II, Theaterstücke 4, (Anatol, 8), Anatol, Seite 642

4.9. Anatol - Zyklus
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da schreckt er zurück, weil er sich vor der Wirklichkeit fürchtet,
weil. den Gedanken an das Betrogensein nicht ertragen kann
und lieber in der Täuschung weiterleben will, auch wenn er
innerlich das Gefühl ihrer Untreue hat.
So ist Schnitzlers Anatol. Und neben diesen Träumer
mit dem verklärenden Gefühlsleben hat der Dichter, um den
Kontrast schärfer hervortreten zu lassen, einen nüchternen Wirk¬
lichkeitsmenschen gestellt, Anatols Freund Max, der die Welt
und besonders die Frau darinnen nicht durch eine rosa gefärbte
Brille ansieht. Er ist der aufrichtige Freund Anatols, der
dessen Schwärmerei belächelt und ironisiert, aber ohne ihn heilen
zu können.
Und nun zu den süßen Mädels Anatols, wie sie uns
Arthur Schnitzler in seinen lose aneinandergereihten Episodeen
erschauen läßt. Weihnachtseinkäufe: Ein ungemein
stimmungsvolles Winterbild. Wien. 1. Straße. Hinten die
lichten Fenster einer Kirche. Rechts das erleuchtete Schaufenster
von Clara Bauer, Modes und Galanteriewaren; links der
Laden des bürgerlichen Schneiders Carl Heim. Anatol und eine
Dame der Welt! Die ungeliebte Frau, die das kleine süße
Mädel, von der ihr Anatol vorschwärmt, um seine Liebe be¬
neidet und doch nicht den Mut hat, es ihm nachzumachen. Sehr
poetisch! Ein Vorfeiertagsbild mit feinem Schneeriesen, mit
dem verstehenden Blick auf die scharfen Konturen der großen
und der kleinen Welt, in das stille, heiße Sehnen der
mondänen Dame und das glückselle Herzchen des Vorstadt¬
mädels. Episode: Anatol führ: Max in den Zaubergarten
seiner Erinnerungen. Am traulichen Kamin schwärmt er von
einer Frau, für die zwei Stunden in seinem Leben unvergeßlich
sein werden, während sie für ihn schon Erinnerung waren, als
jene noch zu seinen Füßen kniete. Doch Bianca, die schöne Kunst
reiterin, der diese Erinnerung gilt, kommt, um dieses füß
Traumbild zu zerstören. Sie erkennt den entsetzten Anatol kaum
wieder und vermengt Wiener und Petersburger selige Stunden
bei seinem Anblick miteinander, daß er blutenden Herzens
flieht. Abschiedssouper: Anatol erklärt seinem Freunde
Max, daß er sich von seiner kleinen Annie trennen wolle, weil
er eine andere liebt. Annie und er haben sich bei dem Schwur
der ewigen Liebe gelobt, daß sie aufrichtig gegeneinander sein
wollen, wenn einmal das Herz es anders gebeut. Jetzt kommt
Annie zum Abschiedssouper und kündet dem bestürzten Anatol
seelenruhig zwischen dem ersten und zweiten Gang, daß sie einen
anderen liebe und darum heute abend mit ihm den letzten Cham¬
pagner trinke. Anatol ist entrüstet; seine Eitelkeit als Mann
ist verletzt. Sein Geständnis, daß er sie schon seit langem mit
einer anderen betrogen, hat aber nur den Erfolg, daß sie
empört das gleiche gesteht und noch zwischen Tür und Angel über
den Nachtisch herfällt, um dann auf immer zu verschwinden.
Das war das „friedliche Abschiedssouper mit Max als lachendem
Dritten. Die Frage an das Schicksal ist oben schon
skizziert. Anatol versetzt Cora in einen hypnotischen Schlaf, um
von ihr zu hören, ob sie ihm treu ist. Aber er findet den Mut
zu dieser Frage nicht und ist
weiterleben zu können. And
Nach dem Polterabend! Der
hat Anatol auf die Redoute ge¬
recht austoben, solange er sich
frei ist. Und als am anderen
ihn zur Trauung abzuholen,
Sehr schwierig ist es nun, de
die Situation klarzumachen, in
hört, daß Matol für sie
heiratet. — Ein etwas rech
Schluß, der sich der Wirklicht
nähern dürfte.
Alle diese flüchtigen An¬
aus Anatols Liebestraumleben
reichen Linien gezogen, wobei
Seziermesser zu Hilfe kam.
sich diese fünf Episoden eher
oder einer Zeitschrift, als vor
wo ihnen der zarte Duft der
Hauch der Poesie geraubt wie
Träumers umschwebt. Und
Schnitzlers „Anatol=Zyklus.
meisterhaften Inszenierung du
die den Einzelheiten eine lie¬
geliehen, doch nur einen
sich aus Interesse an dem ungen
mischte, eine äußere achtung
Die Darstellung
Anatol, diesem großen Lieben
und den Erinnerungsblumen
Sentimentalität, gab Kur¬
Träumer zu weich, zu unlebe
an dem nach innen gekehrter
tappenden großen Kinde
lich zeichnete Kurt Westerm
Füßen im wirklichen Leben stehen
Charlotte Pils, das neue
Gabriele die seelischen
schmiedeten Dame der gro¬
innerlich mit empfinden.
Bianca in ihrem Aeußer
an ihre Episode mit Anatol.
mit dem gesunden Appetitur.
Helene von Sonnenthal
wachen Zustand aber noch ein
Ilona im fünften Bild mit Her
gehenden süßen Mädeln“ ent
Warum stellt man die Hermine
In den kleinen Rollen bewähr
Franz Herrmann. Die Bi
behaglicher und stimmungsvoll
Haus, nachdem der Vorhang
Anatols" gesenkt hatte.
Das Großherzogs
bei.