II, Theaterstücke 4, (Anatol, 8), Anatol, Seite 488


Fünf Episoden von Artur Schnitzler.
Kalbeck für die Regie danken die diesem Spiel
Josef
den
städter=Theater.
der schwerelosen Melancholie und des verträumten
Eink.
Scherzes den lückenlosen, leichten Fluß gab und
Bezü¬
* Die Regisseure des Josefstädter=Theaters be¬ in dem Miniaturtumult, im Kammerchaos sozu
rieten seinerzeit darüber, ob man diese lieben Ein¬
A. E.
sagen, der Souperszene eine hohe technische Vir¬
akter der tränenfeuchten Frivolität nicht im
tagsa
tuosität zeigte. Es war gewiß einer der erquickend
Kostüm der Zeit spielen sollte. Im „Kostüm der
gara
sten Abende der Saison.
Zeit? Ist es denn schon so lange her? Dem
für
Béla Balas.
größten Pedanten der historischen Treue würde es
diese
nicht einfallen, ein vorjähriges Stück in der vor¬
Modernes Theater.
jährigen Mode spielen zu lassen. Das Wechseln der
eine
Mode bedeutet meistens nur ein Wechseln der „Fräulein Jeanne — unsere Geliebte, Lustspiel Aus
Saison und nicht das der Zeit. Und doch scheint
von Felix Gandera.
in diesem Fall das Bedenken der Josefstädter Re¬
Fräulein Jeanne, die Kammerzose, ist ein
gisseure nicht unangebracht gewesen zu sein. Denn anständiges Mädchen. Da der Herr sie zu sic
Si¬
diese lebensfrische, in jeder psychologischen Einzel¬
nehmen will, verrät sies der Frau. Die Frau
heit auch heute noch gültige Dichtung ist ein
geht zum Rendezvous. Und niemand hat's ge¬
historische Miniature aus der Vorkriegsepoche, die
sehen. Nicht einmal der Herr. Weil's finster war.
(so nahe gebracht, wie sie es nur die dufterhaltend
Auch nicht der Hausfreund. Beide halten die
Schnitzlersche Kunst nahebringen kann, zeigt es sich Gattin für die Zofe. In der Nacht. Das stiftet
erst) uns ferner dünkt als Krinolinen und Pe
heitere Verwirrung.
rücken. Gewiß: die süße Wehmut der leichten Liebe
Verwirrt ist rasch was. Die Fäden auf drei
ist uns auch heute nicht fremd. Die Sehnsuch
Akte auszudehnen hält dann schwerer. „Fräulein
dichtet auch heute noch jedes Abenteuer zum
Jeanne", das ist unsere geliebte, französische
Gleichnis der großen Liebe um, und parfumiert Schwankidee. Eine sieht wie die andere aus. Im
die flüchtige Stunde mit Ewigkeitsstimmung, un
zweiten Akt ist sie noch munter, im dritten steht
den Verwesungsgeruch zu unterdrücken. Doch eine
sie auf schwachen Beinen. Das Thema ist immer
scheint uns heute an diesem Anatol und an aller
das gleiche, das ewig Menschliche, der Text änder
andern so exotisch fremd, daß man sie nur in
sich. Hier lustspielt er vom Zofen zum Zoten¬
Kostüme kleiden wollte, die mit unserer Trach
haften, aber kommt noch ungefährdet an der
gar keine Ähnlichkeit mehr haben: es ist die große, Klippe vorbei. Alle Figuren stehen im erotischer
lebenausfüllende, ausschließliche Bedeu¬
Zwielicht, diese Gattin schwankt zwischen Kokette
tung, welche besagte Wehmut für so einen Vor
und Kokotte, dieser Gatte zwischen bürgerlichen
kriegs=Anatol gehabt hat. Da gab es noch anschei
Don Juan und Hahnrei, dieser Hausfreund zwi¬
nend eine Herrenklasse, deren Leben so gesichert
schen Herzensbrecher und Trottel
von jeder objektiven Wirklichkeit so hermetisch
Es wird sehr reizend gespielt. Herr Jensen
isoliert war, daß es durch erotische Enttäuschun¬
macht aus dem Gehörnten nicht die usuelle Tad
seinen einzigen Sinn und ganzen Inhalt verlor
dädl-Type, er spielt ihn mit ironischen Zwischen¬
Ihr Liebesschmerz war ihr Weltschmerz, denn
tönen, so gleichsam aus der Vogelperspektive, als
einen anderen kannten sie nicht. Seit nach dem
lachte der Ehemann über die eigene Karikatur
Krieg ist die leichte Liebe allgemein viel leichte¬
Herr Schmöle hat seinen Charakter in der
geworden, denn was sie nicht ist, ist nicht meh¬
Stille zur Komik gebildet. Seiner Hände jungen
alles, und die Enttäuschung, die sie uns bringt
haftes Schlenkern kontrapunktiert dem schnarrend¬
ist nicht die einzige, die uns widerfahren kann
energischen Organ: ein Liebhaber wider Willen.
Die Frivolität der Menschen, die auch ander
Sorgen haben, ist viel frivoler und unpoetischer. Eine köstliche Figur, Marietta Weber spiel
aus dem Handgelenk die Gattin als Stellvertre¬
Doch gerade durch diese Distanz bekommt der
terin der Geliebten. Niemand könnte zweifeln
Anatol-Typus seine letzte Abgeschlossenheit und die
unverwüstliche Lebensfülle des Kunstwerkes be, daß ihre Andree die Fähigkeit zu solcher Prokura
hat. Fräulein Camilla Weber, die Charlotte
währt sich erst, da keine Wirklichkeitsassoziationen
mehr nachhelfen können
Ander ersetzen soll, ist hübsch und lieb.
Das Josefstädter=Theater zeigte mit dieser Auf¬
Nr.
führung wieder ein Meisterstück. Waldau als
Anatol! Warum wird sein Name noch nicht ge
Festvorstellung im Theater a. d. Wien
nannt, wenn man die fünf größten deutscher
„Die schöne Galathee" und „Der Liebesbrief
Schauspieler nennt? Ist sein Schicksal so diskret
* Eine Idealbesetzung der Suppeschen Operette
wie sein Spiel? Seine tiefe Innerlichkeit erschein
Die Stimmen Marie Raidls (eine wunderschöne
als eine zerstreute Unbeteiligtheit an den Dingen
die er spricht und tut. So viel er auch in das Wort Galathe), Rosette Andays (ein humorvoller
hineinlegt, man fühlt ein Wesentlicheres dahinter
Ganymed), Aagard Oestvigs (ein Apoll von
Alle Worte und Gebärden läßt er mit müder Re¬
einem Pygmalion) und die lebhafte Komik Treu¬
signation von sich abgleiten: sie können es ja ohne¬ manns als Mydas haben die Aufführung auf
hin nicht sagen. Sie sind ungelenk und festgehalten, ein ungewöhnliches Niveau gehoben. Treumanns
wie durch tiefe Wurzeln. Jede Bewegung bleibt Auftrittslied, das Harfenlied Frau Rajdls und
halb im Leibe und jeder Ton halb in der Brust besonders das modernisierte Couplet „Klassisch,
stecken und doch wahrnehmbar. Wie der schwim
klassisch", das Fräulein Anday mit überlegener
mende Eisblock unter dem Wasser noch fünfma
Kunst vortrug, brachten der selten gehörten
größer ist, so scheint sein Ausdruck nur der kleinste Operette einen großen Erfolg. Die Musik Suppés
Teil einer schweren Gefühlsmasse zu sein, die klang unter Nilius Leitung reich und frisch.
unter der Oberfläche mitschwingt, und deren Wucht
Die darauffolgende Ballettpantomime, deren
alles entscheidet. Und seltsam ist Waldaus Art zu Inhalt im „Tag" bereits erzählt wurde, über¬