II, Theaterstücke 4, (Anatol, 8), Anatol, Seite 420

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4.9. Anat
Zyklu-
Ausschnitt ausblatt, Wien
vom
Theater und Kunst.
(Deutsches Volkstheater.) Diese kleinen prickelnden
Szenen von Schnitzlers Anatolkomödien wirken ganz durch
sich selbst und jede für sich allein. Gleichen einander wie ein
Ei dem anderen, obwohl sie doch so verschiedenen Eindruck
hinterlassen. Eine lustige Maskerade voll sprudelnder Ori¬
ginalität. Trotz ihrer scheinbaren Gewagtheit sind die Dia¬
loge und Triloge, sind die Situationen zwischen dem „Er
und der „Sie“ von graziöser Zartheit und beinahe ängstlicher
Zurückhaltung. Eben diese Zurückhaltung, die Vermeidung
grober Effekte und äußerlicher Theatermotive erzeugen jenes
seltsame Gemisch von Stimmung und Dämmerung, das den
stärksten Reiz des bei der Aufführung stets willkürlich um
zwei Einakter verkürzten Zyklus ausmacht. Der Anatol
Kramers ist gewiß sorgsam durchdacht, bemüht dem
Dichter gerecht zu werden, jener „leichtsinnige Melancholiker
zu sein, als den er sich selbst kennzeichnet. Kramers Anatol
ist blasiert geistreich, wird immer von halben Gefühlen auf
und ab geschaukelt, verbirgt hinter gemachter Frivolität die
Sehnsucht des Schwärmers, wird zum Spiegelbild des mo¬
dernen Menschen, der ein ewiges Sehnen in sich trägt, alles
nur in Farben empfindet und eine „kranke" Seele hat. Aber
Kramers Anatol ist kein Wiener, ein Mangel, der seine
Leistung wesentlich beeinträchtigt. Einen überaus glücklichen
Abend hatte Herr Lackner als Mar. Er war — als Gegen¬
stück zu Anatol — der genußfrohe Viveur ohne Skrupel, der
die Wirklichkeit mit gesunder Bonhommie an sich herantreten
läßt. Kein Grübler, frei von überspannter Sentimentali¬
tät, mit einem Worte, er verkörperte den leichtlebigen Hu¬
moristen, und verstand es, in seinen Max ganz eigene sym¬
pathische Nuancen zu legen. Eine in der Tat herzerfreu¬
ende Annie im „Abschiedssouper, war Fräulein Hedwig
Keller, deren urwüchsige Natürlichkeit, deren frisches
Spiel und deren aparte Auffassung der Rolle entschieden
Aufmerksamkeit verdienen. In der undankbaren Partie
der Bianka in „Episode" war Fräulein Waldow
prächtig. Die Regie bekundete viel Geschmack, doch müßte
auf den zweiten Einakter sicherlich größere Sorgfalt ver¬
wendet werden.
n

Oesterr. Volks-Zeitung, Wien
Ausschnitt aus
(kleine Ausgabe)
vom
esse aller. This
tol“ ist ein Jugendwerk von immanenter Jugend¬
lichkeit. Dieses Feuerwerk von Geist und Humor
erleuchtet dem sehenden Auge unvergängliche Anmut
und bleibende Werte. Daran mag in unserer großen
zu kritischen Revisionen geneigten Gegenwart
erinnert werden. Die Darstellung brachte alle
Feinheiten der Dichtung zur Geltung. Leopold
Kramer spielte den Anatol mit deli¬
kater Noblesse und liebenswürdiger Eleganz.
Hans Lackner war ihm in der Rolle des Max
ein vorzüglicher Partner. Das weibliche Quintett
war glänzend besetzt. Nelly Hochwald war
eine charmante Cora, Annemarie Steinsteck
eine reizvolle Gabriele, Charlotte Waldow eine
köstlich oberflächliche Bianca und Mizzi Pellar
eine überaus leidenschaftliche Ilona. Als Annie
debitierte Hedwig Keller in vielversprechender
Weise. Sie spielte das leichtfertige Mädl mit
entzückender Unverfrorenheit und hinreißendem
L. R.
Temperament
Ausschnitt Die Noue, Zeitung, Wien
20
vom
Deutsches Volkstheater.
„Anatol¬
der Schnitzlersche Einakter=Zyklus
wird sehr hübsch gespielt, die kapriziösen Stücke mit
Eleganz und Stimmung, die keckeren in flottem Lust¬
spielgalopp. Herrn Kramer liegt der Anatol ausge¬
zeichnet. Man glaubt ihm diese leichten Krisen und amü¬
santen Katastrophen der Seele. Und was vor allem ver¬
merkt sei: er meidet falsche Gefühlstönne. Entzückend lustig
ist der Mar des Herrn Lackner. Einen reizend wehmütigen
Ton hat Fräulein Steinsteck als Gabriele. Fesch und keck
zugreifend ist die Annie des Fräulein Keller im
Abschiedssouper". Die Bianka in „Episode" gibt Fräulein
Waldow in ihrer scharf charakterisierenden Art. Die präch¬
tigen Einakter wurden mit lebhaftem Beifall und kräf¬
tiger Heiterkeit aufgenommen.

REICHSPOST, WIEN
Ausschnitt aus
vom 20. 1916

Im „Deutschen Volkstheater" hat man als vierte
Vorstellung im neuen Spieljahr unter der neuen Direktion
Schnitzlers „Anatol“ gespielt. Wir wollen annehmen,
daß der neue Direktor noch nicht über einen genügend aus¬
gebauten selbstgeschaffenen Spielplan verfügt, um all das
Wertlose, ja Unwürdige entbehren zu können, womit sein
Vorgänger den Wochenspielplan füllte. Erster Abend:
Raimund; zweiter Abend: Anzengruber; dritter Abend:
Leo Feld; vierter Abend: Artur Schnitzler. Diese Linie
sinkt denn doch ein wenig zu rapid. „Anatol“, dieses
schmierige Reigengeschwätz rund um die Liebe, könnten
wir im dritten Kriegsjahr wirklich entbehren. Besser noch:
Den ganzen Schnitzler könnten wir entbehren und diese
Entbehrung wäre ein unerhört glücklicher Gewinn. Wie
gesagt: Vielleicht ist der neue Direktor noch nicht genug ge¬
festigt, um die bisherigen Stützen des Volkstheaterpro¬
grammes abreißen und ins alte Eisen werfen zu können,
vie sie es verdienen. Wir sind in unserer Hoffnung auf
ihn vorläufig noch nicht irre geworden, möchten aber schon
bald den neuen Geist zu spüren bekommen, der doch
hoffentlich mit dem neuen Mann ins alte Haus einge¬
zogen ist.
Ausschnitt aus: digkeits-Velblatt, Wien
vom
Putsches Wiener Ehe und
„Anatol" wurde gestern aufgeführt und brachte im
„Abschiedssouper eine neue Annie. Das war früher eine
Glanzrolle der Glöckner. Jetzt wird sie von Frl. Keller
gespielt. Resch, munter und keck, mit gutem Humor und
lachenmachender Komik. Besonders zu loben ist die Zurück¬
haltung vor Uebertreibungen und die Beobachtung einer
gewissen Linie, deren Ueberschreiten dieses „süße Mädel
ins Gemeine rücken würde. Frl. Keller gefiel sehr und
wurde mit ihren Partnern Kramer und Lackner
wiederholt hervorgerufen. Die beiden letztgenannten errangen
sich auch in den andern Stückchen wohlverdienten Beifall.
Soll Lackner wirklich das Volkstheater verlassen? Nach
dem gestrigen Abend sollte man es nicht für möglich halten.
Von den mitwirkenden Damen war Frl. Steinsteck in
„Weihnachtseinkäufe sehr lieb, Frl. Waldow in
„Episode" von einer prickelnden Originalität, und Fräulein
Pellar im „Hochzeitsmorgen" voll Temperament.
treu¬