II, Theaterstücke 4, (Anatol, 8), Anatol, Seite 404

4.9. Anatol - Zyklus
box 9/1
Ausschnitt aus: St. Peter
vom FB 1914


Konferanten.
— Gastspiel Ida Orloff im Theater „Komödie.
Am 24. Januar: Oesterreichischer Autoren¬
abend: „Letzte Spiele“, Drama in einem Akt
von F. Th. Csokor und „Anatol“ von Arthur
Schnitz. Die Frage an das Schicksal", „Episode
und „Anatols Hochzeitsmorgen"
Der österreichische Autorenabend brachte uns nicht
viel Neues. — Der Anatol=Zyklus ist hier recht be¬
kannt und zum Teil auch schon aufgeführt worden.
Und selbst Herrn Franz Theodor Csokors Drama aus
der französischen Revolutionszeit ist — es klingt selt¬
sam — uns hier nicht ganz unbekannt. Denn etwas
ganz Aehnliches frappant Aehnliches im Sujet, Szenen¬
führung, Zeit und Ort der Handlung, ja fast bis auf
das Personenverzeichnis — haben wir hier schon auf
der Bühne aufgeführt gesehen. Wir meinen des früh
verstorbenen, hochbegabten baltischen Dichters Einakter,
Karl v. Freymanns „Nach dem neunten Thermidor.
Auch Freymanns Einakter spielt in einem Pariser In¬
terims=Gefängnis (bei Herrn Csokor ist es ein „Vor¬
stadtkerker"); und auch hier ist es eine kleine
Gruppe zum Tode verurteilter französischer Ari¬
stokraten, die ihrer letzten Stunde entgegensehen.
In beiden Stücken inn sie es elegant, mit vornehmer
Sebstbeherrschung, lächelnden Mundes. Und in den
„Letzten Spielen, wie in „Nach dem neunen Ther¬
midor finden wir die Gruppe der Totgeweihten beim
Spiel: in dem ersten Einakter ist es das Kartenspiel,
im zweiten die Musik... Doch hört hier die Aehn¬
lichkeit auf. — Der Schluß ist ganz verschieden: bei
Herrn Csokor setzen hier starke, fast kraß dramatische
Szenen ein, bei Karl v. Freymann klingt das Bühnen¬
spiel in eine Tragikomödie aus. Und derselbe Unter¬
schied in der Fassung — in Ton und Stimmung
zieht sich auch durch beide sonst so ähnliche Einakter
hindurch. — Bei Freymann ist es die Psychologie der
Menschen im Stück, die uns fesseln soll, bei Herrn
Csokor die Situationsdramatik. — Die feinere Kunst
liegt in einem solchen Fall wohl stets im ersten. Aber
auch ohne Vergleich, an sich kann man dem österreichi¬
schen Dichter, so seine Stellen er zu Beginn seines
Dramas hat — in dem psychologischen Zusammenwirken
der drei Personen des Vicomtes Rogar, des Marquis
und der Marquise Duprel — den Vorwurf doch etwas
zu äußerlicher Angst= und Schreckensdramatik am
Schluß des Stückes nicht ganz ersparen.
Diese Art der Dramatik gab wohl auch dem Spiel
der Darstellerin der Therese Cabarns,
Frau
Ida Orloff nicht das nötige Matertal, um
ibre dramatische Kunst in ihrer ganzen Farben¬
pracht zu entfalten. — Sonst konnte das Spiel
im allgemeinen insofern befriedigen, als die Darsteller
taten, was sie konnten. Nur dem Autor mißglückte
die Darstellung der Rolle, die er übernommen hatte
(Jean Lambert Talien) ganz und ge¬
Im Anatol=Zyklus fanden wir das Orloff=Ensemble
wieder auf seiner Höhe. Den Anatol interpretierte
Herr Karl Satter recht eigenartig: mit streng
durchgeführtem Ernst im Ton, der vielleicht an
manchen Stellen für einen Lebemann die Sachen schon
etwas zu tragisch nahm, aber mit ganz vortrefflichen
Nuancierungen der einzelnen Momente und durch¬
lebten Stimmungen. Interessant war es jedenfalls,
daß in dieser ernsteren Auffassung die Psychologie Ana¬
tols eindringlicher zum Ausdruck kam als bei sonstigen
Darstellungen dieser Rolle, wo die unfreiwillige Ironie
dieser Selbstbekenntnisse in Gegenwart eines Freundes
oft zu deutlich gegeben wird. Den Freund Anatols
Max gab Herr Hermann Benke mit prächtigem
Humor und zugleich großer Natürlichkeit. Auch bei
ihm kamen durch eine vortreffliche Diktion die einzel¬
nen Nuancen im Dialog sehr wirksam zum Ausdruck.
Die Damenrollen in den drei Einaktern wurden in
aufsteigender Linie gegeben: gut war Hilde Tauszky,
als Cora, besser Lotte Normann als Bianca und
um besten Ida Orloff als Ilona. Die Künstlerin,
hatte hier wieder Gelegenheit, eine der vielen, ter¬
essanten Seiten ihres köstlichen Talents zu brillanter
Wirkung zu bringen. Ihre kapriziöse, tempérament¬
volle kleine Ilona war eine entzückende Leistung.
Erzvage.
L. Ein Staatsstreich in der Comedie Française.
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