II, Theaterstücke 4, (Anatol, 8), Anatol, Seite 466

4.9. Anatol
Zyklu-
box 9/3
Klose & Seidel
Bureau für Zeitungsausschnitte
Berlin 10. 43, Georgenkirchplatz 21
.
Zeitung:

Ort:
Den
.
Berliner Theater. Aus Berlin wird uns
geschrieben: Alte literarische Welten steigen aus der
Vergessenheit auf. Hirschfelds „Mutter, einst
ein Versprechen einer jungen naturalistischen Dichter¬
kraft, ein Sehnsuchtsklang, ist heute wirksam behag¬
liches Theater geworden und erlebt eine Erneuerung
im Kleinen Schauspielhaus durch das Genie
der Käte Dorsch, der gesuchtesten jetzt aller neuen Ber¬
liner Künstlerinnen, die auch hier durch die absolut



Und
: über jedes literarische Problem siegen läßt.
anderseits : Schnitzlers „Anatol", in den
Kammerspieren wieder aufgenommen, zaubert
uns ein andres Stück lieber, alter Vergangenheit vor,
das echte Wiener, elegante, zart melancholische, lächelnd¬
traurige, wehmütig-frohe Liebesleben der jungen Welt,
Typ des liebenden Jünglings mit philosophischem An¬
hauch, Typ des räsonierend=praktischen, aber herzlichen
Freundes, Typ des süßen Mädels in allen verheira¬
teten und unverheirateten Spiegelungen. Man gab
von den sieben fünf Einakter. Das berühmteste Ab¬
schiedssouper steht in der Mitte. Edthofer und Thimig
spielen die Männer, die fünf Damen wechseln nach
Temperament, Begabung und Kostüm, am entwickelt¬
sten die Christians im Abschiedssouper — wie hat sie
gelernt, von der man einst nur sagen mochte, was sie
nicht kann, sieht sie aus! Ja, auch Fleiß und Wille
zeugen Leistungen. Schön war es, in diese alte Welt
wieder mal unterzutauchen: ach, jene Zeit hatte doch
noch Genuß an ihrem Leben, Freude in seiner Ge¬
staltung, wir aber haben Mißlaune an leblosen
Fragen unsres Intellekts. — „Karussell" heißt
ein französisches Stück des Verneuil im Komö¬
dienhaus, das der Orska Gelegenheit gibt, sen¬
suelle Gesten und Worte zu machen, neckisch zu lieben
und zu schaukeln, auch Purzelbäume zu veranstalten¬
als huschlige Kokotte zwischen zwei Männern, von
denen sie immer den wirklich liebt, der gerade arm ist,
und den, der gerade reich ist, zum zahlenden Verehrer
degradiert. Das Schicksal wechselt die Rollen zwischen
eben diesen beiden, und zwar durch dieselbe Börse in
Baisse und Hausse, die Situationen geraten in eine
parodistische Symmetrie, die drei Figuren, die virtuos
drei Akte bestreiten, drehen sich im Karussell umein¬
ander, Grazie und Humor verfißen die Dialoge. Nicht
zu leugnen, daß so etwas mit routiniertem Geschick und
spielend anmutiger Technik gemacht ist. Der noch
junge Autor wird die Bühnen der Welt sicherlich ein¬
kunftsreich amüsieren. Er hat die Hand für ein Eure,
das uns unterhält, ohne uns anzugreifen.
Professor Dr. Oscar Bie¬