II, Theaterstücke 4, (Anatol, 5), Abschiedssouper, Seite 134

resfene pe eehe We m
jene andere bemalte Leinwandwelt hinter dem Bühnen¬
vorhange bewohnen, die lieben, um leben zu können, sich
aber mitunter — wie in dem vorliegenden Falle — den
Luxus gönnen zu dürfen glauben: zu leben, um zu lieben,
wenn sie auch ihren Appetit auf Austern, Fasan, Crême
und Champagner zu „Frankfurtern“, Golasch und Abzug¬
bier mit Liebe als Dessert declassiren müssen, während
ihre Nachfolgerinen, die sich mit einem Rostbrat'l und ge¬
spritztem Retzer begnügten, vorrücken. Das ist so Lauf
in jener Welt.
Mit ihrer Darstellung der „Annie“ hat uns Frau
Glöckner geradezu imponirt, wir möchten sie als ihre
beste, künstlerisch vollendetste bezeichnen; es war eine
scharf umrissene, bis in die subtilsten Details fein aus¬
gearbeitete lebenswahre Gestalt von prägnantester Charak¬
teristik, dabei hielt Frau Glöckner in der Darstellung
der auf der Messerschneide stehenden Figur das künst¬
lerische Maß mit so peinlicher Genauigkeit ein, daß sie
nie unangenehm, trivial oder gemein wurde; freilich
muß man, um dies zu treffen, die persönliche Liebens¬
würdigkeit und die Anmuth der Frau Glöckner besitzen.
Ihr eminentes Talent für die Kunst des Nachahmens
und Nachschaffens bewies Frau Glöckner mit der
Vorführung der „Yvette Guilbert“, der sie in äußerer
Erscheinung, Mienen= und Geberdenspiel, Sprache und
Vortragsweise in verblüffend frappanter Weise glich
So sehr wir dieses Talent anerkennen, so ziehen wir das
Original „Pepi Glöckner“ vor und können es nur als
eine Laune der reichbegabten Künstlerin hinnehmen, wenn
sie, selbst ein treffliches Original, Vergnügen an dem
Copiren findet.
Es dürfte so ungefähr ein halbes Jahrhundert sein,
daß die „Kunigunde von Kirchbeck“, eine Paraderolle der
Localsängerinen: der Braunecker=Schäfer, Gallmeyer und
kleinerer Localgrößen war. Welch' ein Abstand zwischen
„Vereinsschwester“ und „Abschiedssouper“, zwischen der
„Annie“ und der „Kunigunde", im Stücke wie in den
Rollen welcher Contrast! Doch, ob altes, ob neues Genre,
ob fromme Betschwester oder lebenslustige, tanzende und
singende Weltdame, Frau Glöckner findet sich in jedem
Genre, wenn es heiter ist, zurecht und macht es recht.
Leider war## vorletzte Gastspielvorstellung der Frau
Glöckner, in der sie als „Leni“ in „Drei Paar
Schuhe“ auftrat, vollständig verunglückt, da Frau
Glöckner so heiser war, daß sie nur mit Mühe sprechen
konnte, und wir uns nur wunderten, daß Frau Glöckner
überhaupt auftrat.
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— Filiale in Budapest: „Figyelö“ -
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Vertretungen in Berlin, Chicago, Genf, London, Newyork, Paris, Rom, Stockholm.
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Theater, Kunst und Literatur.
Artur Schnitzlerist eine viel zu markante
Gestalt innerhalb des neuesten Wiener Schrift¬
tums, als daß wir nicht mit allem Interesse
dem „Abschiedssonper“, und ist es auch nur
ein kleiner Einakter, entgegengesehen hätten. Nun,
das „Abschiedssouper“ ist interessant, wenn auch
etwas absonderlich. Sein Beweisthema: auch ein. 15.—
„ordinäres“ Frauenzimmer benimmt sich bei 28.— inclusive
Porto.
Lösung eines „Verhältnisses“ noch immer zart= 50.—
Zahlbar
fühlender, „anständiger“, als der „feine“ Mann. 110.—
Dieser feine, wohlerzogene Mann ist Anatol, der 200.—] im Voraus.
in der Chambre separée bei gedecktem Abendtischlgsausschnitte ist das
auch steht es den
Zsein Balletmädel Annie erwartet, um mit ihroder zu ändern.
bei dieser Gelegenheit zu brechen. Dazu nun hat¬
es viel feine Vorbereitungen gebraucht. Anatol Auszug enthaltend die
Inhat in seiner Furcht vor dem Moment seinenViener Morgen¬
nd „Wiener Zeitung")
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Freund Max geladen, dem er nun seinen „seeli=, und wirthschaftliche
Leschen“ Zustand erklärt, der ihn — leider — vonjoten wird. Diese Mit¬
thAnnie nunmehr zu einer Andern trelbe — einer
reinen, lieben Unschuld. Eine mit der Andern zu
betrügen, das gehe nicht, denn er und Annie 26.
Ihatten „zum Anfang“ einander versprochen, gege¬
benen Falls „ehrlich“ zu sein. Er finde aber
nicht das rechte Wort im entscheidenden Moment
Max möge ihm beistehen. Nach diesen delikaten
und peniblen Spintisirereien wirbelt die Annie
herein. Sie wirft den kostbaren Mantel — „schau¬
ich aus, wie Eine, die von der Gage lebt?“ —
an den Kleiderständer und steht nun ziemlich
falopp da, wie sie nach Abwerfen des Kostüms
aus dem Ankleideraum des Theaters kommt: in
einfacher Blouse, ohne Mieder, ohne Band und
Schmuck. Sie ist hungrig, und wie sie sich über
das Essen und Getränke stürzt und wie sie sich
in überlautem Schwatzen und Lachen wirft und
vertollt: das ist das echte „Naturkind“ — des
Großstadtpflasters und der Chambre sepurée:
lebensheißhungrig, üppig und gemein. Das
trinkt und trinkt und bekommt seinen richtigen
Nebel und lacht und lacht und platzt dann
ihrerseits mit der Kündigung des „Verhält¬
nisses“ heraus, denn auch sie liebt einen Anderen ...
Nun kriegt der „seelische“ Anatol in seiner Eitel¬
keit eine richtige Wut. Und als sie ihm auf sein
Drängen beruhigend erklärt, daß sie ihm bis
heute „treu“ geblieben, schleudert er ihr höhnisch
in's Gesicht: er seinerseits, habe sie schon seit
Wochen mit der Anderen betrogen ... Da
kommt nun die Sentenz: Ihr Männer seid in
solchen Dingen doch immer gemeiner, als wir
Weiber. Auch sie, Annie, gehört längst schon dem
Anderen au, aber — gesagt hätte sie's nie!
Und sie stürmt davon. — Constanze Linden
hal die Annie mit geradezu verblüffender Realistik
und Naturwahrheit gespielt. Da gab's keine
prude Schminke, kein Schönheitspflästerchen und
kein Rosenwasser — alles war scharf und rück¬
sichtslos herausgeworfen. Wie vielseitig ist doch
diese Künstlerin, die die entgegengesetztesten Ge¬
stalten, wie die Yanette in „Rote Robe“, die
Clarkson in „Der bunte Rock“ und die Annie im
„Abschiedssouper“ mit gleicher Vollkommenheit
Stift als Anatol, Pallenberg
schafft!
"*
ais Max bildeten gute Folieu für die Annie.
Dr. K. A.