II, Theaterstücke 4, (Anatol, 8), Anatol, Seite 621

4.9. Ana¬
Zy
SERER
Grenzbote, Bratislava-Preßburg
151
Theater und Kunst
Schnitzler: Anatol
Burgtheater in Preßburg.
Anatol ist noch immer modern. Solange es
Mädchen geben wird, die eine dichterische Liebe
lieben und Knaben, die die große Sehnsucht wie
bunte Krawatten tragen, solange es eine Liebe
geben wird, die sich nicht nur fühlen, sondern auch
sehen und hören lassen will, wird sie ihre Anatols
haben. Denn Schnitzler hat die losen, und doch
so intensiv eindeutig verbundenen Bilder eines
österreichischen Don Juans, der für seine, im
Grunde genommen so kleinen Amouren ein so
großes Forma findet, daß er als Mann darin
völlig verschrumpft, wirklich realistisch gemeint.
Es gab solche feinen und solche noblen Spazier¬
gänger im Fergarten der gedämpften Leiden¬
schaften, solche Schöngeister eines beinahe schon
rationell betriebenen Liebeskonsums, der nur aus
einem einzigen Grunde sympathisch wirkt und
nicht anekelt, weil er sich, die Welt und alle fü¬
ßen Mädels, angefangen von jenen, die auf den
Linien wohnen bis zu jenen, die am Trapezseil
der Zirkusse turnen, so melancholisch und so me¬
lodramatisch nimmt.
Anatol, das ist die halb schon ausgestorbene
Noblesse, mit der sich Kavaliere von Vorgestern
auf der Kärntnerstraße von ihren Freundinnen
bewundern ließen, die Ironie auf den Stelzfü¬
ßen der versonnenen Eitelkeit das Herumschwim¬
men in dem lauwarmen Teich durcheinander¬
strömender Gefühle. Da habt's mei letzte Lieb¬
schaft, ich geh auf ein Gulasch zum Sacher...
Schön ist es aber doch, wenn Raul Aslan,
diesen Anatol spielt. Nicht zu weich und nicht zu
hart. Immer der wirkliche, der von innen her
beleuchtete Elegant. Seine Morbidität hat einen
beinahe schon engelhaften Glanz seine Dekadenz
promeniert auch ohne Spazierstack und Pelzman¬
tel nach der letzten Mode gekleidet und daß sie
alle, die er uns vorführt, die Cora aus Hernals,
die mondaine Gabriella, Annie das Luderchen
vom Ballett und Bianca aus der Manege, sowie
Ilona die rassige, die Kostüme tragen die da¬
mals schick waren als ein Veilchenbukett unter Um¬
ständen ein Drama bedeutete, macht dieses Spiel
der Leute aus dem Burgtheater zum Genuß.
Mir hat es auf Ehre gefallen. Ich bin selber
noch halb aus der melancholischen Zeit da die
Männer mit ihrer Vergangenheit unter dem
Brustplastron und die Frauen mit ihrer Sehn¬
sucht, a la longe kokettierten. Damals ist kein
Mensch noch auf den Skiern der Sachlichkeit ge¬
fahren und wer tötlich verletzt wurde ging aus
Gram entweder in die Konditorei oder starb den
Liebestod, in einem Separee...
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die
Ebba Johannsens Gabriele, ein Pastell.
Ein zerbrechliches Gefäß für ganz unwahrschein¬
lich gemixte Seelendressur. Die Träne die ihr im
Auge glänzt, kann man tatsächlich nur mit Seide
herunterwischen. Sehr charakteristisch Maria
Kramer, robust und gesund wie ein Bauch¬
schwung, die Bianca Anny Hartmanns, und
durchwegs der sarkastische Leporello, der er sein
soll, Emmerich Reimers als Max.
Zu alldem versammelte sich ein glänzendes
Burgtheaterhaus. Sogar sehr viel Jugend, mit
merkwürdigerweise sehr viel Begeisterung. Wie
gesagt Anatol ist noch immer modern.
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Ein Lachen von Niveau und Geschmack löste
Schnitzlers „Anatole mit Burgtheaterkünstlern
aus; besonders stürmischen Beifall fanden Alma
Seidler und Raoul Aslan in der Szene
gedauer