isode
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4.4.
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1 aus
Gischer Volksbone, car
254PR 1913
Gaclen
Bühne, Kunst und Schrifttüm¬
Zwei gläuzende Bühnenabende. Im Trubel
anderer Geschehnisse verwechselte der Kritikaster
die Spielfolgen der beiden jüngst gegebenen Vor¬
stellungen und trat Sonnabend mit der Absicht
ins Bühnenhaus, den Abend des „Fräulein Julie“
zu besuchen. Seine Meinung wurde durch die
Anwesenheit einer zahlreichen glänzenden Gesell¬
schaft noch bestärkt. Bald genug wurde er seines
Irrtums inne, aber in seinem Genusse nicht im
geringsten verkürzt. Vielmehr nahm er an den.
Ereignissen der Hochzeit von Valeni von Auf¬
tritt zu Auftritt mit immer stärkerer Befriedi¬
gung Anteil, weil die Darsteller ganz vergessen
ließen, daß sie nur selten in Thaliens Diensten
stehen. Das inhaltlich wenig befriedigende Stück,
ein Gemisch von altmodischer Theatralik, noch
schwerer verdaulicher Sentimentalität, über¬
moderner Schürzungen allerart und unwahr¬
scheinlicher Zufälle aus der seltsamen Stück¬
machervereinigung Ludwig Ganghofer und Marco
Brociner bietet immerhin reichlich Gelegenheit
schauspielerische Fähigkeiten zeigen zu lassen. Die
vorzügliche Inszenierung und Spielleitung Karl
Werner=Eigens gewährleistete auch eine ab¬
gerundete Vorstellung. Am natürlichsten spielten
die anmutige Pia (Baronesse Elly Fries) und
der sehnsuchtsvolle Jonel (Dr. Rich. Bernkopp)
Frl. Fritzi von Rupprecht vereinte mit einem
äußerst ausgeglichenem, verinnerlichtem Spiel in
der Rolle der Santa einen besonders klaren
Vortrag. Aus der dankbaren Rolle des Böse¬
wichts Tschuku holte Werner=Eigen alles
heraus, was zu holen war. Auch für die schwer
zu meisternden Rollen des Gutsherrn von Valeni
und des Zigeunermusikanten versicherte man sich
zweier Berufsschauspieler. Die übrigen, von den
Verfassern nicht immer gut geschauten rumänischen
Typen boten auch ihren Darstellern Gelegenheit
sich als Mitglieder einer Liebhaberbühne im
besten Lichte zu zeigen und zwar die Damen
Hanna von Rupprecht, Gusti Prager, Hermine
Eigner und die Herren Ernst Schmid, Josef
Schrottenbach, Emmerich Laschitz, Stefan Süß,
Franko Nickel, Wilhelm Luksch, Karl Schütz,
Eugen Körner und Josef Horn. Allerdings
müßte manchem gesagt werden, daß man sich
auf der Bühne nichts vergibt, wenn man augen¬
fällig wütet und weint und sich sichtlich koset
und küßt. Daß ein Publikum, schon gar wenn
es wie hier, auf die Leistungen seiner Kinder
und Verwandten mit Recht stolz sein kann, mit
Beisall und Blumen nicht kargte, ist selbstver¬
ständlich. Die Vorhangzieher hatten einen schweren
Tag. — Nicht minder unzufrieden waren diese
ist, der über ihren Wankelmut siegt wie er will,
wenn dieser nur nach Nitzsches Grundsatz han¬
delt: „Wenn du zum Weibe geh'st, vergiß die
Peitsche nicht". Das Rohsinnliche des Mannes,
der sich auch der Täuschung bedient, wenn er
das Weib begehrt, bewust als Kraftmensch, un¬
bewußt als Gemütsmensch und das Leichtfertige
des Mannes, dem die Liebe nur Episode und
nicht Lebensinhalt ist, wie sie sich „nachher“ in
Gemütsrohheit beim Lakaienmenschen und Gleich¬
gültigkeit beim Herrenmenschen wandelt, hat
Strindberg, wie so oft auch in „Fräulein Julie“
dargestellt, aber immer nur um die Verwerflichkeit
des Weibes umso greller zu beleuchten. Es ist
daher ein schauspielerisch dankbares Wagnis, wenn
sich eine Frau die ethisch undankbarste Bühnen¬
gestalt aussucht um ihr Können zu zeigen. Martha
v. Schlettingen spielte glänzend mit allen Re¬
gistern dieser inhaltlich umfangreichen Rolle.
Aber auch ihr Partner, Hans Marschall stand
voll auf seinem Platze, der das Lakaienhafte am
Anfang und Schluß recht gut brachte, aber doch
besser darlegte, daß er ein Herrenmensch ist.
Frl. Else Beck machte aus der, Strindberg nicht
ganz gelungenen Figur, was aus ihr mit wenig
Aufwand zu machen ist. — Wohler fühlte sie
sich jedenfalls in der knappen Rolle des ersten
Stückes „Episode“ aus dem Anatolzyklus
Schnitzlers, worin sich die Herren Hans Mar¬
schall und Wilhelm Wilhelmy in die Ehren
des Abends teilten. Die knorrige Dichtergestalt
Strindbergs mit seinen voll augeschöpften, zu¬
packenden Figuren neben dem jubiläumsfrohen
Modepoeten Schnitzler mit seinen süßlichen,
stichelnden Nebelgestalte##n einem Abend zu
genießen, ist ein geteiltes Vergnügen, wenn auch
beide das Liebes=Thema behandeln, oder eben
darum.
Lambert.
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— —
1 aus
Gischer Volksbone, car
254PR 1913
Gaclen
Bühne, Kunst und Schrifttüm¬
Zwei gläuzende Bühnenabende. Im Trubel
anderer Geschehnisse verwechselte der Kritikaster
die Spielfolgen der beiden jüngst gegebenen Vor¬
stellungen und trat Sonnabend mit der Absicht
ins Bühnenhaus, den Abend des „Fräulein Julie“
zu besuchen. Seine Meinung wurde durch die
Anwesenheit einer zahlreichen glänzenden Gesell¬
schaft noch bestärkt. Bald genug wurde er seines
Irrtums inne, aber in seinem Genusse nicht im
geringsten verkürzt. Vielmehr nahm er an den.
Ereignissen der Hochzeit von Valeni von Auf¬
tritt zu Auftritt mit immer stärkerer Befriedi¬
gung Anteil, weil die Darsteller ganz vergessen
ließen, daß sie nur selten in Thaliens Diensten
stehen. Das inhaltlich wenig befriedigende Stück,
ein Gemisch von altmodischer Theatralik, noch
schwerer verdaulicher Sentimentalität, über¬
moderner Schürzungen allerart und unwahr¬
scheinlicher Zufälle aus der seltsamen Stück¬
machervereinigung Ludwig Ganghofer und Marco
Brociner bietet immerhin reichlich Gelegenheit
schauspielerische Fähigkeiten zeigen zu lassen. Die
vorzügliche Inszenierung und Spielleitung Karl
Werner=Eigens gewährleistete auch eine ab¬
gerundete Vorstellung. Am natürlichsten spielten
die anmutige Pia (Baronesse Elly Fries) und
der sehnsuchtsvolle Jonel (Dr. Rich. Bernkopp)
Frl. Fritzi von Rupprecht vereinte mit einem
äußerst ausgeglichenem, verinnerlichtem Spiel in
der Rolle der Santa einen besonders klaren
Vortrag. Aus der dankbaren Rolle des Böse¬
wichts Tschuku holte Werner=Eigen alles
heraus, was zu holen war. Auch für die schwer
zu meisternden Rollen des Gutsherrn von Valeni
und des Zigeunermusikanten versicherte man sich
zweier Berufsschauspieler. Die übrigen, von den
Verfassern nicht immer gut geschauten rumänischen
Typen boten auch ihren Darstellern Gelegenheit
sich als Mitglieder einer Liebhaberbühne im
besten Lichte zu zeigen und zwar die Damen
Hanna von Rupprecht, Gusti Prager, Hermine
Eigner und die Herren Ernst Schmid, Josef
Schrottenbach, Emmerich Laschitz, Stefan Süß,
Franko Nickel, Wilhelm Luksch, Karl Schütz,
Eugen Körner und Josef Horn. Allerdings
müßte manchem gesagt werden, daß man sich
auf der Bühne nichts vergibt, wenn man augen¬
fällig wütet und weint und sich sichtlich koset
und küßt. Daß ein Publikum, schon gar wenn
es wie hier, auf die Leistungen seiner Kinder
und Verwandten mit Recht stolz sein kann, mit
Beisall und Blumen nicht kargte, ist selbstver¬
ständlich. Die Vorhangzieher hatten einen schweren
Tag. — Nicht minder unzufrieden waren diese
ist, der über ihren Wankelmut siegt wie er will,
wenn dieser nur nach Nitzsches Grundsatz han¬
delt: „Wenn du zum Weibe geh'st, vergiß die
Peitsche nicht". Das Rohsinnliche des Mannes,
der sich auch der Täuschung bedient, wenn er
das Weib begehrt, bewust als Kraftmensch, un¬
bewußt als Gemütsmensch und das Leichtfertige
des Mannes, dem die Liebe nur Episode und
nicht Lebensinhalt ist, wie sie sich „nachher“ in
Gemütsrohheit beim Lakaienmenschen und Gleich¬
gültigkeit beim Herrenmenschen wandelt, hat
Strindberg, wie so oft auch in „Fräulein Julie“
dargestellt, aber immer nur um die Verwerflichkeit
des Weibes umso greller zu beleuchten. Es ist
daher ein schauspielerisch dankbares Wagnis, wenn
sich eine Frau die ethisch undankbarste Bühnen¬
gestalt aussucht um ihr Können zu zeigen. Martha
v. Schlettingen spielte glänzend mit allen Re¬
gistern dieser inhaltlich umfangreichen Rolle.
Aber auch ihr Partner, Hans Marschall stand
voll auf seinem Platze, der das Lakaienhafte am
Anfang und Schluß recht gut brachte, aber doch
besser darlegte, daß er ein Herrenmensch ist.
Frl. Else Beck machte aus der, Strindberg nicht
ganz gelungenen Figur, was aus ihr mit wenig
Aufwand zu machen ist. — Wohler fühlte sie
sich jedenfalls in der knappen Rolle des ersten
Stückes „Episode“ aus dem Anatolzyklus
Schnitzlers, worin sich die Herren Hans Mar¬
schall und Wilhelm Wilhelmy in die Ehren
des Abends teilten. Die knorrige Dichtergestalt
Strindbergs mit seinen voll augeschöpften, zu¬
packenden Figuren neben dem jubiläumsfrohen
Modepoeten Schnitzler mit seinen süßlichen,
stichelnden Nebelgestalte##n einem Abend zu
genießen, ist ein geteiltes Vergnügen, wenn auch
beide das Liebes=Thema behandeln, oder eben
darum.
Lambert.