II, Theaterstücke 4, (Anatol, 5), Abschiedssouper, Seite 109

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4.5. Abschiedssouper
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Telephon 12801.
Alex. Weigl’s Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
„OBSERVEP“ —
Nr. 83
1
I. österr. behördl. conc. Bureau für Zeitungsberichte u. Personalnachrichten
Wien, IX/1, Türkenstrasse 17.
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Ausschnitt aus: Oesterr. Volk#ituns Wien
8 3½ 7 707.

Theater und Kunst.
Raimundtheater.
Seit einiger Zeit liest man in den auswärtigen
Zeitungen über den Triumphzug der französierten
Dänin Charlotte Wiehe in den höchsten Aus¬
drücken gehaltene Siegesberichte. Wo sie hinkam, erregte
ihre Erscheinung und ihre vielseitige Kunst Bewunde¬
rung. Gestern hatten wir Gelegenheit, die Berechtigung
dieser Ueberschwenglichkeiten zu prüfen. Charlotte
[Wiehe trat in drei Einaktern oder Szenen auf. Das
nervenaufregende Mimodram „La main“ bildete den
Für
inclusive
Anfang. Die Künstlerin spielte, tanzte und mimte die
Porto.
2 Tänzerin Vivelte. Die stumme Kunst der Beredsamkeit,
5 der Ausdruck ihrer Züge, die Sicherheit, mit der ihre Zahlbar
100zierlich geschmeidige Gestalt den seinsten Seelenregungen im Voraus.

U,gehorchte, brachten das Publikum sofort in den Bann #gnitte ist das
Abonnenihrer bezwingenden Erscheinung. Die höchsten dramatischen sch #tent es den
ändern.
AbonnenAkzente der bekannten Schrecensszene erschienen aller¬
dings gedämpft und gemilder“, als hütete sie sich, die
enthaltend die
DSchönheitslinie zu überschreiten. Ganz anders in der
r Morgen¬
InhaltsaArt und Auffassung als wir es bisher gewohnt waren,
blättiaber mit hinreißender Grazie spielte sie die Louise in iener Zeitung")
wodurchArtur Schnitzlers „Abschiedssouper“ Hier war virthschaftliche
Leben (sie ganz Pariserin, ganz Charme und liebenswürdige fird. Diese Mit¬
theilung Laune. Den Höhepunkt des Erfolges, der lediglich dem
Zauber galt, den ihre harmonische Kunsterscheinung
ausstrahlte, erreichte sie in „L’homme aux poupées“.
Wir haben die Umwandlung einer lebenden Gestalt in
eine Puppe und schon umgekehrt beiverschiedenen Gelegen¬
heiten als „Kunststückchen“ mehr oder weniger gut aus¬
führen gesehen. Aber bei Charlotte Wiehe ist es
die Aeußerung einer harmonisch gefügten Kunst, die das
Liniens il des Körpers zu plastischen) Akkorden ver¬
eint. Das höchste Kunstwerk, der Mensch, erfährt in
diesem Spiel ausdrucksvolle Deutung. Wie ein Geschöpf
der Renaissance, dem keine Kunstäußerung fremd ist,
weiß sie ihren geschmeidigen graziösen Körper zum be¬
seelten Instrument seiner Regungen zu machen. Siezeigte
sich als Mimikerin und Tänzerin in gleicher Vollen¬
dung. Severin Mars, ihr Partner in den erwähnten
Einaktern, ist ein Künstler von Charakteristik und Ge¬
wandtheit. Das Haus zeigte das typische Bild eines
sensationellen Abends. Von den Stüclen, die gespielt
wurden, ist nicht mehr viel zu sagen. „La main“ ist
eine rafüiniert ausgetüstelte Einbrecherszene mit nerven¬
spannendem Detail und theatralischen Schreckens¬
momenten. Die Hand des Cinbrechers, die plötzlich vor
dem Vorhang erscheint, während die Tänzerin vor dem
Spiegel steht, ist der Clou dieses Exzentr kstückchens,
das übrigens in Wien schon wiederholt aufgeführt
wurde. Frau Prasch spielte die Vivette an einem
Volkstheaterabend mit starken dramatischen Alzenten.
[Schnitzlers „Abschiedssouper“ übte köstlichste Wir¬
kung und mutete in der französischen Uebrtragung an,
als ob es auf Pariser Boden gewachsen wäre. Der
musikalische Teil des ersten und dritten Stückchens ist von
Henry Berney, dem Gatten der Künstlerin, mit mehr
Geschmack hergestellt, als der stumme Teit, der viele
theatralische Aufdringlichkeiten enthält. Die Künstlerin
wurde bei jeder Gelegenheit mit stürmischem Beifall
V. Ch.
ausgezeichnet.