II, Theaterstücke 4, (Anatol, 8), Anatol, Seite 443

4.9. Anatol - Zyklus

Berliner Börsen Courit
Morgenausgabe 18
Anatol.
Schillertheater Charlottenburg.
vier von den
Schnitzlers Frühwerk
sieben Einakter des „Anatol“=Zyklus. Von der
oft gegebenen „Frage an das Schicksal" führte
der Weg über das meistgegebene Abschieds¬
souper" zur wenig häufig gespielten „Episode
und dem verhältnismäßig selten gebrachten „Ana¬
tols Hochzeits morgen", den Schlußkavite
dieses Buchs der Liebe, dieser Junggesellenherrlich
keit, die müdes Aesthetentum unterstreicht, mit Ueber¬
sättigung kokettiert und immer neu aufbrennt, wenn
sie Beute wittert.
Der „Anatol"-Zyklus zählt zu jenen Bühnen¬
dichtungen, die kaum altern. Er ist vielleicht ein
bischen in den Farben verblaßt — wirkt zum min¬
desten jetzt so, da wir durch waffenklirrende Kriegs¬
jahre in schwer lastende Uebergangszeit geschritten
sind. Aber den Reiz seiner Liebenswürdigkeit, die
leichte Anmut der verfeinerten Genußfreude hat er
bewahrt: Er ist erinnerungsreich und sehnsuchtsvoll
geworden.
„Anatol“ bedeutet typisches Wienertum, das der
Norddeutsche kaum umgreifen kann. Er ist von
einem Oesterreicher empfangen, aus österreichischem
Temperament geboren, ist ein Aus der früheren
Graben, Ringstraßen=, Prater= und Redoutenwelt.
ern Welt, als die wir hier kennen.
Einer
Darum der Darsteller des Anatol von jenseits
der ehemals schwarz=gelben Grenzpfähle kommen¬
er muß die Blutmischung haben, aus der die etwas
dekadente Eleganz, die leichte Lässigkeit des Ange¬
entspringen Paeschke ist zu schwer zu norddeutsch
für diese Blüte einer künstlich ervorgetriebenen
Kultur. Er suchte den Stil, näherte sich ihm in den
letzten beiden Akten, meisterte ihn nie ganz.
Herr Senger, dem der realistische Spötter, der
Gegenfühler Anatols, zugefallen war, zeichnete den
Mann der trockenen Ueberlegenheit, der alles unter
den Gesichtswinkel der Vernunft zwingt. Auch er
hätte mehr wienerische Note haben dürfen und die
Nüchternheit weniger betonen sollen
Else Wasa spielte — in „Anatols Hochzeitsmor¬
gen" — die rabiate lang mit prächtigem Humor
und drolligster Entschlossenheit. Corg und Bianka,
vertrat Frl. Haack — so, daß sie abnen ließ, man
dürfe am Ende nach Besseres von ihr erwarten. In
der Rolle der Annie des Abschiedsonders erschien
nach Jahren Stefanie Kriß wieder in Berlin: un¬
verändert munter, von lustiger Derbheit, anstecken¬
dem Lachen, allerliebst im Schwips und der be¬
schwisten sittlichen Entrüstung. Aber ein Kleid
trug sie! Herr Bonno, der Sie das Spiel leiteten:
Wie war es möglich, einem empfindsamen Anatol
solches Wunder der Geschmacklosigkeit an die Seite
R. W.
zu setzen.
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Tägliche Kundschau, der
Schiller-Theater: „Anatol.
Im Schiller=Theater Charlottenburg gelangte am Sonn¬
abend die beliebte Einakterfolge Artur Schnitzlers neu ein¬
studiert zur Aufführung. Die vier tragikomischen Episoden
aus dem Leben Anatols stützen sich bekanntlich zum großen
Teil auf den Dialog. Sie stehen und fallen mit der mehr
oder minder guten Besetzung der beiden Hauptrollen. Max
der vornehme Weltmann und geistreiche Spötter, der stets
Haltung bewahrt und sich nie bloßstellt, war bei Heinz Sen¬
ger in den allerbesten Händen. Sein Gegenpar Anatol,
immer schwankend zwischen Leichtsinn und Melancholie,
und daher fortwährend der Lächerlichkeit preisgegeben,
wurde von Herrn Paeschke nicht ganz so gut
gespielt. Doch mag es wohl eine dankbarere Aufgabe
sein, das Positive darzustellen, als das Negative. Von den
Damen gefiel mir am besten Stephanie Kriß, die die un¬
bekümmerte Genießerin Annie sehr drollig gab: leider aber
auch in einem Kleide, das dem berühmten „Wenner Schik
geradezu Hohn sprach. Im Gegensatz dazu sah Fräulein
Kläre Sello ganz reizend aus. Sie gab sich auch mit
ihren beiden kleinen Rollen (der Kora und Bianka) redliche
Mühe, aber ihre Sprachtechnik läßt sehr viel zu wünschen
übrig. Die Ilona der Else Wasa war eine brave Leistung.

1919
Berliner Morgenpost, Berlin
„Anatol" im Schillertheater. Vier Ein¬
akter aus Arthur Schnitzlers „Anatol¬
Zyklus hat das Schillertheater zu einem Theater¬
abend zusammengefaßt. Man gibt „Die Frage
an das Schicksal" (um die ich von dem Berliner
Verkehrselend betrogen wurde), „Abschieds¬
souper", „Episode" und „Anatols Hochzeits¬
morgen. Anatol ist Georg Paeschke, der
am Schillertheater jetzt alle Fächer spielt. Aber
die dekadente Wiener Nuance liegt ihm nicht.
Es ist nicht allein der Wienerische Zungenschlag
der ihm fehlt (und hier um keinen Preis fehlen
dürfte). Paeschke ist zu norddeutsch für den
Anatol; das sagt alles. Was er trotzdem daraus
machte, schuf er — wie im letzten Stück, in dem
er am besten war — mit dem Intellekt; aber
den Anatol muß man leben. Im „Hochzeits¬
morgen" traf er — in Else Wasa — auch die
beste Gegenspielerin. Sie ist eine rassige Ilona,
im Lachen und Weinen, ein Weibchen aus hun¬
deert weiblichen Instinkten. Anni (im „Abschieds¬
soupe,) war Stephanie Kriß, ein lärmendes
Sprühteufelchen; Claire Selg gab, ein wenig
farblos, in der „Episode die Bianca. Und
Heinz Senger als Max geht es wie Analo:
zu norddeutsch. Kein Wiener Lebenskünstler
M. L.
ein Berliner Rechtsanwalt,
in den und