II, Theaterstücke 4, (Anatol, 8), Anatol, Seite 617

4.9. Anatol
Zyklu-
„OBSERVER
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WIEN, I., WOLLEILE 11
TELEPHON R-23-0-43
Ausschnitt aus:
Deutsche Wochenschau, Berlin
24. SEP. 192
vom
ne et
Notre
Im Akademietheater, einer „Filiale
des Burgtheaters, wurde Schnitzlers „Ana¬
tol“ aufgewärmt. Aus längst verstaubten Re¬
galen hat man Hermann Bahrs „Wiene=
rinnen“ hervorgeholt. Heute mutet dieses
recht sentimentale und unwahre Sexualstück
fast lächerlich an. Daß man wirklich nichts
besseres findet?
box 9/4
Ausschnitt aus:
vom
und



THEATER
Hans Wengraf spielt den
Anatol
Akademietheater.
Ein gut qualifizierter Auslandswiener,
Hans Wengraf, früher bei Röbbeling in
Hamburg, kommt jetzt zu Röbbeling nach
Wien. Er spielte am Samstag den Anatol.
Einen, der lange nicht in Wien gewesen. Er
muß sich erst wieder akklimatisieren.
Herr Wengraf ist ein schätzenswerter
Darsteller fröhliches Bonvivantum sitzt
zwischen den Mundwinkeln, Gewandtheit
ist da, gute schauspielerische Manieren, aber
von einem Wiener Schnitzler-Spieler ver¬
langt man neben dem Wienertum Arthur
Schnitzlen die Charakter veranlagung seiner
Menschen, die alle mitsammen einen Zug in
die Tiefe haben. Wenn sie noch so amüsant
und scheinbar an der Oberfläche plätschern
und dahinplaudern, das lyrische Element in
ihnen brauchte einen starken Hintergrund
von Menschlichkeit, ihre Erkenntnisse wach¬
sen nicht auf flacher Lustspielerde, ihre
Wurzeln schlagen ins Villenviertel der Seele,
wo die Skeptiker, die Melancholiker, die
Ironiker Arthur Schnitzlers wohnen.
Vielleicht hätte es Wengraf mit Wien
lieber zuerst in einer Komödie versuchen
sollen, in der nicht so sehr sein Österreicher¬
tum, als andere schauspielerische Möglich¬
keiten betont werden. Er kann sicherlich
eine Menge. Er versteht es wahrscheinlich.
scharmant im Sinne eines Lustspiel¬
liebhabers zu sein, und echt, wenn es darum
geht, einen Autor darzustellen und nicht
einen Dichter. Vielleicht weht auch noch
nördliche Luft um ihn und seinen Anatol
Warten wir's ab.
Übrigens: die Anatol-Aufführung im Aka¬
demietheater ist voll fremder Elemente. Ein¬
zig echt wirken nur Alma Seidler und Maria
Kramer, die jetzt die Cora spielt. Die Seidler
ist bezaubernd in der Mischung von Natur
und Technik, die sie im Abschiedssouper im
Wirbel einer schon klassischen Situation
entwickelt. Und Maria Kramer spielt das
kleine Wiener Mädel, das hypnotisiert wird,
mit einer bodenständigen Wahrheit in den
kleinen Zwischentönen von Flirt und Liebe,
ein reizendes Geschöpf des Wiener Pflasters,
das da Anatols Welt einen Besuch abstattet.
Wie geschaffen für die Episode, den Augen¬
blick, für die kurze Seligkeit des Aben¬
teuers.
Mit den anderen Frauen des Akademie¬
theaters muß man schon verheiratet sein.
Siegfried Geyer.