II, Theaterstücke 4, (Anatol, 8), Anatol, Seite 421

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4.9. Anatol
ne
Zyk
Aussee a-

vom Salon, Wien

Deutsches Volkstheater.
Die Direktion Wallners, wenn sie, was
aber gar nicht zu zweifeln ist, in diesem bis¬
herigen Fahrwasser verbleibt, — verheißt uns
schöne, genußreiche Stunden. Schon die Reper¬
toireinteilung ist eine wohlbedachte und bringt
Jedem Etwas und Allen Vieles. Auch die Be¬
setzungen zeigen die besondere Sorgfalt, jedes
Mitglied auf seinem Platz zu stellen. Nicht
übergangen, muß auch die wohlgesuchte Ein¬
lönigkeit im Sprachgebrauch betont werden,
die fern jedes übelklingenden Dialektes har¬
monisch wirkt und so hin auch den deutschen
Charakter dieses Theaters in dieser Rich¬
tung kennzeichnet.
Kein Zweifel, daß die prickelnde „Ana¬
tolkomödie von Schnitzler am 18. Au¬
gust für das reizende Fräulein Hedwig Kel¬
ler auserwählt wurde, um ihre frische, ur¬
wüchsige, so wohltuende Natürlichkeit als
„Annie" im Abschiedssouper
erweisen zu
können. Als „Anatol“ in diesen fünf Ein¬
aktern brachte Herr Kramer eine neue
Type. Geistreich, blasiert, modern vom Schei¬
tel bis zur Sohle, ein Mensch, der von einem
ewigen Sehnen geplagt, alles, alles, aber nur
tein Wiener, kein Lebemann vom Donau¬
strande, keiner aus der Kärtnerstraße ist. Das
wahre Gegenstück zu diesem Anatol war als
Mar Herr Lackner. Der genußreiche „Ge¬
nießer, kein Grübler, frei von jeder Senti¬
mentalität, ein leichtlebiger Mensch, dem der
Humor das Leben versüßt. Jammerschade,
daß dieser prächtige Künstler von jetzt ab in
dem schönen Rahmen dieses Ensembles
fehlen wird.
Lessing's „Minna von Barn¬
helm gab Fräulein Christophersen
Gelegenheit uns diese Titelheldin in einer
neuen Auffassung zu zeigen. Sie spielte die
Minna mit sichtlicher Überlegung, faßt kühl
und nur in den schalkhaften Partien trat
sie erquicklich, ja herzlich hervor. Fräulein
Poldi Müller als „Franziska hätte keine
bessere Antrittsrolle in ihrem neuen Wir¬
kungskreise erhalten können. Ihre ungesuchte
Natürlichkeit unterstützt von zierlicher An¬
mut, sicherten dem Fräulein sofort die gün¬
stigste Aufnahme im Publikum, das ihr auch
reichen Beifall spendete. In diesem deutschen
Soldatenstück trat nun mit einmal eine neue
Persönlichkeit hervor, die bislang zu den Ge¬
strichenen zählt und doch nicht zu übergehen
ist, die des Grafen von Bruchsall, Minna's
Oheim, von dem bisher nur meist gesprochen
wurde.
Anton Wildgans „Armut ein
Stück des Kummers und des Schmerzes, das
der Dichter im Kriegsjahr 1914 zur Auf¬
führung gebracht hatte, hat auch neuerdings
Nr. 8.
seine Vollwertigkeit erwiesen und menschliches
Elend und Not, die uns gegenwärtig in Stra¬
ßen und Gassen begegnet hat in Wildgans
„Armut ein tausendfaches Echo gefunden,
freilich nur für jene sichtbar, die sehen
wollen. Der Dichter des Mitleides, wie des stillen
Heldentums, hat mit der Schilderung seines
ergreifenden Vorwurfs also ein Stück lebens¬
wahrer Ereignisse niedergeschrieben, nicht wie
die Phantasie sie ihm diktiert, wohl aber wie
sie ein Mensch nur schildern kann, der mit
seinem ganzen Wesen in Verhältnisse einge¬
drungen, nichts beschönigend und nichts
übertreibend, nur der Wahrheit die Ehre ge¬
geben hat. Hier hat eine vortreffliche Dar¬
stellung die gemütstiefe Arbeit eines voll¬
wertigen Dichters auf das Beste unterstützt
und sowohl Herr Götz als Postbeamter
Spuller, wie auch Fräulein Schilling als
dessen Frau in der Neubesetzung, Gelegenheit
geboten, treffliche Leistungen zu bieten. In
dem 3. Bilde Comedia interposita hat das
glänzende Zusammenspiel der Herren Edt¬
hofer und Lackner ganz besonderen Bei¬
fall erzielt.
Ausschnitten, M. Montags Zeitung, Wie¬
E
vom
Theater.
(Deutsches Volkstheater.) Die ersten Tage der neuen
Direktion Karl Wallner sind ohne irgend eine besondere Note
vorübergegangen. Fast hat es den Anschein, wie wenn sich in der
obersten Leitung nichts geändert hätte. Eine gut szenierte und
ebenso gespielte Aufführung von Raimunds „Alpenkönig“ brachte
der erste Abend mit Herrn Thaller als Rappelkopf, einer
seiner besten Leistungen, den Damen Schweighofer, Pellar
und Keller und den Herren Fürth, Amon und Kirschner.
Am zweiten Abend sahen wir Anzengrubers unvergleichliche
„Kreuzelschreiber, und wieder war Herrn Thallers sonnige,
lebensfrohe Wiedergabe des Steinkopferhans Gegenstand viel¬
facher Auszeichnung. Herr Klitsch, ganz der „lebfrische, kraft¬
strotzende Gelbhofbauer, Fräulein Pellar eine noch etwas
städtisch anmutende Gelbhofbäuerin. Der Brenninger des Herrn
Kierschner rief in seiner Natürlichkeit wirkliche Rührung her¬
vor. Herrn Homma konnten wir nach zweijähriger Abwesenheit
an der Front als Altlechner freudig begrüßen. Ebenso Herrn
Weiß, der unfreiwillig längere Zeit pausteren mußte, als Gro߬
dauer. Zur Feier von Kaisers Geburtstag eröffnete am
Donnerstag die militärische Szene von Irma v. Hofer
„Die Brückenschanze von Usciecko den Abend. Vier
um ein Wachtfeuer gelagerte Offiziere wetteifern in schwungvollen,
von vaterländischem Geiste getragenen Worten, die in feierlicher
Weise in die Volkshymne ausklingen. In Felds aus der Zeit
and für die Zeit geschriebenem österreichischen Schauspiel „Freier
Dienst" sahen wir Frau Schweighofer an Stelle Glöckners
und Herrn Goetz in der von Tyrolt früher gegebenen Rolle des
Wasserbein und man konnte mit der neuen Besetzung vollauf zu¬
frieden sein. Am Freitag entzückte Artur Schnitzlers Anatol¬
Zyklus das gut besetzte Haus. Es war wieder ein Vergnügen,
die fünf tändelnden Einakter vorüberhuschen zu sehen. Kramers
und Lackners einzigartige Leistungen in diesen pikanten Kleinig¬
keiten sind bekannt, aber auch die süßen Mädeln Hochwald,
Pellar, Keller, Waldow und Steinsteck ließen es
sich nicht nehmen, diese echte Wiener Spezies ins beste Licht zu setzen.