II, Theaterstücke 4, (Anatol, 4), Episode, Seite 4

die Jüngsten dokumentiren wollen und denen der Garthe'sche
Begrig der Klarheit identisch mit „Oberstöchlichkeit“, Nach
lallende Stammeln blödsinniger Nepoten gleichbedeutend mt
„Tiefe“ gilt. Diese bunte Menge saß vor dem dürftigen Vor¬
hang, der sich alsbald theilte und die Wunder des Ueberbreitls
enthüllte. Wir haben nur Einiges davon gesehen, diese Prohen
genügten uns.
Olga Wohlbrück sprach ein Gedicht von Salus.
den wir sonst sehr schätzen, und der auch in dem vorgetragenen
Stücklein „Mütter“ einen hübschen Gebanken, wenn
auch nicht sehr formschön, zum Ausbruck gebracht
hat. Olga Wohlbrück trug ein gelbes Kostüm mit
einer Riesentulpe auf der Brust; sie litt ersichtlich unter einem
Schnupfen und sprach demgemäß. Viekleicht wollte sie den
kranken Zustand der beiden „Mütter“ charakierisiren, die soeben
Menschenkindern das Leben gegeben haben?!! So hofften wir.
Dann folgte ein Eislersches Gedicht „Gänschen“; aber auch
das Gänschen war verschnupft und überdies in der Darstellung
Olg: Wohlbrücks eine ziemlich ausgewachsene Gaus. Hierauf
„Adele“! (Bozina Bradsky). Eine blonde, schlanke Figur
im inliegendem Kleide, tief ausgeschnitten bis über die Hälfte des
Rückens, unten ein Gewirr von Stoffen — ich hin kein Damen¬
schneider —, darunter zum mattblauen Kleide schlecht kontrastirende
„jupons“ tieferer Farbe. Sie trägt ein Wolzogen'sches Lied
vor, bas in altbekannter Manier die Ziographie einer Demi¬
mondaine giebt, Mischung aus Frivolität und Sentimentalität.
Facit: Trivialität; die Musik dazu steht auf derselben Stufe, Ge¬
klimper, am Schluß ein Mascagni=Schrei! Im Hintergrunde des
Zimmers, in dem sich dieses abspielt und in dem Herr v. Wol¬
zogen in Frack mit blanken Knöpfen und grauen Pantalons am
Klavier lehnt, ist ein, Apollo=Büste aufgestellt — vorsichtiger
Weise Büste ohne Hände, aber der Gott dreht doch den Kopf zur
Seite. — Hierauf ein geschmackloses Kouplet mit Phinte gegen
einen militärischen Dramendichter, über dessen Leistungen man
denken kann, wie man will; jedenfalls sind seine Verse
aber wohlklingender und geistreicher, als die gestrigen
Spottzeilen — Weiter: Eine Episode“ Bruchstück
aus einem Schnitzler' schen Opus. Zwei Herren variiren in
dämmerigen Arbeitszimmer bei Gelegenheit einer Sortirung von
Locken, Blumen und anderen „Liebesgeben“ ohne Witz und mit
viel Behagen das völlig
unbel innte Thema „ Weip
und Treue". Schließlich kommt sie, die Cirkusfee,
verführerisch, berückend und mit Schnupfen: Olga Wohl¬
brück. Bald darauf wird man intim und die Gardine schließt sich. —
Dann zwei Gedichte, von Herrn v. Wolzogen selbst vorgetragen, das
eine galz „Leder“. Lederhose, Ledermüte, Lederpelische, #i-garlebeine
Hos'! Das andere der tiefen, praktischen Philosophie eines
Karpsens gewidmet, der eine weiche, schleimige, delikate Wasser¬
leiche benagt! — Hierauf, unter der Flagge Annunzios,
seine Farce, die eine ganz hübsche Satire auf die schwatzhaften
schönrednerischen Menschen enthält, und ein sehr melodiöses
Tanzduett, das lediglich durch die Musik wirkt. — Dann
dritter Theil!
Aber wir
hatten genug und ergriffen die Flucht. Und
als wir durch die dunklen Seitenstraßen heimwärts schritten,
da öffnete sich plötzlich an einer Ecke eine Perspektive auf den
Rathhausthurm im glühenden rothen Licht. Da stand der vier¬
eckige, schwergefügte Bau und zeichnete sich scharf gegen den dunklen
Nachthimmel ab. Ein plumpes Bauwerk: der Thurm, den qualmende
Bengalflammen verschönern sollen, überragend die festfeierade Haupt¬
stadt. Ist er auch ein Zeichen der Zeit, ein Zeichen der Kunst und des
Kunstgeschmackes? Hoch hinausstrebend, ohne Gliederung, ohne
Anmuth — einzig durch künstliche Beleuchtung hervorgehoben
und in nichts deu maßvollen Schönheitssinn einer aufblühenden
Zeit wiederspiegelnd! — — Und als der Thurm hinter uns ent¬
schwunden war, da fielen uns die Verse eines deutschen Poeten
ein, der erst jüngst vor dem Drange nach Festen warnte und
zur Arbeit mahnte. Wahrlich, der Arbeit bedarf es, wie im
Staatsleben, so auch in der Kunst. Tändelnd und mit füßen
Mätzchen hat noch nie ein Dichtersmann die Muse errungen,
ndern nur im Schweiße des Angesichts, den die Götter vor
C. S.
geniale Begabung setzten.
4. 4. Eoisode
box 7/7
un . M
Die heutige Nummer enthält:
versitäten vor
diesem wichtig
„Natur= und Völkerkunde": „Neue
Aesthetik des
Dampfertypen für den überseeischen Ver¬
Aestherik von
kehr.“ Von W. Verdrow. „Neue afrikanische
damit anzuse“.
Essayisten un
Thierstudien.“ Von Dr. Ludwig Karell. Seite
seit einiger Z
15 bis 17.
es eine neue
Ferner:
worden, auch
Die 50. Fortsetzung des Romanes „Aussaat und
Jahrhunderts
Ernte“ von J. v. Lagin. Seise 18.
n
es scho
L
ge
Feuilleton.
Das „Ueberbrettl“.
Das „Ueberbrettl“ ist also erstanden. In der „Seces¬
sionsbühne“ wurde es vorgeführt, und es war Der erfolg¬
reichste Abend, den das Haus am Alexanderplatz erlebt
hat, seit es zu secessionistischen Zwecken eröffnet wurde.
An der Kasse hing (oh lieblichstes aller Secessions¬
Wunder!) ein Täfelchen mit der Inschrift „Ausverkauft“.
In Schaaren waren die Leute gekommen, ein glänzendes
Publicum, die ganze künstlerische Gemeinde von Berlin.
Man amüsirte sich, es gab Beifall in Fülle. Dieses
„Ueberbrettl“ lebt und wird leben bleiben. Auf der deut¬
schen Bühne ist wieder einmal etwas Neues zu sehen,
oder wenigstens, da die Neuheit in diesem und jenem
Punkte bestritten werden kann, etwas Hübsches und
Feines.
Hier wäre der Moment, um zu sagen, was „Ueber
brettl“ bedeutet. Wahrscheinlich bedeutet es nicht viel. Es
ist irgend ein Name zu einer Sache. Man plante ein
lustiges Ding und fand ihm einen närrischen Titel:
„Ueberbrettl“ Wolzogen. der Begründer selbst, hat sich
über den Fall geäußert: „Es gibt Ueberzieher, Ueber¬
*
beine, Uebermenschen,“ sagte er. „Folglich kann es auchRinge
„Ueberbret““ geben.“ Wenn man ein auf deutschen Uni= Politik, Literat