II, Theaterstücke 4, (Anatol, 8), Anatol, Seite 632

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4.9. Anatol-
Zyklus
den
sch abgelehnt
Gotha Herzogliches Hoftheater. Der
plan der letzten Woche brachte zum ersten Male
Vier Experimente
Anatol von Arthur

Aus dem erotischen Gebiete sie uns der Wiener Schrift¬
steller in ebensoviel Bildern ohne eigentlichen Zusammen¬
hang vor Augen. Ein eleganter Lebemann und ein
zinischer Freund suchen die weibliche Flatterhaftigkeit
ad oculos zu demonstrieren und sie zu verkörpern. Es
geschieht dies in mehr oder weniger dezenter Weise.
Offenbar ist der Dichter mit seiner Absicht im Unklaren
gewesen, hat er doch sein Wert ohne nähere Bezeichnung
gelassen. Herr Adolfi führte die Regie. Er hatte die
vier Bilder durch allerliebste szenische Kleinkunft sehr
nett eingerahmt. In der Titelrolle war er immer der
gleiche, elegante Lebemann, der allen Situationen ge¬
wachsen war. In Herrn v. Falkenhausen hatte er seinen
verständnisinnigen Freund Max gefunden, der ihm bei
einem Tun würdig zur Seite stand. Fräulein Carola
Cora im ersten Bild war köstlich. Mit viel Humor
rierte sie den aus Gemeine hart grenzenden Streich
Anatols, der sie hypnotisiert hatte, um sie zu dem Ge¬
ständnis zu zwingen, daß sie ihm untreu sei. Die Epi¬
sode der Kunstreiter Bianka fand durch Frau Usta
eine gediegene Wiedergabe. Ebenso schön und schneidig,
wie temperamentvoll. Als fesche Wiener Chorsängerin.
(Annie) gab sich Frl. Koch im dritten Bilde. Das war
ein Kabinettsstückchen im Champagnerrausch — von gran¬
dieser Wirkung. Kein Wunder, daß solche Charak¬
terisierungskunst das Publikum zu hellem Jubel und
höchster Begeisterung hinriß. Aber auch Frau Herter
löste im 4. Bild ihre Aufgabe als Ilona mit bester
Wirkung. Sie war ebenso das bestrickende, Liebe
heischende Weib, wie die verlassene und verratene Ge¬
liebte, die mit holden, leichten Sinn auch ihre Wege
geht. Die kleinen Rollen wurden ebenfalls bestens
durchgeführt. Das Haus war gut besetzt und nahm
das notorisch an bedenklichen Schwäche zuständen abo¬
rierende Werk mit Resignation hin. Der stürmische
Beifall, der besonders nach dem 3. und 4. Bild ein¬
setzte, galt lediglich der brillanten Darstellung. Sie
letzte „annhäuser=Vorstellung am Schlusse der
vergangenen Woche war dadurch bemerkenswert, daß die
Titelrolle Herr Opernsänger Brandenberger vom Kgl.
Theater in Cassel sang, und damit einen hohen Kunst¬
genuß bot, für den reicher Beifall dankte. Wie könnte /
es auch anders sein, wenn Gesang und Spiel so ab=
de la
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esse
le
Schauspiel. Aus dem „Anatole-Zyklus von Arthur
Schnitzler (8. Februar) war bisher an unserer Bühne
nur das Abschiedssouper aufgeführt worden. Es bildet
innerlich und äußerlich den Mittelpunkt der ganzen Reihe und
gibt dramatisch am wirkungsvollsten das Grundthema wieder
vom Ewig=Männlichen, das sich über das Weibliche in
Illusionen versetzt, die seiner Eitelkeit schmeicheln, sich über
die Illusionen quält und doch davor zurückschreckt, sie zu
zerstören, ja tief unglücklich wird, wenn sie einmal wider
einen Willen zerstört werden. Der dramatische Aufbau
des kleinen Einakters, ein vollkommener Chiasmus, ist von
zuckender Komik. Anatol wird durchaus mit dem gestraft,
womit er sündigt. Er will sich von der Geliebten trennen,
weil er eine neue hat, und will es ihr schonend beibringen.
Sie kommt ihm zuvor und gibt ihm aus dem gleichen
Grund mit der größten Gelassenheit den Abschied. Als er
vor Beschämung und Eifersucht überschäumt und erklärt,
er habe sie bereits betrogen, lügt er, aber er erfährt, daß
sie aus Schonung auch gelogen und ihren Betrug ver¬
schwiegen hat. „Episode" und „die Frage an das Schick¬
variieren das gleiche Thema: „Du glaubst zu schieben
und du wirst geschoben. „Weihnachtseinkäufe" bildet einen
guten Auftakt dazu. „Anatols Hochzeitsmorgen" als Ab¬
schluß fällt dagegen stark ab; es fehlt ihm die feine Psycho¬
logie, so wirkt es nur frivol. Von der freien literarischen
Gesellschaft haben wir das Ganze schon einmal in Darm¬
stadt vorgeführt bekommen, damals in primitiver Aus¬
stattung, aber mit vorzüglicher Besetzung. Diesmal ließen
die Bühnenbilder von den Herren Kempin und
Schwerdtfeger nichts zu wünschen übrig. Besonders
stimmungsvoll war das Straßenbild mit der Kirche im
Mittelpunkt. Das Spiel aber stand nicht ganz auf der
Höhe. Der Anatol des Herrn Ehre und die Anni
des Fräulein Gothe waren vorzügliche Leistungen. Auch
der Max von Herrn Westermann war lobenswert. Die
übrigen Damen aber trafen nicht immer den richtigen Ton.
Dr. M.