II, Theaterstücke 4, (Anatol, 4), Episode, Seite 25

isode
4.4. Ep. box 7/7
Telephon 12.801.

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„ODOENVEN
l. österr. behördl. konz. Unternehmen für Zeitungs-Ausschnltte
Wien, I., Concordiaplatz 4.
Vertretungen
In Berlin, Budapest, Chicago, Christiania, Genf, Kopes¬
hagen, London, Madrid, Mailand, Minneapolis, New-York,
Paris, Rom, San Francisco, Stockholm, St. Petersburg.
(Guellenengabe ohne Gewühr).
Ausschnitt aus g#
vom:
annfurter Zoitung
22. FEB. 1310

1 n Einakter=Abend in Frankfurt.I Das Menu,
das die Freie Literarische Gesellschaft in
Frankfurt gestern ihren Mitgliedern und Freunden vor¬
setzte, wies drei Gänge auf: eine leichte Vorspeise „Epi¬
sode" von Artutz
er, eine schwere Schüssel
„Arme kleine ##ans Müller und als
Nachtisch eine süße warme Eisbombe „Der Unver¬
schämte“ von Raoul Auernheimer. Alle drei Gerichte
auf Wiener Art zubereitet und von Mitgliedern des Frank¬
furter Schauspielhauses serviert. Das Mahl schien den Ge¬
ladenen trefflich zu bekommen, es muß aber gesagt werden,
daß uns die zweite Nummer einige Verdauungsbeschwerden
verursachte. Hans Müller hat sicherlich einen Blick für das
Bühnenwirksame, aber er geht doch gar zu grob ins Zeug.
Er schildert einen Komponisten und gewerbsmäßigen Verfüh¬
rer. Eine verlassene Geliebte verschafft sich unter falschem
Namen Zutritt zu ihm, macht ihm eine Szene, will ihn tot¬
schießen. Der Mann im Samtrock droht in seiner Angst vor
Skandal und gefährdetem Familienglück mit der Polizei und
entfernt sich nach dieser Richtung. Inzwischen kehrt die legi¬
time Gattin mit dem blondgelockten Knaben und dem Weib¬##
nachtsbaum heim, und zwischen den beiden Damen entwickelt
sich nun ein nicht übel ersonnener Auftritt. Die junge Frau
wittert Unheil, aber es kommt doch nur zu einem Wölkchen,
nicht zu einer Katastrophe, denn die Verlassene wird weich,
beschließt, den holden Traum nicht zu zerstören, und geht von
dannen, so daß der zurückkehrende Geigen= und Lebensvirtuose
sein trautes Heim behalten darf. Man sieht: es wird hier
viel Elektrizität aufgeserichert und entladen. Leider genägt
das nicht zur Erzielung künstlerischer Eindrücke. Die harten
Linien der Geschehnisse machen uns Unbehagen — obwohl wir
zugeben, daß ernste Einakter, die ja fast immer komprimierte
Dreiakter sind, zu einer Art von Telegrammstil zwingen —
aber außerdem wehrt sich der Mensch in uns. Wir wollen
es einfach gar nicht erleben, daß der eitle, hämische, brutale
Schuft so triumphierend obenauf bleibt, und der Dichter, der
uns anderes zumutet, wird stets auf Widerspruch gefaßt sein
müssen. Allzumal sind wir Sünder, gewiß, aber so weit kamen
wir noch nicht, Erquickung zu verspüren, wenn eine Prämie
auf die Ruchlosigkeit ausgesetzt wurde. Ja, der Ruchlose im
Freskenstil, der wie das Schicksal selber daherschreitet und mit
der Gewalt eines entbundenen Elementes vernichtet, den
ließen wir uns gefallen, denn Größe in der Fürchterlichkeit
kann erschauern machen, aber ein durch und durch nichts¬
nutziges Nur=Männchen, und wenn es auch eine Sonate kom¬
poniert, das soll der Teufel holen! Gespielt wurde das Melo¬
dram ganz brillant. Herr Hellmer überraschte durch die
treffliche Maske und durch den reichen Tonwechsel, den er für
den Komödianten aufbrachte, Frau Ilm als Verlassene zeigte
sich sehr stark im Ausdruck der Gemütsbewegungen, die diese
Frau erschüttern, und Frl. Sangora gab der jungen Frau
das Unsichere und Ahnungsvolle, das ihr eigen sein muß. In
Schnitzlers witzig=bitterer „Episode, aus dem bekannten
Einakter=Zyklus „Anatol“ spielte die gleiche Künstlerin die
hübsche, ihr gut liegende Partie der Zirkusdame Bianca, Herr
Hellmer den Anatol (zu wenig wienerisch, wie wir meinen)
und Herr Reimann, sicher und mit behaglichem Humor,
den Max. Auernheimers „Der Unverschämte, aus
den Zwischenspielen „Die Dame mit der Maske“ war für
Frankfurt gleichfalls eine Neuheit. Der Einakter zeigt den
graziösen Plauderer in glänzendster Form. Ueber die Frauen
erfährt man aus dieser Szene mehr als aus manchem dicken
Buch. Leider auch über die Männer. Sie sind so treuherzig
zu glauben, daß eine Frau treu sei, wenn sie so schlau ist, dem
Gatten die Liebesbriefe zu zeigen, die sie bekommt. In dem
in Rede stehenden Fall empfängt der Mann den Ebe=Ein¬
bruchslustigen, macht ihm in einer sehr elegant geführten:
Szene lächerlich und laßt ihn dann mit der kleinen Frau
allein. Der Liebhaber fühlt sich nun zur Reserve verpflichtet,
Frau Selma aber gelüstet es mit dem Feuer zu spielen, und
sie verliert die Partie erst, als der Anbeter erfährt, daß er
vielleicht nicht der Einzige ist. Das im feinsten Filigran ge¬
arbeitete Werkchen, in dem die Pointen nur so hin= und her¬
fliegen, entzückte die Hörer und wurde von Frau Ilm (die
alle verführerische Gefährlichkeit einer Salonschlange entfal¬
tete) und den Herren Reimann (der Gatte) und Herrn Hell¬
mer (Liebhaber) dargestellt. Das Frankfurter Schauspiel¬
haus könnte es getrost wagen, dieses feine Kapitel Ehe=Arith¬
metik seinem Spielplan einzufügen. Gut einstudiert ist es
schon. — ck.