II, Theaterstücke 4, (Anatol, 5), Abschiedssouper, Seite 54

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Nr. 54
„OBSERVER
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Ausschnitt aus:
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Carl Schultze=Theater.
Ledige Leute, Sittenkomödie von Felix Dörmann.
Abschiedssonper, Plauderei vor Anthur Schnitzer.
Nach den vielen, zum überwiegenden Teil recht faden
Ehebruchskomödien französischer Herkunft, die im Laufe der
letzten Monate den Besuchern des Carl Schultze=Theaters
geboten wurden, ging gestern abend ein Stück in Scene, das
Lebensverhältnisse zur Vorführung bringt, wie sie in der
Kai## estadt an der Donau in die Erscheinung treten.
Es ist zwar nicht sonderlich Neues, was der Autor
der Sittenkomödie seine „ledigen“, das heißt, sich
jeden Zwanges der hergebrachten Moralität begebenden
Leute sagen und thun läßt, wir haben diese Verhältnisse
und diese sittlich defekten Menschen schon in den verschiedensten
Stücken ähnlichen Genres gesehen; aber was lobend hervor¬
gehoben zu werden verdient, das ist die Art, mit der es der¬
Autor verstander
die einzelnen Mitglieder der un¬
händel gefährdet werden soll. Nachdem der aus allen Himmeln
esich das Stück dreht,
gefallene Wallner von der Brandl Kunde von dem Verhältnis
ch
aß man sich direkt abgestoßen
der Lux zu dem „Alten“ und die Bestätigung aus dem
impen fühlt. Interessant
Munde seiner Angebeteten erhalten hat, verstößt er sie, um
un
ing der Verkommenheit,
gleich darauf, von ihrem Liebreiz bestrickt, die Rolle des Ge¬
wie sie u
en Vertretern der Familie
liebten, wie sie bei den übrigen Brandls üblich ist, trotz des
Far
Brandl
untersten Stufe steht ent¬
„Alten“ und neben ihm weiter zu spielen.
2 schieden die 2
dl, die gewissenlos von den
Die Aufführung war im allgemeinen gut. Herr Pütz

5 Erfolgen ihrer
ungsfähigen Verehrern den
als schwärmerischer Toni Wallner bot eine anerkennenswerte
" 10 gemeinschaftlichen Hau
tbestreitet, und nach echter
Leistung; die mädchenhafte Schüchternheit bei der
Kuppel=Art die jüngste der Töchter, Lux, schamlos
ersten Begegnung mit der Lux, die mutige Ent¬
Abon
Abon auffordert, durch ein „zu Herzen gehendes“ Benehmen von
schlossenheit, für die Geliebte alles zu wagen, und
dem „Alten“, dem das arme Ding verschrieben ist, den
den tiefen Schmerz über seine zerstörten Ideale,
Mietszins und weiteres Wirtschaftsgeld zu beschaffen¬
wußte der Künstler packend und naturwahr darzustellen. Ein
Raffiniert im Genießen ist die zweite Tochter Sophie, die
richtiger Wiener Lebemann war Herr Kühne, der mit
von ihrem Liebhaber, einem unter Kuratel stehenden wohl¬
drastischer Komik seine dankbare Rolle als Victor Wengl,
habenden echten „Weaner Schani“, ein Monatsgehalt von
zur Zeit wegen Verschwendung unter Kuratel, durchführte.
rund 100 Gulden bezieht, aber wenn's not thut, auch
Frl. Walde gab mit graziösem Uebermut die raffinierte
anstandslos etwas zurückzahlt, vorausgesetzt, daß das Geld
Sophie; die Marie, mit dem an Verehrern reichen Vor¬
zu Vergnügungszwecken angewendet wird. Marie, die
leben, wurde von Frl. Vogl angemessen verkörpert.
älteste, hat außer dem allen Brandls anhaftenden allgemeinen
Frl. v. Ostermann fand als Lux Gelegenheit, ihre
sittlichen Defekt noch einen besonderen dunklen Punkt in ihrem
schönen Fähigkeiten in der Darstellung hochdramatischer
Vorleben zu verzeichnen; ein Kind ist einem früheren Ver¬
Rollen zu zeigen, während Frl. Glasel die alte Brandl in
hältnisse entsprossen, und die Mutterliebe, die während so langer
jeder Hinsicht tadellos gab. Die Nebenrollen lagen ebenfalls
Zeit geschlummert hat, kommt zum Vorschein merkwürdiger¬
in guten Händen. Herr Pander hatte das Stück vor¬
weise in demselben Augenblick, wo der gegenwärtige „Verehrer“.
strefflich insceniert und erntete gleichwie die Darstellenden
ihr den Laufpaß giebt und ihr dadurch eine angenehme
lauten Beifall am Schlusse des zweiten und dritten Aktes.
Einnahmequelle versiegt. Daß sie ihren Vorsatz, in die Donau
Voran ging eine reichlich langweilige Plauderei, die den
zu gehen, wie alle Selbstmordskandidaten, die mit ihrem Vor¬
Herren Lebius und Pütz Veranlassung gab, in Gemein¬
haben renommieren, nicht ausführt, ist ebenso selbstverständlich
schaft mit Frl. Vogl zu zeigen, wie man mit Anstand ein
wie ihre alsbaldige Tröstung. Gewissermaßen nur gezwungen
besseres Souper mit Sekt, Austern und Filet aux truffes
unmoralisch ist die jüngste, Lux, der ein alter Lustgreis ein
zu sich nimmt, und wie man sich gleichfalls mit Anstand
kleines Vermögen ausgesetzt hat, dessen Zinsen die Unkosten des
einer überdrüssig gewordenen Liebschaft entledigt. — St.
Familienlebens decken helfen. Zuneigung empfindet sie zu dem Alten
natürlich nicht; aber „man ist halt arm“, und die Mutter
hat es so gewünscht, und so hat sie denn gethan, was man
von ihr verlangte. Da lernt sie Toni Wallner kennen, einen
braven Beamten, voll jugendlichen Feuers, auf den bisher
noch kein Weib irgendwelchen Eindruck zu machen vermocht
hat. Gleich bei seiner Einführung in die Familie durch den
Musiker Willi Herz, der ihm die Marie, weil sie ihm über¬
drüssig geworden, abtreten will, faßt er eine starke Zuneigung zur
Jüngsten, die er aus dem Familiensumpfherauszuziehen beschließt.
Er bestimmt seine Mutter, daß sie die Unglückliche bei sich
aufnimmt; da nahi das Verhängnis: die alte Brandl kommt
in beleidigtem Mutterstolz; wütend wie eine Furie fordert sie
„ihr Kind“ zurück, dessen Zukunft nicht durch zwecklose Liebes¬