II, Theaterstücke 4, (Anatol, 8), Anatol, Seite 673

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4.9. An Zyklu-

Ausschnitt aus:
Salzburger Chronik
3 APR. 195
Salzburg
vor:
Sauerdenton in der jüdischen „Arbeiter=Zeitung
Der „Reichspost“ in Wien wird von einem Leser ge¬
schrieben, „der „A.=Z." warnte die Redaktion auf
Seite 5, Spalte 1 mit berechtigter sittlicher Entrüstung,
vor dem Machwerk eines Romans („Tönender Scha¬
den der Verlag auf dem Waschzeitel in eindeutiger Weise
allen Liebhabern sexueller Stoffe empfohlen hatte, in
folgendem Satze: „Gegen diese Verpestung der Ge¬
hirne mit Lesedreck gibt es nur ein Mittel: den
Selbstschutz. Wer ernstlich an sich und seiner Klasse ar¬
beitet, wie es der Proletarier, der klassenbewußte Ar¬
beiter soll und muß (nur der?), der wird solche Romane
meiden, indem er eine Presse verjagt, die den Geist
solcher Romane pflegt!“ — Bravissimo rief ich aus, wie
ein begeisterter Zuhörer Dr. Battistis, als ich das ge¬
lesen hatte. Bravissimo! Und noch einmal Bravissimo!
Aber da stört mich etwas mitten im Applaus. Mein Blick
schweift über die zweite Spalte derselben Seite und
stößt an eine Notiz, die überschrieben ist mit „Sauher¬
denton einer klerikalen Kritik". Warum das? Ich lese.
Das Urteil der Ueberschrift gilt einem Provinzblatte
(der „Salzburger Chronik"), das sich in ähnlich scharfer
Weise (wenn auch nicht ganz so scharf, wie die
„Arbeiter=Zeitung" gegen den erwähnten Roman, über
die Aufführung des Schnitzlerschen „Anatol" auf de
dortigen Stadtbühne geäußert hatte. Denn „Anatol
noch viel eindeutiger und greller und, weil in drama¬
tischer Form, unvergleichlich, wie sage ich nur, päda¬
gogisch wirksamer als der „Lesedreck“, vor dem die „Ar¬
beiter=Zeitung" selber eben männiglich gewarnt hat.
Wieso dieser Zwiespalt zwischen der Moral der Spalte
und jener der Spalte 2? Will er vielleicht bedeuten, daß
das Theaterpublikum in der betreffenden Provinzstadt
zu wenig klassenbewußt sei, als daß es ver¬
diente, vor der „Verpestung der Gehirne“ geschützt zu
werden?“ — So weit die Zuschrift in der „Reichspost“
Der Zweifel des Schreibers läßt sich leicht lösen: Die
Redaktion der „A.-Ztg." ist jüdisch, der Verfasser des
„Anatol“ ist Jude. Und jene der „A.=Z." nachplappernde
Provinzpresse pflegt den Geist der Anatole", darum
hat sie auch kein Verständnis dafür, daß ein Nicht¬
Anatol gegen die „Verpestung der Gehirne“ von der
Bühne herab in scharfer Form Einspruch erhebt.
Ostern im Card.
Ausschnitt aus: Die Bombe, Wien
vom 1915
Anatole France,
der von uns lange angebetete französische
Schönschreiber gibt uns nun auch einen Tritt.
Auch er will die Zentralmächte zerschmettert
sehen, den „Militarismus“ vernichten usw.
Uns läßt dieser Klugschmußer völlig kalt,
weil wir auch in ihm nur ein Wahrzeichen des
verfallenden französischen Geistes sehen.
Wir von der „Bombe haben schon lange
vor dem Krieg auf das Verwesen Frankreichs
hingewiesen, auf die Hohlheit seiner Politik, Kunst
und Literatur — uns sagt Anatole France
nichts neues, aber unsere klebrigen Astheten und
Belletristen möchten wir hinweisen, die immer das
Französische angebetet haben.
Selbst der von uns geehrte Artur Schnitzler,
den wir persönlich sehr gern haben, wußte das
Ringstraßenjüngel, welches der eigentliche Held
seiner Literatur ist, nicht anders zu benennen als
Anatol.
Seit wann heißen die Söhne unserer
Kommerzialräte Anatole
Es klingt eben französisch und das war
immer bei unseren Kommerzialräten Trumpf.
Später erst lernten die Kommerzialratstöchter
Tennis und dann wäre ein neu auftretender
Schnitzler sicher englisch gekommen.
Z. B. ein junger Literat Alfred Wechsler
nennt sich bereits Fred und der Sohn des Wieners
Silberer nennt sich schon Sil Vara. Kurz immer
Anbetung des Französischen und Englischen.
Resultat: Fußtritte von Seite Frankreichs
und Englands.
Wir von der „Bombe haben aber die Fu߬
tritte an unsere Feinde schon lange vorher aus¬
geteilt. Wir haben immer darauf hingewiesen, daß
die ganze französische Geschichte eine Kette von
Schandtaten ist, daß eine rapide Degeneration des
französischen Volkes stattfindet usw., aber man
hat uns wenig Gefolgschaft geleistet. Hoffentlich
ist es mit den französischen und englischen
Moden für immer vorbei.
Dann wird auch Anatole France vergessen
sein und Maurice Barrès und Clemenau und
wie all das lateinische Volk der Phrase, des
Selbstbetruges und der verwelkenden Kraft
heißen mag.
Das Jahrhundert, welches jetzt läuft, wird
deutsch sein und deutsche Fürstenhäuser,
Habsburg und Hohenzollern, werden die
Völkergeschicke leiten.