II, Theaterstücke 4, (Anatol, 8), Anatol, Seite 708

Heimat Wirklichkeit zu werden schien und die Theater aus¬
gelöst wurden, wanderte ein Teil als Erinnerungsstücke zu
kunstfreundlichen Einwohnern, ein kleiner Teil kam auf viel
verschlungenen Wegen in die Heimat und hat einen würdigen
Platz im Museum der Kriegsgefangenschaft in Wien, 7. Karl
Schweighofer=Gasse 3, gefunden. Die Bühne aber samt ihren
Dekorationen und die Möbel wurden „nationalisiert", das
heißt, es spielten dort Vereine, Schulen und Gewerkschaften
russisches Theater. Schließlich ordnete ein alle neiner Befehl
des Moskauer Kommissariats für Volksaufklärung an, daß
jeder Soldat der Garnison zweimal im Monat das Theater
besuchen müsse. Und da bei der Riesenstärke der Garnisonen
es technisch ganz unmöglich war, diesem Befehl so zu ent¬
sprechen, hatte der Stationskommandant von Nowo¬
Nikolajewsk einen ebenso genialen Ausweg gefunden, er
ordnete an: Das Regiment Nr. 132 besucht morgen das
Theater, und zwar: das erste Bataillon den ersten Akt, das
zweite Bataillon den zweiten Akt und das dritte Bataillon
den dritten Akt. Jetzt konnte der Vollzug des Befehles ge¬
meldet und die gewünschte Volksaufklärung als durchgeführt
angesehen werden.
Burgschauspieler Karsten, selbst sechs Jahre als Kriegs¬
gefangener in Sibirien interniert, fand mit seinem überaus
interessanten Vortrag, dem ein dankbares Publikum bei¬
wohnte, reichen Beifall. Er hat all dies selbst erlebt und
mitgemacht und war somit auch einer der Wegbereiter eines
großen, unvergeßlichen Kulturwerkes in den trostlosen
Steppen und Eiswüsten Sibiriens.
Den Vortrag leitete Direktor Dr. Hans Weiland ein.
Er sagte die schönen Worte: Trotz unsäglichem Leid, trotz
allen Bitternissen einer jahrelangen Kriegsgefangenschaft
war auch diese fürchterliche Prüfung eine Gnade der Vor¬
sehung, denn sie schuf unvergängliche Werke des Geistes und
der Kultur, die als deutsch=österreichische Sendung in oft nie
betretenen Gegenden Sibiriens Eingang fanden.
4.9. Anatol - Zyklus
Heilkräftigste
Radiumiherme der Welt
Verlangen Sie Prospekte
von der Kurkommission!
OBSERVER
Erstes österreichisches be¬
hördlich konzessioniertes
Unternehmen
für Zeitungsausschnitte
WIEN, I.,
Wollzeile 11. Telephon R 23-0-43
Prager Tagblatt, Pra¬
Ausschnitt aus
8. Z. 1930
vom
esdites Frauen
Anatol ist gestorben
Seit die zu Strandbädern ausgebaute Riviera
ein vielgesuchtes, ja in den Monaten Juli und
August maßlos überfülltes sommerliches Reise¬
ziel geworden ist, bilden die winterlichen Vor¬
rühlingwochen einen merkwürdigen und so ver¬
anderten Anblick, daß die ältern, den einstigen
Gepflogenheiten treuen Menschen, die auf der
Flucht vor Kälte und Schnee hier lustwandeln,
ihren Erinnerungen recht ungestört nachträumen
können. Das ist in alten Zeiten völlig anders
gewesen. Damals waren die herrlichen Hotel¬
paläste, die blendenden Schaufenster der Luxus¬
geschäfte im Sommer geschlossen. In den Win¬
termonaten dagegen entfalteten sie ihren reich¬
sten Glanz, überboten sich an kostbarsten Herr¬
lichkeiten der erfinderischen Mode und wetteifer¬
ten an allen Ecken und Enden der von hochschla¬
gender Lebenslust sprühenden Gegend, es ein¬
ander an Darbietungen jeder Art zuvorzutun.
Damals gab es auch junge Menschen in großer
Zahl an der blauen Küste — Eltern oder Vor¬
fahren derer, die der Winter nur noch in die
Berge zieht, die den Schnee suchen und Mimosen
ungesehen verblühen lassen. Jene Generation, die
so manche Errungenschaft verwirkte, aber nie¬
mals aufhört, ihre Unschuld an den grauenhaften
Geschehnissen zu beteuern, welche sie jedenfalls
durch keine Großtat verhindert hat, schickt noch
immer ihre Vertreter an den milden Strand, wo
der Frühling schneller bereit ist, seine Schätze
abzuladen. Ein Wiener aus solchen Tagen, deren
friedliche Geborgenheit uns Heutigen, selbst wenn
wir sie erleben durften, fast unwahrscheinlich
vorkommt, ist kürzlich dort unten im Süden er¬
loschen, gerade an dem Ort, der zuerst vor den
andern Landschaften sich hinzubreiten scheint in
die nahende Sonne, in der provinziell anmuten¬
den schönen Kleinstadt der französischen Riviera
— in Mentone. Er hat einmal zu Wiens
jeunesse dorée gehört. Aus altem Patrizierhaus,
berechtigte er wohl zu Hoffnungen und benahm
sich auch so, obgleich niemand zu sagen gewußt
hätte, welche Erfüllung von ihm erwartet wurde.
Immerhin hat ihn der große Dichter Arthur
Schnitzler, zuerst sein Schulkamerad, später
der Freund seines ältern Bruders und bewun¬
derter Zeitgenosse, zu einem Vorbild erwählt.
Nach diesem blendenden jungen Lebenskünstler
formte der östereichische Dichter seinen „Anatol“
Der im Süden einsam Entschlafene muß einen
legitimen Zauber auf seine Umwelt ausgeübt


box 9/5