II, Theaterstücke 4, (Anatol, 5), Abschiedssouper, Seite 90

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4.5. Abschiedssoup
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lefon 12801.
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Wien, IX/1. Türkenstrasse 17.
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Theater und Literatur.
Theater in der Josefstadt.
Litterarischer Abend: „Eine Bagotelle“, Drama in einem Act
von Dora Düncker. „Er, sie und er“, Lustspiel in einem Act von Roberto
Bracco, „Abschied vom Regiment", Drama in einem Act von Otto
Erich Hartleben, „Abschieds=Souper“, Lustspiel in einem Act von
Ein litterarischer Abend von wunderlicher Zu¬
Arthur Schnitzler. —
sammenstellung. „Eine Vagatelle“ ist ein peinlich schlechter Einacter, der
eine Notiz aus der kleinen Chronik für tragisch, eine Tagesneuigkeit an
sich für dramatisch hält. Ein sonst anständiger Mensch, der Frau und
Kinder liebt und glücklich macht, entzieht sich den gerichtlichen Folgen
eines Sittlichkeitsdelictes durch einen Schuß. Wir haben also hier nur
einen Lebensschluß, wörtlich: Knall und Fall. Nun ist das nicht einmal
theatrali,, wie viel weniger dramatisch. Auch im Einacter muß jedes
Schicksal aus der Wurzel des ganzen Daseins wachsen, und wenn auch
nicht im gewöhnlichen, so doch im künstlerischen Sinne logisch vor uns
erscheinen. Eeckhond hat in einem Roman dieses tragische Motiv des
Menschen, der, eben durch seine unglückliche Perversität im Menschlichsten
insam und verlassen, im innern Widerstreit mit der ganzen Welt zu
Grunde geht, geschildert. Aber darf man diesen großen Künstler auch nur
in einem Athem nennen mit dem Autor dieser unglücklichen Bagatelle"?
Bracco's Lustspiel=Feuilleton ist eben wie des Verfassers „Untreu“ mit
Heiterkeit und Geist aus dem Stegreif geschrieben, aber es hält sich all¬
zulang bei jedem Einfall auf und jede Pointe ist mit der Eitelkeit de¬
Journalisten ausgebeutet, der eben ein amusantes Genre zu seiner beliebten ge
Für
Specialität ausgebildet hat. „Abschied vom Regiment“, entnommen aus
einem Cyclus kurzer Stücke von Hartleben, welche als Buch (S. Fischer) ir
„ 1 und auf einigen Bühnen unter dem Gesammttitel „Die Befreiten“ er= zus.
10 schienen, mag als wirkliches und echtes Drama Frau Dunkers schlechtem
Einacter gegenüber gestellt werden. Hier wird in ein paar kurzen Scenen; das
die Tragödie der Officiersehe, das ganze Elend dieser in einem traurigen 's den
Abon Rausch und nichtiger Geschäftigkeit lebenden Menschen dargestellt, ein
Abon Ende, dessen ganze Entwicklung vor uns steht, dabei mit wunderbarer
Sachlichkeit und Gerechtigkeit und so ganz einfach und schlicht. Hartleben,
dieser ganz unpathetische, ironische, oft scurrile Mensch, ist ein Dramatiker
voll Ernst und Bedeutung; das Beispiel seiner Ruhe und ungekünstelten
Art thäte noth auch für erfolgreiche und gepriesene Dichter und für das
Publicum, das an ihm und jenen, Echtes von Gemachtem unterscheiden
lernen könnte. „Das Abschieds=Souper“ ist zu bekannt, als jdaß noch
etwas hierüber gesagt werden müßte. Die Darstellung war sin allen
Stücken mittelmäßig, sie vergröberte alles, besonders merklich in den
heitern Sachen, deren Feinheit derb und ungeschlacht wurde; die beiden
Jünglinge im „Anatol“ erschienen als Sonntagslebemänner von Neu¬
lerchenfeld, und sie wohnen doch, glaube ich, in der Gonzggagasse oder
dort wo. Frau Niese ist vor Rollen, wie der in der „Bagatelle“ zu
warnen, auch scheint sie in den lustigen und ihrer Eigenart angepaßten,
jetzt ihre Natürlichleit und Frische zu betonen und ihren Charakter zu
unterstreichen; so kann aus ihrer Liebenswürdigkeit und Derbheit, Manier
und Schablone werden und das wäre sehr schade. Gerade der bedeutende
Darsteller braucht den mäßigenden und strengen Einfluß des Regisseurs,
der ja schließlich nicht blos die Möbel zu stellen hat. Dort in der
O. St
Josefstadt scheint er übrigens nicht einmal das zu können.
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4. LetbG
(Theater in der Josephstadt.) Man wünscht,
daß ich mich —— sehr post festum — über den literari¬
schen Abend außere, der an dieser Bühne bereits zehnmal
wiederholt wurde. Mein Eindruck ist, daß er seine dauernde
Beliebtheit weniger der Literatur als der Pikanterie zu
verdanken hat. Vier Einacter bestreiten das Programm:
davon bewegen sich zwei im Reiche der Liebe auf Kündi¬
gung, einer demonstrirt einen vollzogenen Ehebruch, und
einer eröffnet die freundliche Perspective auf einen künftigen
Ehebruch. Der Unterschied zwischen Literatur und Nicht¬
Literatur wird also mehr graduell als generell aufgefaßt.
Die relativ interessanteste Stimme in dem Quartett stellt
der Dierbaß des Herrn Otto Erich Hartleben bei; der
philisterfeindliche Simson nimmt die tragische Maske vor
und gibt in seinem Drama: =Abschied vom Regi¬
mente= eine düstere militärische Ehestandsgeschichte. Ein
Hauptmann wird in eine andere Garnison versetzt; er
kehrt vom Abschiedsfeste, das ihm die Kameraden gegeen
haben, im Zustande der Dreiviertel=Trunkenheit heim und
forscht nach der Ursache seiner Transferirung. Dienstliche
Gründe können nicht maßgebend gewesen sein, nur private. ####
Für
Er setzt sich mit seiner Frau auseinander, würgt sie so to.
100
lange, bis sie ihm ihren Fehltritt bekennt und renn=sbar
200
500
schließlich in seiner Wuth blind in den Säbel des Lieb=draus.
„ 1620
habers. Feinere psychologische Züge und grobe Bühnent set das
effecte laufen wundersam durcheinander, die Brutalität; es den
Abennen behauptet am Ende siegreich das Schlachtfeld. Das gehört
Abonnet wohl zum Style des ewigen Burschenschafters Hartleben.

Das Lustspiel: =Er, sie und er= trägt die weithin
sichtbare Marke des Neapolitaners Bracco, der
seine Frivolität so gerne mit dem Schimmer literarischer
Prätension umgibt. Der Hausfreund will das gastliche,
Obdach verlassen, weil er die Frau des Hauses liebt; er
gesteht seine Leidenschaft — dem Manne, der Mann ge¬
steht sie — seiner Frau, und diese gibt dem schüchternen
Jüngling zu erkennen, daß sie ihn bei sich zu behalten
wünscht. Man entschuldigt die Producte des Herrn Bracco
mit der Behauptung, daß sie geistreich seien; aber ihr
ganzer Geist besteht eigentlich nur darin, daß die Gedanken
und Worte einander widersprechen. Wenn bei ihm Einer
sagt: =Ich liebe #i#e. geberdet er sich kalt und gleich¬
giltig; wenn Eine#agt: Ich liebe Sie nicht, zittert er
vor Aufregung. — Anfang und Schluß des Abends bilden
zwei Anatolioden Arthur Schnitzler's: =Die Frage
an das Schicksal= und das bekannte =Abschieds¬
soupers. Man hat das Vergnügen, zwei Verhältnisse¬
des berühmten Anatol kennen zu lernen, und man hat das
Vergnügen, ihn zweimal betrogen zu sehen. Naturgeschichte
der Lebemänner zum Gebrauche für Lebemänner. Leute,
die arbeiten — und es soll auch solche geben — gehen
an dieser weltmännischen Skepsis skeptisch vorüber. — Die
beste schauspielerische Leistung bringt Director Jarno in
der Rolle des tragischen Hauptmannes. Seine Technik
zwingt, obwohl sein Schmerz nicht aus einem tiefen Ge¬
müthe kommt. Helene Fehdmer gibt die gegenwärtige
und die künftige Ehebrecherin; sie ist intelligent, aber die
Grazien sind nicht an ihrer Wiege gestanden. Frau Niese
würzt die saftige Anatel=Freundin des Schlußstückes mit
zahlreichen Spässen eigener Fechsung, die dem Publicum,
—.
wie jede Uebertreibung, ausnehmend gefallen.