II, Theaterstücke 4, (Anatol, 8), Anatol, Seite 714

4.9. Anatol
Zyklus
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jetzt handeli, ist die Wiedereroberung von Galizien, und da
ist denn doch fraglich, ob jetzt schon der Augenblick da ist, um
diese zu versuchen. An dieser Stelle wurde immer die Ansicht
vertreten, daß der Kriegführende alle seine Kraft an der
Stelle einsetzen müsse, wo die wichtigste Entscheidung vom
militärischen Standpunkt aus gesucht werden muß. Alle an¬
deren und zwar auch die politischen Ziele sollen erst dann ver¬
Am Schönherr.
Ein Kapitel Literaturgeschichte.
Von Hugo Ganz (Wien).
In Wien habens die Talente nicht leicht. Der Markt ist
klein, der Zudrang groß. Aber das Gedränge beginnt eigent¬
lich erst in den vorderen Reihen, der erste Einlaß wird nicht
schwer gemacht. Im Gegenteil. Man findet hier viel Litera¬
turgönner, die mit einer gewissen Entdeckerfreude auf neue
Talente aufmerksam machen und — sie sich verpflichten. Na¬
mentlich als noch Hermann Bahr das Horn des Heerrufers
handhabte, wurde alle Augenblick des Tages mobilisiert, einen
Neuen festlich zu empfangen. Auch Karl Schönherr wurde
anfangs mit allen Ehren aufgenommen Max Burkhardt
u. A. begrüßten ihn als einen neuen herberen Anzengruber
und seinen „Bildschnitzern öffneten sich sofort die ersten Büh¬
nen. Auch der „Sonnwendtag“ hatte noch einen starken
Erfolg und hielt sogar, von Schlenther geleitet, im Burg¬
theater seinen Einzug. Da aber setzte die Opposition ein. Es
war eine Literaten=Opposition. Man hatte eine bestimmte
Wiener Marke eingeführt. — „Anatol", „Liebelei“ — und zu der
mehr oder minder guten, großstädtischen Galanterieware paßte
die elementare Kunst des „griffigen Krolers schlecht. Der
Schottenring lehnte sich auf gegen die „Provinz, das Raffi¬
niert Erotische, Ueberspitzt=Psychologische gegen das Knorrig¬
Bildhafte, Primitive der Schönherrschen Figuren und
Probleme. Aber die Literatenkritik kam nicht auf gegen die
urwüchsige Stärke dieser Theater= und Gestaltungskraft.
„Erde und „Glaube und Heimat“ wurden unerhörte
Erfolge, die dem Dichter auch die materielle Unabhängigkeit und
damit die Gleichgültigkeit gegen Gunst und Ungunst, Kritik
und Konjunktur, freilich auch den Neid der minder Glücklichen
und den ganzen Haß der Klerikalen brachten. Nun kam erst
der Handwerksmeister in ihm zum Vorschein. Er ging an's
Experimentieren. Alte Stoffe, deren erste Gestaltung ihn nicht
befriedigte, wurden hervorgesucht. Er mußte das Zeug „los¬
werden. So entstand aus dem „Sonnwendtag“ die ganz
neue Tragikomödie „Die Trenkwalder, ein neues, aber
kein besseres Stück, trotz vieler seltener und kaum gewürdigter
Schönheiten. Damit begann wieder ein neues Kapitel. Es
schien, als habe der Mißerfolg aller Feindseligkeit die Schleusen
geöffnet. Von Berlin aus ging ein wahres Kesseltreiben gegen
Schönherr los und jeder Aesthet wetzte an ihm den Schnabel.
Die Rückwirkung in Oesterreich blieb aber nicht aus. Selbst
die Wiener Literaten lehnten sich gegen die deutsche „Schutz¬
zollkritik auf, und wer sich in Wien zum Mundstück der
norddeutschen „Böswilligkeit" machte, konnte Vieles erleben.
Schönherr wurde zum Schiboleth. Eine „Mainlinie des Ge¬
schmacks" wurde konstatiert und den Norddeutschen überhaupt
das Recht abgesprochen, über einen österreichischen Dichter
sachkundig zu urteilen. Gemeint war damit, daß den Nord¬
deutschen das Organ für das Wurzelhaft=Echte in der Dich¬
tung, das Ohr für den Naturlaut fehle. Wie solle da einer
von jenseits der Mainlinie die ganz im Dialekt wurzelnde
Schönherrsche Sprach= und Gestaltungskunst würdigen können
Dies Hin und Har des Beifalls und des Widerspruch¬
te
„wir haben keine Ang. Unbegreich ist, so Europa
auf sein
wegen der Dardanellen beunruhigt sein konnte. Die Türken
und stün
verfügt über eine viel mächtigere und stärkere Armee, als man
blieb.
glaubt. Die allgemeine Kriegslage ist günstig und gut. Wir
eine Lu
sind zufrieden. Auch in den Karpathen ist alles in Ord¬
beide a
nung. Wir dürfen mit voller Zuversicht den Dingen ent¬
Maschin
gegensehen."
wurde.
Meine 1
machte auf den Dichter selbst gar keinen Eindruck. Er ging
hängigke
weiter seinen Weg und vergrub sich in ein Problem, das ihn
gegen sie
reizte, die seelische Verwüstung eines primitiven Weibes
und aus
durch männlichen Mißbrauch. Ihm ist das Weib eine Na¬
Machen
turkraft, weder gut noch böse, eingedämmt und recht geleitet
Bürgerk
von Nutzen, entfesselt und irregeleitet aber Unheil stiftend. Da
in mein
gerät nun ein jungfrisches, zum Weibsein noch gar nicht er¬
der verr
wachtes Frauenzimmer in ein männliches Spiel von Habsucht
war, so
Ehrgeiz und Sinnlichkeit. Es wird „Schindluder mit ihr ge¬
Wir
trieben". Vergebens lehnt ihr angeborenes Schamgefühl sich
unter al
gegen das Spiel aus. Der eigene Mann, das „Flaschenmander!“,
Oesterre
der mit der Saugflasche aufgezogene Sproß einer verbrauch¬
den; ab
ten Mutter, zwingt sie dazu. Und wie das unvermeidlich ist,
irgend
fängt sie Feuer an dem jungen „Kraftlackel“ von Grenzjäger,
liche Ac
für den sie nur ein Mittel zu einem vorzeitigen Avancement
Engla
sein sollte. Aber auch der Grenzjäger brennt, und das Feuer
Welt
scheint den überflüssigen Dritten verzehren zu sollen. Brunst
gewieser
und Mordgier schwelen um das Paar. Mit letzter Kraft reißt
überziel
sich der junge, ehrliebende Jäger von dem Weibsdämon los,
seinen
stößt sie zuruck, verwundet sie mit brutalem Wort im Tiefsten
ihrer Seele und will seiner Wege gehen. Aber da macht sie
Zurecht
sich auch ihm und von aller Menschlichkeit los, hetzt die
Gemüte
Männer zu blutiger Tat gegeneinander und — der Damm
denkend
bricht. Der Wildbach verwüstet drei Leben, eines physisch,
aus der
zwei andere moralisch, Weibsteufel und Mannsteufel zeigen
gegen u
sich die Zähne wie hungrige Wölfe.
aufreize
Ein düsterer Vorwurf, unerquicklich und drückend, fast als
lands.
habe der Dichter zeigen wollen, daß er nichts „Gefälliges
England
braucht, um zu wirken. Es liegt etwas Trotziges in der
winnen
Abwehr alles Lichten und Erfreulichen in dieser Dichtung, in
hat es
der Klarheit ihrer theatralischen Mittel, in der unerbittlichen
Konsequenz, mit der die Tragik aus ihrem ersten unschein¬
in
baren Keim entwickelt wird. Wie der unverstandene Ibsen
v. Me
der kompakten Majorität seinen „Volksfeind" in die Zähne ge¬
Württer
schleudert hat, so der Tiroler Kraftmensch seinen Felsblock
Jugende
„Weibsteufel“ der Kritik und dem Publikum. „Mach mirs
Frau.
einer nach", mag er gedacht haben, drei Personen und fünf
fünfzig
Akte, kein freundliches Wort, und doch kein Nachlassen des in¬
des Be¬
nersten Anteils an dem Bühnenvorgang. Gewiß, es wird
Friedbe
ihm keiner nachmachen und der Beweis für die unbedingte
als Kir
Meisterschaft im Technischen und die unverminderte Kraft des
Schön
figuralen Gestaltens ist wiederum erbracht. Der „Weibs¬
ten jede
teufel“ ist ein gigantisches, in unserer Literatur ganz ein¬
dabei di
zig dastehendes Werk. Aber wir hoffen doch, daß diese Kraft¬
des Ba¬
probe nur eine Episode bleibt. Das Wort der Sophokleischen
hinaus.
Ismene, „Nicht mitzuhassen, mitzulieben bin ich da, gilt vor
von au
allem für den Dichter.
mit Me¬

Mädchen
Bäcker
Kleines Feuilleton.
gemiete
schönen
— Ein Amerikaner über England.] Aus dem Privat¬
sie sich
brief eines hervorragenden Amerikaners, eines der
schäft.
führenden Geister der Wissenschaft, entnehmen wir folgende
ihr ge¬
Zeilen:
dem P.
„Ich gehöre zu einer der ältesten englischen Familien in
überlief
Amerika, meine Ahnen waren unter jenen Puritanern, die
auf der „Mayflower, dem Pionier=Schiff, herüber kamen, lassen,