4.5. Abschiedssouper
bex 8/1
—
CHASAR
3
21. November 1698
Nr. 1
Sandrock müssen nicht gerade blond sein, um zu wirken,
ihre Juana hat dies zur Genüge erwiesen. Frl. Kraus, die
Herren Raeder und Popp waren von der wohlthuendsten
Schlichtheit in der Wiedergabe ihrer theilweise stark bedenklichen
Rollen. Herr Burg scheint mir nicht genügend gewürdigt
worden zu sein. Der Lieutenant Nanarrete ist durch ihn zu einer
vollblütigen Figur geworden, welche jenes erschauernde Mitleid,
jene tragische Somvathie im Zuschauer wachruft, die wir nur
angesichts einer wirklich künstlerischen Leistung empfinden können.
Nur wenn er auf der Bühne stand, konnte man das Gefühl
der Stegreiskomödie los werden. —
Schnitzler's „Abschieds¬
seuper“, diese bei aller satirischen Schärfe so überaus liebens¬
mürdige wienerische Anatol=Seene sand in einer sehr lebendigen
Darstellung durch Fräulein Sandrock, die Herren Burg,
Lensen und Göstl lebhaftesten Anklang beie Rublicum.
4
Teion 12801.
Ausschnitt
□ UHernehmen für Zeitungs-Ausschnitte.
„OBSERVER“ Nr. 77
österr. behördl. concess. Bureau für Zeitungsberichte und Personalnachric’ en
Wien, IX/1 Türkenstrasse 17.
— Filiale in Budapest: „Figyelö“, VIII. Josefsring 31a.
Ausschnitt aus: teue Wontage der
Bem
10m 1/7. 98.
—
Theater und Kunst.
Ab und zu ist in den gewissen literarischen Ecken die
Idee angeregt worden, ob sich nicht mit einer Schaar geistig
agiler Schauspieler der Versuch einer Stegreifkomödie unternehmen
lassen könnte. Man dachte daran, etwa durch einen bühnen¬
gewandten Autor ein nur auf die rohesten Effecte hin gearbeitetes
Scenarium ausarheiten zu lassen, das zwischendurch einige breitere
Stellen enthalten könnte. Alles Uebrige sollte der schöpferischen
Ausgestaltung der Darsteller überlassen werden. Hermann Bahr's
„Juana“, der am Raimund=Theater ein so wechselvolles
Schicksal bereitet wurde, macht ganz den Eindruck einer solchen
Stegreiskomödie. Nur haben die Darsteller aus Eigenem zu viel
Pantomimisches beigesteuert und und so eine Handlung, welche ein
geradezu brisantes Tempo erfordern würde bedenklich, des öfteren
bis zur unfreiwilligen Heiterkeit zerdehnt. Mit dieser Einschränkung
läßt sich der Aufführung viel Gutes nachsagen. Die Bestien der
Sandrock müssen nicht gerade blond sein, um zu wirken,
ihre Juana hat dies zur Genüge erwiesen. Frl. Kraus, die
Herren Raeder und Popp waren von der wohlthuendsten
Schlichtheit in der Wiedergabe ihrer theilweise stark bedenklichen
Rollen. Herr Burg scheint mir nicht genügend gewürdigt
worden zu sein. Der Lieutenant Nanarrete ist durch ihn zu einer¬
vollblütigen Figur geworden, welche jenes erschauernde Mitleid,
jene tragische Sympathie im Zuschauer wachruft, die wir nur
angesichts einer wirklich künstlerischen Leistung empfinden können.
Nur wenn er auf der Bühne stand, konnte man das Gefühl
der Stegreiskomödie los werden. — Schni###e„Abschieds¬
souper“, diese bei aller satirischen Schärfe so überaus liebens¬
würdige wienerische Nnatol=Scene fand in einer sehr lebendigen meluswe
Porto.
Darstellung durch Fräulein Sandrock, die Herren Burg,
Zahlbar
Jensen und Göstl lebhaftesten Anklang beim Publicum.— im Voraus
100.—
" 1000
Im (iegensatze zu anderen Bureaux für Zeitungsausschnitte ist des
Abonnement durch keine bestimmte Zeitdauer begrenzt; — auch steht es den
Abonnenten frei die aufgegebenen Themen zu ergänzen oder zu ändern.
au für Zeitungsberichte und Personalnachrichten
Türkenstrasse 17.
Figyetö-, VIII. Josefsring 31 a.
aus
—om 1/ 51
Theater, Kunst und Musik.
= Raimund=Theater. Unter Zischen einerseits
und unter Klatschen der Clique und Claque anderer¬
seits ist gestern die „Juana“ unseres „graußen“
Litteratur=Juden Hermann Bahr abgelehnt wor¬
den. Die Musik svielte bezeichnenderweise gleich darauf
einen Trauermarsch. War es schon eine Beleidigung für
das Publikum, ihm einen solchen „Schund“ zu bieten,
so war es geradezu Unverfrorenheit, daß der Autor
eines so hörbar ausgezischten Stückes sich auf die Bühne
schleppen ließ und sich verbeugte. Allerdings, ein Lächeln
war es nicht, das seine Lippen umspielte. Wie sollen wir
dieses Machwerk nur charakterisiren? Aeußerlich besteht es
aus drei Acien. Der erste Act dauerte 10 Minuten, davon
wurde drei Minuten geschwiegen, (o heiliges Schweigen)
zwei Minuten Clavier geklimpert, eine Minute ein
Champagnerglas geleert und Ohnmacht geheuchelt, nur
vier Minuten lang wurde geredet oder vielmehr ge¬
mimt richtiger pantomimt. Inhalt des ersten
Actes: Treulose Generalin eines ahnungslosen
Generals verführt bartlosen Lieutenant, der tadellose
Generalsnichte heiraten soll. Um die treulose
Generalin schleicht wie eine Schlange der heillose
„Abbate“. Wenn der Vorhang aufgeht, liegt die
Generalin auf dem Divan, bevor er zugeht, liegen
Generalin und Lieutenant auf dem Divan! Schluß
des ersten Actes. Folgt eine Viertelstunde Zwischen¬
Für 50 Ze
art. Pause. —
Zweiter Act: Lieutenant liegt
100
nelusive
auf dem Divan seines Zimmers, Generalin besucht ihn. Porto.
200
General kommt dazwischen. Generalin wird in's Sahlbar
500
Schlafzimmer des Lieutenants versteckt General ahnt Voraus
„ 000
Im
etwas und läßt sich vom Lieutenant auf's Officierswort, jst dee
(
Abonnement versprechen, daß es im Grunde nichts ist zwischengt es den
Abonnenten Beiden. Lieutenant und Generalin Hals um Halsern.
und A#t um Arm umschlungen. Vorhang fällt.
Dauer fünfzehn Minuten; davon Schweigen, unheim¬
liches, schwüles Schweigen sechs Minuten, Cognactrinken,
des der Ohnmacht nahen Lieutenants eine Minute,
Cigarrettenrauchen der Generalin eine Minute, Sprechen
und Spielen sieben Minuten. — Wieder eine Viertel¬
stunde Pause. — Dritter Act: Verlobung des
Lieutenants mit der Nichte. Generalin hört es.
Wüthend beschließt sie: „Er soll sie nicht haben.“ Sie legt
sich auf's Sopha. General kommt. Sie verräth dem General
Alles. General nun auch wüthend, gibt dem Lieutenant
die Pistole. Lieutenant erschießt sich. Generalin lacht
auf, dann schreit sie auf, dann sinkt sie todt graziös
über die Leiche des Bartlosen. General ist Witwer,
Nichte ohne Bräutigam. Tragisch! Entsetzlich! Vorhang
fällt. Dauer: zwanzig Minuten, davon acht Minuten
Schweigen, zwei Minuten Cigaretenrauchen. Das Stück
ist also inhaltlich die ödeste Ehebruchsgeschichte à la
Zola, äußerlich das fadeste Machwerk, sprachlich hört
es sich ungefähr an, wie obige Inhaltsangabe, die
Hauptsache sind die schwülen Pausen, wobei es dem
Publikum so schwül wurde, daß es kicherte, hustete und
lachte. Hermann Bahr ist aber doch der führende Geist
unserer Theater= und Literatur=Juden! Arme Sand¬
rock, armer Burg, die so viel Talent an solchem Blöd¬
sinn vergeuden mußten. Da bot das „Abschiedssouper“.
von Arthur Schnitzler, obschon auch dies in
den Kreisen der Halbwelt und Jeunesse dorée spielt,
wenigstens etwas zum Lachen. Fräulein Sandrock
spielte da mit köstlicher Wirkung eine Balleteuse, die
auch im Verkehr mit den Salonai# und Monocle¬
helden ihre Herkunft von der Straße nicht verleugnet.
Wie die Sandrock aß, trank, ihren Geliebten traktirte,
as muß man sehen und kann nur lachen. Aber ge¬
agt nuß es sein und geklagt, daß unsere modernen
Autoren ihre Sujets nur mehr in den Kreisen finden,
wo der Ehebruch und die Halbwelt ihre Rolle spielt
Da nur ist's ihnen „kannibalisch wohl als wie.
Wir sind gespannt darauf, ob das Raimund=Theater
es wagen wird, mit der „Juana“ noch einmal das
Publicum zu langweilen und zu affrontiren.
Im Hosoperntheater kommt morgen Sonntag
rr 927.
„
bex 8/1
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Nr. 1
Sandrock müssen nicht gerade blond sein, um zu wirken,
ihre Juana hat dies zur Genüge erwiesen. Frl. Kraus, die
Herren Raeder und Popp waren von der wohlthuendsten
Schlichtheit in der Wiedergabe ihrer theilweise stark bedenklichen
Rollen. Herr Burg scheint mir nicht genügend gewürdigt
worden zu sein. Der Lieutenant Nanarrete ist durch ihn zu einer
vollblütigen Figur geworden, welche jenes erschauernde Mitleid,
jene tragische Somvathie im Zuschauer wachruft, die wir nur
angesichts einer wirklich künstlerischen Leistung empfinden können.
Nur wenn er auf der Bühne stand, konnte man das Gefühl
der Stegreiskomödie los werden. —
Schnitzler's „Abschieds¬
seuper“, diese bei aller satirischen Schärfe so überaus liebens¬
mürdige wienerische Anatol=Seene sand in einer sehr lebendigen
Darstellung durch Fräulein Sandrock, die Herren Burg,
Lensen und Göstl lebhaftesten Anklang beie Rublicum.
4
Teion 12801.
Ausschnitt
□ UHernehmen für Zeitungs-Ausschnitte.
„OBSERVER“ Nr. 77
österr. behördl. concess. Bureau für Zeitungsberichte und Personalnachric’ en
Wien, IX/1 Türkenstrasse 17.
— Filiale in Budapest: „Figyelö“, VIII. Josefsring 31a.
Ausschnitt aus: teue Wontage der
Bem
10m 1/7. 98.
—
Theater und Kunst.
Ab und zu ist in den gewissen literarischen Ecken die
Idee angeregt worden, ob sich nicht mit einer Schaar geistig
agiler Schauspieler der Versuch einer Stegreifkomödie unternehmen
lassen könnte. Man dachte daran, etwa durch einen bühnen¬
gewandten Autor ein nur auf die rohesten Effecte hin gearbeitetes
Scenarium ausarheiten zu lassen, das zwischendurch einige breitere
Stellen enthalten könnte. Alles Uebrige sollte der schöpferischen
Ausgestaltung der Darsteller überlassen werden. Hermann Bahr's
„Juana“, der am Raimund=Theater ein so wechselvolles
Schicksal bereitet wurde, macht ganz den Eindruck einer solchen
Stegreiskomödie. Nur haben die Darsteller aus Eigenem zu viel
Pantomimisches beigesteuert und und so eine Handlung, welche ein
geradezu brisantes Tempo erfordern würde bedenklich, des öfteren
bis zur unfreiwilligen Heiterkeit zerdehnt. Mit dieser Einschränkung
läßt sich der Aufführung viel Gutes nachsagen. Die Bestien der
Sandrock müssen nicht gerade blond sein, um zu wirken,
ihre Juana hat dies zur Genüge erwiesen. Frl. Kraus, die
Herren Raeder und Popp waren von der wohlthuendsten
Schlichtheit in der Wiedergabe ihrer theilweise stark bedenklichen
Rollen. Herr Burg scheint mir nicht genügend gewürdigt
worden zu sein. Der Lieutenant Nanarrete ist durch ihn zu einer¬
vollblütigen Figur geworden, welche jenes erschauernde Mitleid,
jene tragische Sympathie im Zuschauer wachruft, die wir nur
angesichts einer wirklich künstlerischen Leistung empfinden können.
Nur wenn er auf der Bühne stand, konnte man das Gefühl
der Stegreiskomödie los werden. — Schni###e„Abschieds¬
souper“, diese bei aller satirischen Schärfe so überaus liebens¬
würdige wienerische Nnatol=Scene fand in einer sehr lebendigen meluswe
Porto.
Darstellung durch Fräulein Sandrock, die Herren Burg,
Zahlbar
Jensen und Göstl lebhaftesten Anklang beim Publicum.— im Voraus
100.—
" 1000
Im (iegensatze zu anderen Bureaux für Zeitungsausschnitte ist des
Abonnement durch keine bestimmte Zeitdauer begrenzt; — auch steht es den
Abonnenten frei die aufgegebenen Themen zu ergänzen oder zu ändern.
au für Zeitungsberichte und Personalnachrichten
Türkenstrasse 17.
Figyetö-, VIII. Josefsring 31 a.
aus
—om 1/ 51
Theater, Kunst und Musik.
= Raimund=Theater. Unter Zischen einerseits
und unter Klatschen der Clique und Claque anderer¬
seits ist gestern die „Juana“ unseres „graußen“
Litteratur=Juden Hermann Bahr abgelehnt wor¬
den. Die Musik svielte bezeichnenderweise gleich darauf
einen Trauermarsch. War es schon eine Beleidigung für
das Publikum, ihm einen solchen „Schund“ zu bieten,
so war es geradezu Unverfrorenheit, daß der Autor
eines so hörbar ausgezischten Stückes sich auf die Bühne
schleppen ließ und sich verbeugte. Allerdings, ein Lächeln
war es nicht, das seine Lippen umspielte. Wie sollen wir
dieses Machwerk nur charakterisiren? Aeußerlich besteht es
aus drei Acien. Der erste Act dauerte 10 Minuten, davon
wurde drei Minuten geschwiegen, (o heiliges Schweigen)
zwei Minuten Clavier geklimpert, eine Minute ein
Champagnerglas geleert und Ohnmacht geheuchelt, nur
vier Minuten lang wurde geredet oder vielmehr ge¬
mimt richtiger pantomimt. Inhalt des ersten
Actes: Treulose Generalin eines ahnungslosen
Generals verführt bartlosen Lieutenant, der tadellose
Generalsnichte heiraten soll. Um die treulose
Generalin schleicht wie eine Schlange der heillose
„Abbate“. Wenn der Vorhang aufgeht, liegt die
Generalin auf dem Divan, bevor er zugeht, liegen
Generalin und Lieutenant auf dem Divan! Schluß
des ersten Actes. Folgt eine Viertelstunde Zwischen¬
Für 50 Ze
art. Pause. —
Zweiter Act: Lieutenant liegt
100
nelusive
auf dem Divan seines Zimmers, Generalin besucht ihn. Porto.
200
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Schlafzimmer des Lieutenants versteckt General ahnt Voraus
„ 000
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etwas und läßt sich vom Lieutenant auf's Officierswort, jst dee
(
Abonnement versprechen, daß es im Grunde nichts ist zwischengt es den
Abonnenten Beiden. Lieutenant und Generalin Hals um Halsern.
und A#t um Arm umschlungen. Vorhang fällt.
Dauer fünfzehn Minuten; davon Schweigen, unheim¬
liches, schwüles Schweigen sechs Minuten, Cognactrinken,
des der Ohnmacht nahen Lieutenants eine Minute,
Cigarrettenrauchen der Generalin eine Minute, Sprechen
und Spielen sieben Minuten. — Wieder eine Viertel¬
stunde Pause. — Dritter Act: Verlobung des
Lieutenants mit der Nichte. Generalin hört es.
Wüthend beschließt sie: „Er soll sie nicht haben.“ Sie legt
sich auf's Sopha. General kommt. Sie verräth dem General
Alles. General nun auch wüthend, gibt dem Lieutenant
die Pistole. Lieutenant erschießt sich. Generalin lacht
auf, dann schreit sie auf, dann sinkt sie todt graziös
über die Leiche des Bartlosen. General ist Witwer,
Nichte ohne Bräutigam. Tragisch! Entsetzlich! Vorhang
fällt. Dauer: zwanzig Minuten, davon acht Minuten
Schweigen, zwei Minuten Cigaretenrauchen. Das Stück
ist also inhaltlich die ödeste Ehebruchsgeschichte à la
Zola, äußerlich das fadeste Machwerk, sprachlich hört
es sich ungefähr an, wie obige Inhaltsangabe, die
Hauptsache sind die schwülen Pausen, wobei es dem
Publikum so schwül wurde, daß es kicherte, hustete und
lachte. Hermann Bahr ist aber doch der führende Geist
unserer Theater= und Literatur=Juden! Arme Sand¬
rock, armer Burg, die so viel Talent an solchem Blöd¬
sinn vergeuden mußten. Da bot das „Abschiedssouper“.
von Arthur Schnitzler, obschon auch dies in
den Kreisen der Halbwelt und Jeunesse dorée spielt,
wenigstens etwas zum Lachen. Fräulein Sandrock
spielte da mit köstlicher Wirkung eine Balleteuse, die
auch im Verkehr mit den Salonai# und Monocle¬
helden ihre Herkunft von der Straße nicht verleugnet.
Wie die Sandrock aß, trank, ihren Geliebten traktirte,
as muß man sehen und kann nur lachen. Aber ge¬
agt nuß es sein und geklagt, daß unsere modernen
Autoren ihre Sujets nur mehr in den Kreisen finden,
wo der Ehebruch und die Halbwelt ihre Rolle spielt
Da nur ist's ihnen „kannibalisch wohl als wie.
Wir sind gespannt darauf, ob das Raimund=Theater
es wagen wird, mit der „Juana“ noch einmal das
Publicum zu langweilen und zu affrontiren.
Im Hosoperntheater kommt morgen Sonntag
rr 927.
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