II, Theaterstücke 4, (Anatol, 8), Anatol, Seite 641

4.9. Anatol - Zyklus
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sche Volksblatte.
Großherzogliches Hoftheater.
Zum ersten Mal: „Anatol".
Von Arthur Schnitzler.
Darmstadt, 10. Februar.
Arthur Schnitzler, dieser feinsinnige Wiener Arzt und
Poet, ist ein wahrer und wirklicher Dichter. Und ein Welt= und
Frauenkenner dazu, d. h. soweit man die Frauen überhaupt
kennen lernen kann. Denn es gibt da ja eine Grenze, und zwar
dort, wo die Frauen anfangen, nicht nur uns Männern, sondern
sich selbst zum Rätsel, zur psychologischen Unergründlichkeit zu
werden. Behandelt Schnitzler in seinen anderen Bühnenwerken
wie „Der Weg ins Freie", „Professor Bernhardt usw. Mensch¬
heitsprobleme, die er mindestens theoretisch zu lösen versucht, so
sind seine „Anatol-Episoden Studien der Frauenseele,
geschürft aus dem Leben eines Träumers, eines jungen Wiener
Lebemannes mit einer weichen, weibischen Seele, in der sich eine
eigene Welt kristallisiert. Und in dieser Welt erschaut der
Träumer Angol alle die Frauen, die er liebt. Er sieht sie nicht
wie sie in Wirklichkeit sind, sondern umkleidet sie sozusagen mit
dem Duft seiner Phantasie und stellt sie in den Blumengarten
seines Traumlebens, in dem sie eine Zeitlang nur für ihn
blühen, um dann in der Erinnerung weiterzuleben. Und wenn
gerade kein neues „süßes Mädel“ da ist, dann nimmt Analol
alle die sichtbaren Angedenken an seine Vergangenheit zur
Hand, alle die parfümierten Briefchen, die verwelkten, zer¬
stäubenden Blumen, die niedlichen Bilder, und wandert durch
den Garten seiner Liebe, an all den Blümelein vorüber, die ein¬
mal nur für ihn geduftet haben, und berauscht sich in der Erin¬
nerung an die wonnigen Stunden, die er in weichen Frauen¬
armen verträumt hat, verträumt in der Welt, die sich seine
Phantasie vorgaukelt, vorgaukelt mit seinen Augen geschaut, und
die doch in Wirklichkeit so ganz anders ist. Aber das sieht Anatol
nicht. Sein Garten der Erinnerung ist nur ein schimmernder
Glanz seines traumhaften Seelenlebens, seiner schwärmerischen
Idealisierung der Frau, und er ist glücklich, unendlich glücklich
in diesem suggestiven Zustand poetischer Innenwelt. Und sü߬
schmerzlich versinkt er in dieser Innenwelt der Vergangenheit,
bis ihn ein neues „süßes Mädel“ zu schöner Gegenwart zurück¬
ruft. Eine neue Blume, die er zu brechen und zu knicken ver¬
meint, wenn sie in seligen Augenblicken der Gegenwart schon
von ihm in den Garten der Erinnerung gestellt wird. Und das
ist das groteske in diesem Traumleben. Anatol glaubt fest, daß
seine Erlebnisse, die für ihn nur Episoden sozusagen in einer
Art moderner Sammelwut für ein Album schöner Erinnerungen
bedeuten, für all seine Leben entscheidende Momente des Da¬
seins sind. In dieser egoistischen Ueberschätzung seiner Person
läßt er sich nicht irre machen und ist förmlich entsetzt und ge¬
nickt, wenn die rauhe Wirklichkeit es ihm anders zeigt. Und
als sich ihm die günstige Gelegenheit bietet, in der Hypnose eins
dieser geliebten „ühen Mädel auf seine Treue zu erproben,