das künstlerische Ausland Schnitzlers
scherlauten des richtigen weiblichen Sprechers,
hat seine Regis. Aber „dahoam is dahoam
zu sprechen wußte. Marianne Karina er¬
Wie¬
Diese kleinen Sachen sind halt doch viel en¬
füllte sowohl die Rolle der Cora wie die der
zückender als die monumentalen Werke, durch
Bianca in der „Episode" mit allem Dufte na¬
die Schnitzler die österreichische Literatur berei¬
türlicher Mädchenhaftigkeit. Im „Abschiedsson¬
chert hat. „Anatol“ und „Lebendige Stunden
per war die Anni des Fris. Mela Münzer
bleiben das eigentlich Typische an Schnitzler.
ein niedliches Kabinettsstückchen temperament¬
Daß die fünf „Anatol-Einakter für das
voller Darstellungs-Plastik. Die Ilona des
Olmützer Theater eine Novität waren, ist eine
Frl. Liebwalt war sehr tief erfaßt in der
Tatsache, die den Referenten in den Zustand
ganzen Anlage sowohl, wie in der Erfassung
einer Art kritischer Melancholie versetzt. Längs
hysterischer Affektationen. Die Regie des Herrn
Gesagtes noch einmal sagen! In eine Zeitung
Paulmann sorgte für Eleganz und mög¬
zu setzen, was schon lange in der Literaturge¬
lichst gute Ausstattung der Szenenbilder,
schichte steht Und so sehr neuartig auch heute
von gewissen Wiener Geschäfts Auslagen
na¬
noch diese fünf Akte anmuten, so überholt türlich vollständig abgesehen. Alles in allem:
müßte ein Referat klingen, das sich darin ge¬
ein tadelloser Abend, auf den wir das Publi¬
fiele, „Anatol“ heute als eine „Novität" auszu
kum aufmerksam machen. Publikum? Das
fassen. Hier fünf literarische Immortellen,
Haus war ja nicht gerade schlecht besucht. Aber
und da eine Zeitung von — gestern Nein!
dieser Abend hätte eben einen noch besseren
Es war mir peinlich genug, als ich hier vor
Besuch verdient. Jetzt hat das Publikum au¬
drei Jahren über Ibsens „Rosmersholm
genscheinlich ein gutes Schauspiel. Warum
5
24 Jahre nach der Ur=Aufführung!
kommt es also nicht in hellen Scharen? Wo
schreiben mußte. Es ist ja klar, warum
steckt es denn? Hinter dem Ofen? — Der
diese fünf Akte so spät in das Repertoire eines
Teufel soll es holen!-
ch.
Provinztheaters eingliedern sie erheischen eine
ausgesuchte Darstellergruppe von einer ganz
spezifischen Art, wie sie das Theater nicht alle
Jahre findet. Der Durchschnitts=Komödiant
macht eine verzerrte Posse daraus. Aber diese
fünf Sachen müssen so gespielt werden, als
würden sie gar nicht von ungeschlachten Men¬
schen dargestellt, sondern nur von kleinen, zier¬
lichen Porzellan=Figurchen auf einen kostbaren,
mit Perlmutter eingelegten Spieluhr, die dazu
leise, mehr in Moll als in Dur, einen Lan
ner'schen Walzer ausspielte, während dem ver¬
träumten Zuschauer von irgendwoher ein feine
Thymian=Duft entgegenströmte...
Und mit diesem Bilde surde ich der Tar¬
stellung des gestrigen Abends das höchste Lob.
Sie gab sich so. Ja, ich mache mich ganz be¬
stimmt keiner Übertreibung schuldig, wenn ich
erkläre, daß ich — so weit es sich um die bo¬
denständigen Ensembles handelte — seit Jah¬
ren in Olmütz keinen so vollends abgerunde
ten, harmonisch zusammengestimmten Theater¬
abend miterlebt habe, wie den gestrige