II, Theaterstücke 4, (Anatol, 8), Anatol, Seite 381

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Zyklu-
4.9. Anatol
.

Mailand, Minneapons,
Paris, Rom, San Francisco, Stockholm, St. Petersburg.
(Quellenge eine Gew).
Ausschaft Strassburger Post
von
Schwermütigkeiten brachte die Vorstellung noch zwei muntere Scherze.
Straßburger Stadttheater.
Zunächst die Episode. Anatol hat seinem Freunde von einem schönen
Anatol.
Kinde berichtet, das ihm früher einmal einen köstlichen Abend geschenkt
hat. Damals war sie bei ihm in all ihrer Lieblichkeit. Er saß an dem
K. S. Straßburg, 13. April.
Klavier und phantasierte, zu seinen Füßen lag Bianka, ihr goldenes
In einem Vorwort zu Schnitzlers Anatol-Einaktern, dieser Sannn
Haar überrieselt von den blauen und roten Lichtern einer Ampel. Und
lung geistreicher dramatischer Dinge, hat Hugo v. Hofmannsthal ein
er erzählt, daß dieses Mädchen ihn wahrhaft geliebt habe, daß er für
mal des Freundes Art sehr hübsch bezeichnet. Er sagte:
sie gewiß das Schicksal geworden sei. Bald darauf taucht die Geliebte
Also spielen wir Theater
auf. Doch siehe! Sie kennt ihn gar nicht mehr, verwechselt ihn sogar
Spielen unsere eignen Stücke
mit einem andern, und Anatol stürmt, um eine schmerzliche Erfahrung
Früh gereift und zart und traurig
reicher, von neuem ins Leben und zu den Frauen. Zum Schluß endlich
Die Komödie unserer Seele...
gab es Anatols Hochzeitsmorgen. Die letzte Junggesellennacht
Kürzer und schlagender hätten die kleinen Bilder aus dem Leben
nach dem Polterabend, hat Anatol auf der Redoute durchbraust. Die
des Wiener Junggesellen und Schwerenöters Anatol
nicht
fesche Ilona hat ihn nach Haus begleitet, nun ist der
charakterisiert werden können. Wenn sie an uns vorüber¬
Morgen da, und die Hochzeitsglocken wollen läuten. Jetzt gilt es,
flattern wie bunte Schmetterlinge im Sonnenschein, farben¬
Abschied nehmen von der goldenen Freiheit. Ilona aber macht ihm da¬
glänzend und über Blumen gaukelnd, möchte man glauben, Scheiden schwer. Sie ahnt, daß sie den Freund verlieren soll, und
Schnitzler habe in diesen munteren Sächelchen ein Stück seines eigenen alles Lügen und Ausreden hilft nichts. Als sie die Wahrheit erfährt,
Lebens und einen Teil seiner eigenen Liebe und Schwärmerei nieder¬
gibt es die tollste Szene. Nur Anatols Freund, der kluge, skeptische
gelegt. Jedenfalls klopft und zittert in ihnen das „goldene Wiener
Max, weiß die Rasende zu bändigen. Während Anatol zur Trauung eilt
Herz, von dem ja die Sage geht, es sei etwas anderes als die übrigen beruhigt er sie. Warum denn so aufgeregt? Muß man sich denn tren¬
Menschenherzen, es sei wärmer, leidenschaftlicher, unbeständiger, aber
nen? Wer weiß, vielleicht kehrt Anatol bald wieder in ihre Arme
auch aufrichtiger und darum verzeihungswürdiger als die Herzen der
zurück, trotz junger Frau und Ehe! Und Ilona versteht das. Mit einem
anderen, die nicht das Glück hatten, in der einzigen Wernerstadt, an vielsagenden „Auf Wiedersehen" läßt sie sich, nun endlich beruhigt, aus
der schönen blauen Donau beheimatet zu sein. Aber sind es auch
der verlassenen Junggesellenwohnung führen. Das alles bringt Schnitz¬
keine Selbstbekenntnisse und Selbsterlebnisse des Verfassers, die im
ler mit Geist und Witz zum Vortrag. Sein seiner Geist und sein liebens¬
Anatol uns vorgeführt werden, so sind es doch die Erlebnisse eines würdiger Humor bewahren ihn vor jeder Taktlosigkeit; er kann und dar
Vollblutwieners, für den es nichts Schöneres und Höheres auf der alles sagen, weil er stets anmutig bleibt und im entscheidenden Augen¬
lustigen Welt gibt, als lieben und geliebt zu werden; Bekenntnisse blick die hohe Kunst des Schweigens versteht. Die Aufführung der vie¬
einer zärtlichen Seele, über der bei allem Leichtsinn und aller Lustig¬
Niedlichkeiten war ziemlich flott und artig. Herr v. Prangen als
keit doch etwas Schwermütiges und Banges schwebt, wie etwa über Anatol hatte in Rede und Haltung Geschmack und den erforderlichen
den Walzern und Polonnaisen Chopins, in deren frischen Rhythmen ja Charme, wenn manches auch noch schärfer pointiert und hinreißender
auch so etwas unfaßbar Ernstes mitschwingt. Von diesen reizenden
hätte geboten werden können. Den vielerfahrenen Freund Max spielte
Stückchen bekamen wir heute Nachmittag in der zweiten literari
Herr Ernst gewandt und welterfahren; nur die Deutlichkeit ließ mitunter
schen Vorstellung des verwehenden Theaterwinters vier der zier
etwas zu wünschen übrig. Auch die Damen Bozena Zajic (Cora),
lichsten und geistreichsten zu hören. Den Anfang machte die Frage Krüger-Michaelis (Gabriele), Meißner (Bianca) und Lang¬
an das Schicksal. Anatol, der Ewig=Verliebte und Ewig-Treulose
felder (Ilona) fügten sich anmutig in den bunten Rahmen ein. Im
ist überzeugt, daß sein gegenwärtiger Schatz, die niedliche Cora, ihm
leider nur schwach besuchten Hause herrschte von Anfang an angeregte
ebensowenig die Treue hält, wie er ihr. Er möchte sich Gewißheit Stimmung. Man freute sich über die geistreichen Einfälle und nahm die
verschaffen und benutzt dazu auf den Rat seines Freundes, des Skep¬
kleinen Pikanterien mit liebevollem Verständnis auf. Zu sittlichen Ent¬
tikers Max, die Hypnose. Nun sitzt das Mädel in tiefstem Schlafe von
rüstungen lag auch wahrlich kein Anlaß vor. Das Leben ist nun ein¬
ihm. Er kann sie ausfragen, er darf an das „Schicksal eine Frage
mal sol
stellen, darf allen Zweifeln ein Ende machen, im entscheidenden Augen¬
blicke aber fehlt ihm der Mut zur Wahrheit. Warum etwas hören
was ihm Pein verursacht? Möglich, daß Cora ihn betrügt, möglich
auch, daß sie ihn wirklich liebt. Die Hauptsache ist doch, daß er zurzeit
unter dem Einfluß ihres lieben Wesens steht und sich glücklich fühlt.
So weckt er sie auf. Die Frage an das Schicksal bleibt ungetan, und
das Mädel schmiegt sich in frischerwachender Zärtlichkeit an ihn an
Dann kamen die Weihnachtseinkäufe. Auf der winterlichen Straße
hat Anatol eine Dame der vornehmen Welt getroffen. Er möchte ihr
den Hof machen, möchte ihr artig zu erkennen geben, daß sein Her¬
heimlich für sie glüht, die junge Frau aber weicht ihm aus, und ehe
er es sich versieht, muß er ihr von seinem kleinen Vorstadtmädel er¬
zählen, gibt er der, die er erobern möchte, Aufschlüsse über eine andere
Zum Lohne dafür darf er dem armen Mädel draußen in der Arm¬
seligkeit die Blumen der gnädigen Frau bringen, und die Gnädigste
fügt der Gabe die sanft resignierenden Worte bei: „Sagen Sie Ihrer
Liebsten, die Blumen seien von einer, die auch so lieben möchte, wie
Sie, die aber nicht den — Mut zu solcher Liebe hat." Neben diesen kleinen