4. 5. Abschiedssouver
ar box 8/1
„OBSENVER N. 15
705
I. österr. behördl. conc. Bureau für Zeitungsberichte u. Personalnachrichten
Wien, IX/1. Türkenstrasse 17.
Filiale in Budapest: „Figyelé“
Vertretungen in Berlin, Chicago, London, Newyork, Paris, Stockholm.
Ausschnitt aus:
abtatt
Nerd. 34/1—775
147
7½
Theater und Kunst.
(Theater in der Josefstadt.) Mit vier Einaktern wurden gestern
die literarischen Abende dieser strebsamen Bühne glücklich fortgesetzt. Blos
das einaktige „Drama“ von Dora Dunker: „Eine Bagatelle“, das den
Anfang der Vorstellung machte, mißfiel und wurde auch vom Publikum
in den Grund und Boden gezischt. Das tragische Ende jenes bekannten
Berliner Schauspielers, der sich vor einiger Zeit dunkler Geschichten
halber selbst den Tod gab, mag der Verfasserin dieses trostlosen
Stückes vorgeschwebt haben, als sie es niederschrieb. Oder sagen
wir richtiger, als
sie es aus einer Zeitung berausschnitt und
ohneweiters auf die Bühne stellte. Denn vieses angebliche
Drama ist nichts Anderes, als eine jener zahllosen Nolizen, die
der Lokalredakteur der Zeitung „ohne Durchschuß" ins Blatt gibt,
falls sie nicht allgemeines Interesse erweckon. Dora Dunker hat sich
nicht die geringste Mühe genommen, uns einen Blick in die Seele dieses
Gymnasiallehrers thun zu lassen, der, ein glücklicher Familien¬
vater, sittlicher Verirrungen halber sich selbst den Tod gibt.
Auch das Spiel der Frau Jarno=Niese, die uns diesmal als
Frau des Gymnasiallehrers hochdeutsch und tragisch kam, vermochte
nicht zu erwärmen. Unser tägliches Gebet wird es von heute ab sein,
daß der Himmel dieser liebenswürdigen Künstlerin ihren sonnigen
Humor belasse und uns vor ihrer düsteren Tragik bewahre — Amen!
Recht amusant ist das Lustspielchen von Roberto Bracco: „Er,
sie und er“, das hierauf in vortrefflicher Uebersetzung von Otto Eisenschitz
zum erstenmale gegeben wurde. Es ist mit Geist geschrieben und gewinnt
dem Paradeschimmelchen, das unsere modernen Dramatiker so gerne reiten,
dem berühmten „dreieckigen Verhältniß" nämlich, eine neue lustige Seite ab.
Auch wurde der Einakter von Fräulein Fehdmer und den Herren
Pfann und Sachs tadellos gespielt. In dem einaktigen Drama
„Aschied vom Regiment“ von Otto Erich Hartleben fließt un¬
verkennbar das temperamentvolle Blut dieses Modernen, der bei aller
Keckheit und allem Uebermuthe durch sein überragendes Talent so sehr
für sich einnimmt. Es ist eine Regimentsgeschichte, die flott einsetzt
und tragisch endet. Herr Jarno, der schon in dem Dunker'schen
Stücke eine Probe seiner feineren Charakterisirungskunst gab, zeigte
sich hier als Hauptmann Griesfeld auf der Höhe seines Könnens.
Ihm zur Seite standen Fräulein Fehdmer und die Herren
Tuschl, Door und Nerz mit vorzüglichen Leistungen.
Den Abschluß der Vorstellung machte das überaus köstliche
Lustspiel „Abschiedssouper“ von Artbux Schu#tzlar Hier war Frau
Jarno=Niese wieder einmal in ihrem Element und sie stattete
ihre Annie mit einer Fülle der drolligsten Nuancen aus, die das
Haus zu unbegrenzter Heiterkeit und schallendem Beifall hinrissen.
Auch der Anatol Jarno's und der Max des Herrn Sachs waren gute
Figuren. Die literarischen Abende des Josefstädter Theaters werden,
wie man sieht, immer interessanter, ja sie machen sogar schon volle
Häuser.)
JODSENVEN
Nr.
I. österr. behördl. ronc. Bureau für Zeitungsberichte u. Personalnschrichten
Wien, IX/1. Türkenstrasse 17.
Filiale in Budapest: „Figyelät.
Vertretungen in Berlin, Chicago, London, Newyork, Paris, Stockholm
#galatt
Ausschnitt aus:
vo0 740
Theater, Kunst und Literatur.
(Theater in der Josefstadt.) Einakter=Abende
varen einmal in Mode. Heute werden sie in den
meisten Fällen nur veranstaltet, wenn ein Direktor ein
paar kontraktliche Verpflichtungen endgiltig abstoßen muß.
Drei bis vier Expositionen an einem Abend sind eben für
den Normalzuschauer eine Belästigung, er liebt es nicht,
aus einer Stimmung gerissen zu werden, in die er sich
gerade bineingesponnen. Der großen Menge bereiten derlei
Nippes kein Vergnügen, sie sind Leckerbissen für Amateure
und solche, die es scheinen möchten. Direktor Jarno traf bei
seinem gestrigen Einakter=Abend eine glückliche Auswahl.
Mit Ausnahme des ersten Stückchens war Alles interessant.
„Eine Bagatelle“, betitelt sich das einaktige Drama,
das mit der Literatur in keinerlei Zusammenhang steht.
Frau Dora Dunker, die Autorin, ist kein Neuling, sie
hat nette Uebersetzungen geliefert und eine größere Menge
Leihbiblioihekswaare geschrieben. Wie sie da plötzlich mit
einer „Bagatelle“ in den Naturalismus gerathen ist, weiß
sie wohl selbst nicht. Das in jeder Beziehung unbedeutende
Stückehen behandelt eine schablonenhafte Unerquicklichkeit.
So stellen sich Dilettanten den Naturalismus vor. Pein¬
Für 50 Zei
lich wirken heißt noch nicht modern sein. Herr Jarno bsive
100
machte einen farblos gezeichneten Gymnasiallehrer aus rto.
200
eigenen Mitteln halbwegs interessant. Hausi Niese ilbar
500
wußte mit der unmöglichen Figur, die sie darzustellen soraus.
1000
hatte, nichts Rechtes anzufangen. Sie versuchte einige
ist das
Im
Naturlaute zu jauchzen. Die tragischen Triller, welche die st es den
Abonnemen
böse Rolle vorschreibt, liegen dieser Künstlerin weniger. „Eine
Abonnenten
Bagatelle“ erweckte gerechte Opposition. „Er, sie und
er“ ist ein echter Bracco. Das anmuthige Ding läßt
sich wie der erste Akt eines Ebebruch=Lustspielet an. Man
kennt Bracco's Art aus „Untren“. Neben manierirten
Geistreichcleien und spitzfindigen Paradoxen viel echter!
Geist. Die Frauen sprechen bei ihm stets sehr kiug über
ihre jeweiligen Gefühle. Jede Figur stebt über der Situa¬
tion, der Dichter spricht, wo seine Menschen sprechen
sollten. Funkelnde Pointen, schimmernde Worte ent¬
schädigen für die mangelnde Charakteristik. Das kleine Lust¬
spiel wurde von Fräulein Fchdmes, sowie den Herren
Sachs und Pfann sehr fein heruntergeplandert.
„Abschied vom Regiment“ von Otto Erich
Hartleben ist ein prächtig geführtes Nachtbild. Der
Hauptmann wird in eine andere Stadt versetzt. Am Abend
des Abschieds hält er in halbberauschtem Zustand Ab¬
rechnung mit seiner eitlen, koketten Frau, die ihn betrügt.
Wie er von der Ahnung zur Gewißheit schreitet und sich
an der Analyse seines ganzen bisherigen Ehelebens erhitzt¬
darin steckt kühne Psychologie, die etwas zu sagen hat.
Es war nicht leicht, den umfassenden Stoff in so knappem
Rahmen zu meistern. Ein starker, dramatischer Athem geht
durch die kurze Trag #ie. Herr Jarno bot als Haupt¬
mann wieder eine vollgiltige Probe seiner Künstlerschaft.
Mit ergreifender Schlichtheit gestaltete er die Figur, ohne
auch nur ein einzigesmal nach dem Effekt zu schielen.
Frl. Fehdmer zeichnete die Frau mit scharfen Strichen.
kett
Zum Schlusse kam das Beste. ArtiurS
„Abschiedssouper“, dies bekannte Kabinetsstück an elegantem
Humoi und individueller Grazie. Der Dichter versteht es,
wie kaum ein Zwetter, Stimmungen zu analysiren, ohne
ihnen den Duft zu nehmen. Er zieht mit zarter Hand den
Schleier von den Dingen und streut Humorflocken darauf.
Hausi Niese putzte die Annie mit prächtig geschauten
Nuancen auf, sie gab ihr dramatische Drastik und soviel
spezifisch Wienerisches, daß man aus dem Lachen nicht
herauskam. Wie vielseitig Herr Jarno ist, sah man an
seinem Anatol. Man sagte sich an diesem Abend: „Was
W
der Alles kann !“
ar box 8/1
„OBSENVER N. 15
705
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Vertretungen in Berlin, Chicago, London, Newyork, Paris, Stockholm.
Ausschnitt aus:
abtatt
Nerd. 34/1—775
147
7½
Theater und Kunst.
(Theater in der Josefstadt.) Mit vier Einaktern wurden gestern
die literarischen Abende dieser strebsamen Bühne glücklich fortgesetzt. Blos
das einaktige „Drama“ von Dora Dunker: „Eine Bagatelle“, das den
Anfang der Vorstellung machte, mißfiel und wurde auch vom Publikum
in den Grund und Boden gezischt. Das tragische Ende jenes bekannten
Berliner Schauspielers, der sich vor einiger Zeit dunkler Geschichten
halber selbst den Tod gab, mag der Verfasserin dieses trostlosen
Stückes vorgeschwebt haben, als sie es niederschrieb. Oder sagen
wir richtiger, als
sie es aus einer Zeitung berausschnitt und
ohneweiters auf die Bühne stellte. Denn vieses angebliche
Drama ist nichts Anderes, als eine jener zahllosen Nolizen, die
der Lokalredakteur der Zeitung „ohne Durchschuß" ins Blatt gibt,
falls sie nicht allgemeines Interesse erweckon. Dora Dunker hat sich
nicht die geringste Mühe genommen, uns einen Blick in die Seele dieses
Gymnasiallehrers thun zu lassen, der, ein glücklicher Familien¬
vater, sittlicher Verirrungen halber sich selbst den Tod gibt.
Auch das Spiel der Frau Jarno=Niese, die uns diesmal als
Frau des Gymnasiallehrers hochdeutsch und tragisch kam, vermochte
nicht zu erwärmen. Unser tägliches Gebet wird es von heute ab sein,
daß der Himmel dieser liebenswürdigen Künstlerin ihren sonnigen
Humor belasse und uns vor ihrer düsteren Tragik bewahre — Amen!
Recht amusant ist das Lustspielchen von Roberto Bracco: „Er,
sie und er“, das hierauf in vortrefflicher Uebersetzung von Otto Eisenschitz
zum erstenmale gegeben wurde. Es ist mit Geist geschrieben und gewinnt
dem Paradeschimmelchen, das unsere modernen Dramatiker so gerne reiten,
dem berühmten „dreieckigen Verhältniß" nämlich, eine neue lustige Seite ab.
Auch wurde der Einakter von Fräulein Fehdmer und den Herren
Pfann und Sachs tadellos gespielt. In dem einaktigen Drama
„Aschied vom Regiment“ von Otto Erich Hartleben fließt un¬
verkennbar das temperamentvolle Blut dieses Modernen, der bei aller
Keckheit und allem Uebermuthe durch sein überragendes Talent so sehr
für sich einnimmt. Es ist eine Regimentsgeschichte, die flott einsetzt
und tragisch endet. Herr Jarno, der schon in dem Dunker'schen
Stücke eine Probe seiner feineren Charakterisirungskunst gab, zeigte
sich hier als Hauptmann Griesfeld auf der Höhe seines Könnens.
Ihm zur Seite standen Fräulein Fehdmer und die Herren
Tuschl, Door und Nerz mit vorzüglichen Leistungen.
Den Abschluß der Vorstellung machte das überaus köstliche
Lustspiel „Abschiedssouper“ von Artbux Schu#tzlar Hier war Frau
Jarno=Niese wieder einmal in ihrem Element und sie stattete
ihre Annie mit einer Fülle der drolligsten Nuancen aus, die das
Haus zu unbegrenzter Heiterkeit und schallendem Beifall hinrissen.
Auch der Anatol Jarno's und der Max des Herrn Sachs waren gute
Figuren. Die literarischen Abende des Josefstädter Theaters werden,
wie man sieht, immer interessanter, ja sie machen sogar schon volle
Häuser.)
JODSENVEN
Nr.
I. österr. behördl. ronc. Bureau für Zeitungsberichte u. Personalnschrichten
Wien, IX/1. Türkenstrasse 17.
Filiale in Budapest: „Figyelät.
Vertretungen in Berlin, Chicago, London, Newyork, Paris, Stockholm
#galatt
Ausschnitt aus:
vo0 740
Theater, Kunst und Literatur.
(Theater in der Josefstadt.) Einakter=Abende
varen einmal in Mode. Heute werden sie in den
meisten Fällen nur veranstaltet, wenn ein Direktor ein
paar kontraktliche Verpflichtungen endgiltig abstoßen muß.
Drei bis vier Expositionen an einem Abend sind eben für
den Normalzuschauer eine Belästigung, er liebt es nicht,
aus einer Stimmung gerissen zu werden, in die er sich
gerade bineingesponnen. Der großen Menge bereiten derlei
Nippes kein Vergnügen, sie sind Leckerbissen für Amateure
und solche, die es scheinen möchten. Direktor Jarno traf bei
seinem gestrigen Einakter=Abend eine glückliche Auswahl.
Mit Ausnahme des ersten Stückchens war Alles interessant.
„Eine Bagatelle“, betitelt sich das einaktige Drama,
das mit der Literatur in keinerlei Zusammenhang steht.
Frau Dora Dunker, die Autorin, ist kein Neuling, sie
hat nette Uebersetzungen geliefert und eine größere Menge
Leihbiblioihekswaare geschrieben. Wie sie da plötzlich mit
einer „Bagatelle“ in den Naturalismus gerathen ist, weiß
sie wohl selbst nicht. Das in jeder Beziehung unbedeutende
Stückehen behandelt eine schablonenhafte Unerquicklichkeit.
So stellen sich Dilettanten den Naturalismus vor. Pein¬
Für 50 Zei
lich wirken heißt noch nicht modern sein. Herr Jarno bsive
100
machte einen farblos gezeichneten Gymnasiallehrer aus rto.
200
eigenen Mitteln halbwegs interessant. Hausi Niese ilbar
500
wußte mit der unmöglichen Figur, die sie darzustellen soraus.
1000
hatte, nichts Rechtes anzufangen. Sie versuchte einige
ist das
Im
Naturlaute zu jauchzen. Die tragischen Triller, welche die st es den
Abonnemen
böse Rolle vorschreibt, liegen dieser Künstlerin weniger. „Eine
Abonnenten
Bagatelle“ erweckte gerechte Opposition. „Er, sie und
er“ ist ein echter Bracco. Das anmuthige Ding läßt
sich wie der erste Akt eines Ebebruch=Lustspielet an. Man
kennt Bracco's Art aus „Untren“. Neben manierirten
Geistreichcleien und spitzfindigen Paradoxen viel echter!
Geist. Die Frauen sprechen bei ihm stets sehr kiug über
ihre jeweiligen Gefühle. Jede Figur stebt über der Situa¬
tion, der Dichter spricht, wo seine Menschen sprechen
sollten. Funkelnde Pointen, schimmernde Worte ent¬
schädigen für die mangelnde Charakteristik. Das kleine Lust¬
spiel wurde von Fräulein Fchdmes, sowie den Herren
Sachs und Pfann sehr fein heruntergeplandert.
„Abschied vom Regiment“ von Otto Erich
Hartleben ist ein prächtig geführtes Nachtbild. Der
Hauptmann wird in eine andere Stadt versetzt. Am Abend
des Abschieds hält er in halbberauschtem Zustand Ab¬
rechnung mit seiner eitlen, koketten Frau, die ihn betrügt.
Wie er von der Ahnung zur Gewißheit schreitet und sich
an der Analyse seines ganzen bisherigen Ehelebens erhitzt¬
darin steckt kühne Psychologie, die etwas zu sagen hat.
Es war nicht leicht, den umfassenden Stoff in so knappem
Rahmen zu meistern. Ein starker, dramatischer Athem geht
durch die kurze Trag #ie. Herr Jarno bot als Haupt¬
mann wieder eine vollgiltige Probe seiner Künstlerschaft.
Mit ergreifender Schlichtheit gestaltete er die Figur, ohne
auch nur ein einzigesmal nach dem Effekt zu schielen.
Frl. Fehdmer zeichnete die Frau mit scharfen Strichen.
kett
Zum Schlusse kam das Beste. ArtiurS
„Abschiedssouper“, dies bekannte Kabinetsstück an elegantem
Humoi und individueller Grazie. Der Dichter versteht es,
wie kaum ein Zwetter, Stimmungen zu analysiren, ohne
ihnen den Duft zu nehmen. Er zieht mit zarter Hand den
Schleier von den Dingen und streut Humorflocken darauf.
Hausi Niese putzte die Annie mit prächtig geschauten
Nuancen auf, sie gab ihr dramatische Drastik und soviel
spezifisch Wienerisches, daß man aus dem Lachen nicht
herauskam. Wie vielseitig Herr Jarno ist, sah man an
seinem Anatol. Man sagte sich an diesem Abend: „Was
W
der Alles kann !“