II, Theaterstücke 4, (Anatol, 5), Abschiedssouper, Seite 144

4.5. Abschiedssouper
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Schelmerei wurde noch durch den Charme des Aeußeren wirksam unter¬
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stützt, so daß sich die Zuschauer sagen mochten: entweder ist dieser Anatol
# Wohltätigkeitssoiree.#
ein Ungeheuer oder seine neue Eroberung ist ein Engel, daß sie
Der Weibliche Verein für israelitische Armenpflege,
solchen Reizen obsiegen konnte. Auch das Duett der Freunde gelang
dessen Soireen seit Jahren die Reputation kleiner Lokalereignisse ge¬
nicht übel. Besonders hatte Anatol etwas von der bleichen und
nießen, hatte diesmal, und zwar mit eutschiedenem Glück, allein der
weichen Lässigkeit des sentimentalen Wiener Lebejünglings, und was
Zugkraft des Theaterspiels vertrant. Punkt eins der künstlerischen
hnoch bemerkenswerter ist: er konnte sprechen, obwohl er nur ein
„Abschiedssouper“;
Tagesordnung war Artur Schnitzl,
Dilettant war. Das Publikum nahm die literarische Introduktion in
ein pikant gefaßtes und em förmlich blitzendes Edel¬
bester Laune auf. Tempora mutantur. Als das „Abschiedssonper“
steischen aus der Szenenkette „Anatol“ die der Autor ursprünglich
898 mit Frl. Marbach auf der Berufsbühne zum ersten Male auf¬
Hvohl kaum der Bühne zugedacht, die sich dort aber längst Heimats¬
tauchte, hielt es das unvorbereitete Publikum für passend, ein wenig
Fecht erworben hat. Seit acht Tagen soupiert Anatol in einem Hotel
über die Keckheit des Stoffes verschnupft zu sein. Heute ist es der,
mitt seiner letzten Herzensflamme nur zu dem Zweck, um sie kaltzu¬
wie es scheint, von niemandem beanstondete Vorhanglüfter einer
ställen, da ihm zurzeit ein blondes Köpferl den Kopf verrückt hat.
familiären Wohltätigkeitssoiree.
Aber unser Don Juan findet aus Furcht vor der weiblichen Tränen¬
Nach der Büsettpause mit ihren außerordentlich ergiebigen Ge¬
flut nicht das erlösende Wort, und doch ist es ihm so leicht gemacht!
nüssen stieg dann eine wirkliche Premiere: die humoristische Operetten¬
Als die beiden sich nämlich ewige Treue schwuren, schlug er für die
revue „Quer durch Luisenhöh“ von Alfred Arendt. Es ist
Eidesformel folgende limitierende Fassung vor: Sollten wir eines
ein originelles Opus, das neben einer geschickten Hand auch das ein¬
Tages merken, daß einer des anderen überdrüssig ist, so sagen wir
dringendste Kulissenstudium voraussetzt. Einen Schlager zu schaffen,
es einfach und scheiden in Frieden. Heute hat sich nun Anatol zu
ist nicht allzu schwer; aus zwanzig vorhandenen Schlagern aber
dem unwiderruflich letzten Souper einen älteren, gesetzten Freund
einen neuen zu machen, ist ein Kunststück. Dies ist der Fall
mitgebracht, einen solchen, vor dem man nicht weint; heute wird,
des Herrn Arendt. Er hat sozusagen einen Napfkuchen aus
heute muß es also werden. Da geschieht etwas ganz Unerwarteles:
lauter Rosinen gebacken, indem er die Effektpiecen sämtlicher
Annie, die schöne Beinkünstlerin, kommt ihm zuvor und sagt ihm
Operetten zu einer noch nicht dagewesenen Partitur vereinigte.
ihrerseits unter Berufung auf jenen Pakt den Dienst auf, und zwar Allerdings stand ihm dabei ein Stab ausgezeichneter Hilfskräfte zur
weil sie „seit heute rasend verliebt sei in einen Kollegen, einen Seite: Herr M. Aschkanasy als Dirigent des aus Damen und
armen Teufel, der offenbar „ihre Bestimmung“ ist und dies gleich so Herren der Gesellschaft zusammengesetzten, taktfesten Orchesters, Herr
sehr, daß sie um seinetwillen sogar eine Zukunft ohne
Hans Frohmann als Tanzmeister und Herr Dagobert Ginzberg
Austern, ohne Sekt und Burgunder ertragen will. Nicht!
für den Klavierpart. Dazu noch ein bewunderungswürdig geschultes
so ganz ohne falzige
Anatol sollte glücklich sein,
wahr,
Ensemble, das die Helden und Heldinnen der Operetten von der
Springflut oder vulkanische Eruptionen die Liebe von gester
Schönen Helena“ an bis auf den „Fidelen Bauer“ gesanglich, ballett¬
mit der von heute wechseln zu können, mit jener heiteren Seelen¬
mäßig oder deklamatorisch glänzend verkörperte. Namentlich das Schlu߬
ruhe, mit der man einen ausgedienten Smoking gegen seinen Nach¬
tableau, in dem die Korona einmütig dem Meister Offenbach huldigt,
folger vertauscht. Aber wie die Anatols einmal sind, braust er auf
war in seiner charmanten Buntheit ein Bild von ungewöhn¬
vor Eifersucht, schnaubt Rache und hält nun nicht mehr mit der
lichem Reiz. Einzelne Mitwirkende, wie Mister Zipser, die Dollar¬
Eröffnung hinter dem Berge, daß auch er eine andere liebe, nur mit
prinzessin, die schöne Helena 2c. 2c., boten Hervorragendes. Zum
dem Unterschiede, daß er Annie schon längst betrogen habe. Annie
Schluß wütender Applaus. Dichter 'raus. Er kam, sah und siegte,
ist einen Augenblick starr, dann faßt sie ihre ganze Weltweisheit in
wird aber die empfangenen Lorbeeren hinter den Kulissen mit seinen
das eine inhaltsreiche Wort zusammen: „Das hätte ich dir nie ge¬
treuen Mitarbeitern geteilt haben.
sagt; so rücksichtslos kann nur ein Mann sein!“ Das Stückchen ist
Martin Klein aber müßte sich schlecht auf seinen Vorteil ver¬
mit der Delikatesse eines Maupassant behandelt und entfaltet in seinen
stehen, wenn er nicht die Hand auf diese Verherrlichung seines Reper¬
25 Minuten mehr szenische Gewandtheit als mauch abendfüllendes
toires legte und in Bälde das alleinige Aufführungsrecht der Novität
Lustspiel. Die Wiedergabe der lapidaren Kleinigkeit war reizend —
erwürbe
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ein Urteil, zu dem wir wahrscheinlich auch auf einem bevor¬
zugteren Platze gekommen wären als dem, den uns die allumfassende
Vorsicht der Arrangeure angewiesen hatte und von dem aus wir
zeitweise hinter einem Topfhut (Facon: Frühjahr 1909) nichts
sahen als Annies schöne Augen und die fliegenden Bartkotelettes des
samosen Obers. Für Anatols Herzensg'spusi hatte man sich die
Salondame des Stadttheaters ausgebeten, und Frl. Schertoff schien
ihren Ehrgeiz darein zu setzen, auch im Kleinen groß zu sein. Sie
traf das Zweifelhafte des Persönchens mit unzweifelhafter Sicherheit,
daneben aber auch die Naivetät, Koketterie und Liebenswürdigkeit,
die in den Chafbres separées so hoch im Preise stehen. Die neckische