II, Theaterstücke 4, (Anatol, 8), Anatol, Seite 429

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Zyklus
4.9. Anatol-
Agramer Tagblatt, Agram
11. J. 1377
Nationaltheater.) Schnitzlers Anatole bot
heute nicht mehr den einstigen giener welt¬
Vom leichtsin-
schmerzlichen Beigeschmack.
nigen Melancholiker bleibt für die Zuhörer von
heute mehr Leichtsinn den Melancholie. Doch
man spürt in diesen Gesprächen, die in ihrer na¬
türlichen Ungesuchtheit doch ein Muster des ech¬
ten Bühnendialoges sind, immer den Dichter; das
Geistreiche überwuchert nie das Geistige und
noch immer ragt Schnitzer gewaltig über die
Epigonen empor. Die feine, weich-sentimentale
Note des lebenskugen Gewissens zieht sich durch
die fünf amüsanten Bilder, wie der poetische
Hauch eines Sommerabends — man denkt bei die¬
sem Talent so wehmütig zu empfinden, unwill¬
kürlich an das Genie eines Maupassant, welcher
aber auch orkanartig zu fühlen verstand. Das ty¬
pische im Anatole lässt heute sogar den spezi¬
fisch Wiener Anschlag vergessen — die süssen
Mädels und die altungen Freunde bekommen.
durch die Zeit geläutert, selbst einen tieferen Sinn.
as man diesen anscheinend leichten Apercus zu¬
tragen möchte. Könnte man von Schnitzler nicht
vielleicht auch ein anderes Werk (Die letzten
Macken) aufzufrischen versuchen? Die Darstel¬
der fanden gestern den richtigen Ton. Herr Ra¬
gibt dem Anatol die stilgerechte Nunance, welche
nur stellenweise in das zu jugendliche umkippt.
Pavid unterstützte ihn gut als Freund. Von den
weiblichen Gliedern dieses ersten Reigens
Schnitzlers, wären besonders Frl. Orgesina im
Abschiedssouper und Frau Hri im Schlus¬
.
akt zu nennen.
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Volkswille, Karlsbad, Böhmen
Kunst und Wissenschaft.
Schnitzler, Schönherr, Anzengruber und die
Karl Wir nahmen neulich, anläßlich der
Vorlesung Lia Rosen schon Gelegenheit, einmal auf u¬
zeigen, was dem Karlsbader ehrsamen Spießer von seinen
Lebblättern auch inbezu auf Kunst als „geistige Nahr¬
un eboten werden darf, ohne daß er sich dieser un e¬
rufene und anmaßenden „Kritik widersetzt.*) Wenn eine
Dame, die die verzeiliche Eitelkeit besitzt, ihre Referate
im „Badeblatt stets mit „Dr. zu signieren, der Meinung
Ausdruck git, daß Arthur Schnitzlers „Anatol
nichts anderes sei, wie „ein seichtes erotisches Mach¬
werk so ist das gewiß schon eine starke Leitung. Sie
wird jedoch durch die noch weit beträchtlichere übertroffen,
daß ein ander hiesiger Kun treferent" Karl Schön¬
herrs Weibsteufel ebenfalls als ein auf die Sexuali¬
tät wirkendes Stück anspricht Wieso diese Sorte
Menschen zu solchen e enso läppischen wie gewaltsamen
Anschauungen kommen, it geihrmaler und ebenso un¬
erfindlich, wie, da sich keine Seele findet, die solchen un¬
beholfenen Unverstand gebühren in die Schrinen weist.
Den Vogel schiet aber — wie immer, wenn es um Dinge
der Bildung geht — Herr „dn" (Doroschkin) ab Dieser
besonders seine Literaturkenner vergreift sich gleich, und
noch dazu recht derb, an einem ganz Großen! Anzen¬
gruber, wohl der bedeutendste österreichische Volksdichter
findet nicht Gnade vor den Augen des Herrn Doroschkin
Wir wollen zur Erheiterung unserer Leser zu ihrem Vor¬
ger liegt wahrlich kein Grund vor Herrn „dn" selbst spro¬
chen assen: Ueber „Das vierte Gebot, bekanntlich
das erfolgreichste Volksstück des Dichters äußert der Karls¬
bader Weise" u. a. folgendermaßen:
„..... Manchmal gibt es auch Fehlgriffe,
die nicht zu vermeiden sind. Am Sonntag hob man
eines der schwächeren (sic!) Stücke Anzengrubers aus
dem Archive: „Das vierte Gebot“. Der Logik des
Dichters vermag man nicht zuzustimmen, nicht?
denn er stellt den Bibelspruch: „Du sollst Vater und
Mutter ehren, auf daß es die wohlergehe auf Erden!"
gera ezu auf den Kopf auf den „dn" gefallen ist) und
verant: „Vater und Mutter, ihr sont tun, was die
Kinder verlangen, wenn es diesen wohlergehen soll auf
Erden!" Das Stück wurde seit vielen Jahren hier nicht
aufgeführt und es war dies kein Verlust.
Noch weit geringeren Verlust würde aber das Unter¬
bleiben solcher Rezensionen bedeuten. Ueber derartige
ungeheuerliche Anmaßung, die mit Unfähigkeit gepaart
eint, ein weiteres Wort zu verlieren erübrigt sich.
er nur, daß solche Leute imstande sind,
— Belangen zu beeinflussen
age.