II, Theaterstücke 4, (Anatol, 8), Anatol, Seite 397

4.9. Anatol - Zyklus
box 9/1
(Quellenangabe ohne Gewähr.)


Ausschnittsregel freund, Dornbir

vom
Dornbirn, 28. Mai. (Die Abschiedsvor¬
stellung der Robertbühne, die gestern
in Mohren als Ehrenabend für Watkin
Krauer gegeben wurde, wies leider einen
hr als mittelmäßigen Besuch auf. — Herr
Brauer hatte sich Arthur Schnitzlers „Anatol¬
gewählt. „Anatol“ ist ein Weltstadtstück, das in¬
nerlich und äußerlich um kein Haar besser ist
als „Der gute Ruf Sudermanns. Schnitzler.
in Wien, Sudermann in Berlin sind greif¬
bare Erscheinungen des sittlichen und künstleri¬
schen Niederganges unseres Bühnenwesens wie
unserer Literatur überhaupt. Abgesehen davon,
daß Schnitzler ein wirklicher Jude ist,
feiert jüdischer Geist und jüdisch=triviale
Lebensauffassung im Schrifttum unserer Tage
seit langem wahre Orgien. Innerlich hohl und
leer, können solche Stücke wie Anatol nur
einem wirklichen Großstadtpublikum gefallen, das
innerlich ebenso hohl und sittlich bresthaft ist,
wie diese „Dramen". Die jüdischen Zeitungs¬
literaten der Großstadtpresse tun de noch ein
übriges, den Schmarren aller Welt als un¬
geahnte Kunstleistung anzupreisen, als Beweis,
wie herrlich weit es der Mensch des 20. Jahr¬
hunderts gebracht habe. In diese Gruppe ge¬
hören „Die 5 Frankfurter", die bei uns
auch gegeben wurden und von dieser Gruppe
bekamen wir als Abschluß den gestrigen Schnitz¬
ler zu sehen. — Das Spiel war vortrefflich.
Watkin Brauers „Anatol“ hielt sich
durchwegs der Rolle angemessen natürlich und
war eine achtunggebietende Leistung des jungen
und talentvollen Künstlers; ebenso sehr gefiel,
wie immer, Willy Schenk, der sich als Max
ebenbürtig neben Anatol zu stellen wußte.
Frl. Elsa Luise Hauptmann war gestern
die reinste Zauberin und trat unter drei ver¬
schiedenen Namen auf die Bretter. Besonders
gefiel ihre Annie im 2. Akt und ihre Ilona
im 3. Akte, Willy Hochhäusler hatte als
Diener und Kellner zwar eine Doppelrolle, ohne
daß er dabei aber viel zu tun gehabt hätte.
Kurzum das mimische Können der Gesellschaft
hielt sich auf der altgewohnten Höhe, — wenn
auch das Stück, abgesehen von etlichen Situa¬
tionswitzen, durchaus unbefriedigt ließ.
Auf
Wiedersehen übers Jahr!
Rädler.
in
Ausschnitt aus¬



Tägliche Rundschau, Ger¬
Aus dem Kunstlehen.
Im Theater in der Königgrätzer Straße.
wurde gestern (Mittwoch) der Artur-Schnitzlei¬
Abend zum 29. Male wiederholt. Die Neubesetzung der
Frauenrollen gab Veranlassung zu erneutem Besuch der Vor¬
stellung. Ida Wüst war Emilie, war Anni, war Marga¬
rete. Sie war es nicht. Sie gab die Figuren in einer an
sich amüsanten Mischung von geistiger Beschränktheit und
instinktiver Gerissenheit, von Dirnenhaftigkeit und bour¬
geoiser Empfindsamkeit. Aber die Mischung stimmte nicht
ganz. Es fehlte das eigentlich Schnitzlerische; den zarte
Hauch, die sentimentale Süße, die Musik. Die Wirkung war
nach außen gekehrt, dem allzu Greifbaren, grob Bühnen¬
mäßigen zu. Herr Eugen Burg trug noch immer den
Solitär auf dem kleinen Finger und war noch immer nicht
Anatol. Von dem schwermütigen Zauber, der die Gestalt
des skeptischen „lusionisten umwittert, hat er keinen Hauch
verspürt, und noch weiß er nicht, daß Anatol ein Jüngling ist,
ein Träumer, trotz all seiner Ueberreife, müde und ein wenig
traurig, aber nicht der mit allen Wassern gewaschene, blasierte
Roué, für den Herr Burg ihn hält. Anatol-Stimmung
aber der Erinnerungen!
In der Königgrätzer Straße
wissen sie nichts davon.