II, Theaterstücke 3, Das Märchen. Schauspiel in drei Aufzügen, Seite 13

e rgte wrns
sind.“ — „Ueber was sind wir noch nicht hinaus?“ — „Und dies
Thema?“
„Das der Gefallenen.“
„Sie wird für ewig die

Gefallene bleiben!“ — Der Held ist anderer Meinung. „So:
ruft er. „Und wir Männer, die wir unsere Liebe oder was wir
dafür ausgeben, hundertmal verschwendeten; wir, die wir feile!
Dirnen im Rausch umarmten; wir, die wir Weiber um einer
flüchtigen Stunde willen für ewig betrogen; wir, die wir die ge¬
meinsten Wüstlinge oder die feurigsten Liebhaber waren, wir haben
nun einmal das ####t, jenes Weib zu verstoßen, weil es die
Kühnheit gehabt, zu lieben, bevor wir erschienen? Nein, wir haben
das Recht nicht, Unnatürliches zu fordern — ein Weib zu ver¬
achten, weil es gewagt, zu lieben, bevor wir um ihre Liebe warben
ja, ein Weib, für das wir weiter gar nichts empfinden, ein¬
fach aus der Gesellschaft unserer Mütter und Schwestern auszu¬
schließen, sie hinabzustoßen und sie zu verderben, um sie dann eine
Verlorene zu nennen! Es ist nicht nur dumm, es ist grausam. Und
es ist Zeit, daß wir es aus der Welt schaffen, dieses Märchen
von den Gefallenen! Wir müssen aufhören, sie zu peinigen und
ihnen zu sagen, daß sie anders sind wie die Anderen! ... Wir
dürfen ihnen nicht zurufen: Büßt, büßt, denn ihr habt schwer
gesündigt! Wir müssen ihnen die nagende Reue von der Seele
nehmen, die ihnen nichts nützt, uns nichts nützt und sie nur elend
macht! ... Das kann die Natur nicht gewollt haben, daß die
Frauen entehrt sein sollen, welche geliebt haben!“
— Diese Ver¬
theidigung übt eine tiefe Wirkung auf Fanny, die junge Schau¬
spielerin, sie ergreift die Hand des Sprechers und küßt sie. Fedor
zuckt zusammen. Er fühlt, dieser Kuß barg ein doppeltes Ge¬
ständniß, Fanny liebt ihn, und sie ist eine Gefallene! Nach
dieser theatralisch geschickten Wendung fällt der Vorhang. Fedor
wird nervös. Er denkt an Fanny, und auch seine Standrede weckt
allerlei Zweifel in ihm; da tritt Fanny ein. „Man muß selber
kommen, wenn man Sie sehen will," lispelt sie. Sie legt Hut
und Schleier ab, gleich darauf ist das Liebespaar in hellen Flam¬
men eines Streites. Fedor möchte am liebsten Alles ab¬
brechen. „Sind es die alten Vorurtheile, die in mir lebendig
werden?“ Sie fleht, bittet, drängt und beschwört ihn. „Ein Mär= m
chen darf uns nicht trennen!" Da klopft es. Fanny muß sich P
flüchten. Der Besuch, den Fedor erhält, bringt ihn mit Dr. Witte,
dem früheren Liebhaber Fanny's, zusammen. Eine peinliche Stim¬
mung, die noch peinlicher wiro, da Fedor wissen will, ob dieser
he
Liebhaber der erste war, der Fanny eroberte. „Ein anständiger
de
Mann unternimmt nur bei einer Frau etwas, bei der er kein
ga
Obligo hat,“ sagt Witte Er war also nicht der erste. Endlich ist
p
Fedor allein dies
Abschen wider sich, wider Fanny,
wider alle Welt ersch
G#sopft, Fanny tritt zum zweitenmale
ein; sie ist gekommen, #n augsholen und zu den Ihren zu führen.
Er will sie zurückstoßen und
sich aufs neue angezogen.
an
du mich?“ fragt er schließsich
Du selbst bittest
n
nich
ruft Fanny, „du, di
to
seenn Herzen:) Ja,
also höre: Ich liebe dich für alle Ewigkeie
Diese Empfin¬
dungen sind nicht von Dauer. Im nächsten #
Fanny eine (2
berühmte Schauspielerin. Das Stück mit dem fatalen
K
es ist nicht das „Märchen“
hatte einen Riesenen
Fanny, welche die Hauptrolle spielte, entzückte alle We
Adel und Bürgerthum, Schauspieler und Theateragenten;
die Hofbühne von Petersburg will siegiren. Wie kann sie kla
den Contract annehmen, der sie von Fede¬
Aber dieser
los
ist durch die Schauspielkunst seiner Geliehte
#in umgewandelt,
Ki
je wahrer Fanny die Gefallene dargesteilt, desto mehr fühlt sich viel
Fedor überzeugt, daß er im ersten Acte wie ein Thor gesprochen.
Das
„Unsere Erinnerungen welken nicht, das ist das Traurige, meint
er. Fanny versteht ihn, sie unterschreibt den russischen Vertrag.
Fedor ist ein Bekehrter, er zog aus, um das Moderne zu ver¬
10
treten und er endigt wie ein Philister, als Anhänger der alten,
wege
sterbensmüden Welt, „die er kindisch verachtete und in der in
Gr
jedem Winkel die alten Ideen wieder frisch und lebendig und jung
werden". So schließt das Stück, dessen Titel nach dieser Hand¬
Te
lung wie ein garstiger Hohn klingt, dessen Vorgänge mit Stim¬
mungen spielen, die uns nicht die richtigen für eine Volksbühne
scheinen, aus dessen Sprache eine erschreckende Greisenhaftigkeit
aus
starrt. Kein Zweifel, aus mancher Seem, aus enzelnen Figuren
disi n
spricht Talent, aber wir hätten dieses lieber mit selbstständigeren
stantir
Regungen des Autors und in einem andern Rahmen wirken
Trieft
sehen. Fräulein Sandrock spielte die Schauspielerin eine
Heldin, die keine Sympathien wecken kann, nicht weil sie eine
scher
Gefallene ist, sondern weil sie wie eine Ehrlose sich durch drei
Der(
Acte mit der Variation desselben Gedankens dem dritten Manne] an ein
ihrer Wahl an den Hals — spricht. Die Künstlerin gab ihrer des L#
Rolle anfangs sehr unwillige Töne, fand aber im zweiten Acte:
verdienten Beifall. Herr Nhil secundirte ihr mit großem Fleiße,
wir glauben, Kutschera wäre der richtigere Fedor gewesen,
die Regie wies ihm einen Salontölpel zu, der beim Eintritte jedes
Mädchens zu fragen hat: „Ist hier nichts zu machen?“
Die
Aufnahme des Stückes war nach den ersten beiden Acten eine
freundliche, der Dichter wurde gerufen; während des dritten
Actes wendete sich die Stimmung zu Ungunsten des Stückes
und der Beifall am Schlusse begegnete sehr heftiger Opposition.
Im Raimund=Theater findet morgen (Samstag)
die erste Aufführung des historischen Schauspiels „Der Graf von
Hammerstein“ von A. Wilhrandt # Mostep Sea Oasunalia
box 7/2
3. Das Maerchen
er eete e ee
Deutsches Volkstheater.
„Das Märchen“. Schauspiel in drei Acten von Arthur Schnitzler.
Gewiß, es war ein sehr anzuerkennendes Unternehmen des Volks¬
theaters, einen jungen Wiener Autor zu Worte kommen zu lassen, der
sich auch schon mehrfach als ein hochbegabter erwiesen hat. Bereits in
seinen dialogisirten Novelletten, „Anatol“ (Berlin, Literarisches In¬
stitut), hat sich Arthur Schnitzler als ein Schriftsteller von nicht
Ian.
5107:
nde
2- Heist und feiner Beobachtung dargethan, der Seelenstände völlig
b #e naturalistische Terminus für psychische Stimmungen
Wir
jende
lautet — mit liebevollster, geradezu chemischer Angelegentlichkeit bis in
jedoc
ihre mindesten Ursächlichkeiten bloszulegen und darzustellen weiß, nament¬
reich
einer
lich wenn diese Stimmungen dem sexuellen Verhältnisse zwischen Mann
Gro
Man
und Frau entspringen. Die literarische Analyse dieser mannigfachen Auf¬
Erse
gelegtheiten und Aufgeregtheiten, die gemüthliche und physikalische Moti¬
Re¬
ftlich
virung der Consequenzen dieser Zustände und deren Beleuchtung durch
De
dem
die Fackel allermodernster Anschauung und Erkenntniß sind vorzügliche
Pr
zwar! Eigenthümlichkeiten der literarischen Bethätigung Arthur Schnitzlers.
sta
Lose Diese Eigenthümlichkeiten sind es aber auch, welche den hochstrebenden
setz
zures Schriftsteller auf den Charakter solcher schriftstellerischer Hervorbringungen
verweisen, die man gemeiniglich als novellistische bezeichnet Man hat
ftlich Geschmack genug, ja man möchte um Alles in der Welt nicht ... und
Sc
elben
ist doch ordentlich verdammt dazu, so man über Schnitzlers „Märchen“.
sein
ein Urtheil abgeben muß, den in diesen Tagen zu Schanden gestampsten
W
Gemeinplatz zu gebrauchen: Das ist alles novellistisch, aber nicht dra¬
n ist
be
matisch. Das sind des feinsten Geistes volle Auseinandersetzungen — die
bel
zwischen Fanny und Fedor und zwischen Fedor und Mildner und zwischen
breise
Dr. Witte und Fedor — die man mit ungemeiner Anregung lesen und
sich darüber in seine eigenen Stimmungen und Gedanken einspinnen
Ha
möchte, denen aber von der Bühne herunter die richtige Wirkung versagt
e cs
un
ist. Man ist darüber seit Jahrtausenden nicht hinausgekommen und wird
Ne
oder
wohl auch nie darüber hinauskommen, daß der Lebensnerv eines jeden
fac
an
Dramas in der Handlung und einzig und allein in der Handlung zu
bu
oder
suchen und zu finden ist. Das Stück Schnitzler's ist aber der Handlung,
Fe
wie sie landläufig verstanden wird, völlig bar. Es rückt nur von einer
chten
Stimmung zur andern, die uns nicht anders als durch Worte, aller¬
96
im
dings oft geistreiche und tiefsinnige, vermittelt wird, und findet zum
Lest
inim
Schlusse keinen Schluß. Ja, wir theilen nicht einmal die Stim¬
istz
ehen,
mung der Stimmung. Wir sind bei Schnitzler's Stück zu wenig
in Mitleidenschaft gezogen, um mitempfinden, um mitgestimmt sein zu
sei
können. Die geringe Fabel, die er aus dem Allgemeinen schöpft, wird
an
eine specialisirte. Es verflackert das Typische und das rein Individuelle
tritt an seine Stelle. Es ist eine allgemeine Frage: ob eine Gefallene
und
wieder erhoben werden könne. Es ist aber doch durchaus gleichgiltig, ob
ger
Herr Fedor Denner in seinem, nicht einmal so zutreffend gewählten
„D
Falle, diese Ueberzeugung gewinnt oder nicht. Man ist wieder zu einem
lese“
Gemeinplatz gezwungen und der lautet: Das hat er schließlich mit sich
Nas
el in selber auszumachen. Da unten im Parterre und da oben auf den Galerien
sich
saßen sehr Viele, die darüber hinausgekommen sind und sehr ##ele, die
Nie
darüber nicht hinausgekommen sind. Diese Frage läßt sich nicht generali¬
der
ndt's siren, sie ist und bleibt eine rein individuelle und darum ist sie einer
dramatischen Behandlung nicht fähig. Und hätte Schnitzler selbst eine
ließ.
sich
Handlung für sein Stück erfunden, sie würde sich um seine erst affirmative
lese
iegs¬
dann negirende These nur äußerlich ranken können Oder: er hätte ge¬
zug
rung
zeigt, daß diese Fanny nach der dritten Entjungferung keine mehr zu
sche
überstehen hat, oder: daß nach der dritten noch ein halbes Dutzend folgt
und dann die ganze Stadt.. in beiden Fällen wäre wieder nichts
alisch
ma
quod erat demonstrandum, es wäre nicht bewiesen, ob eine Gefallene
dur
Vor¬
fallen zu lassen, ob sie zu erheben sei. Das ist immer und immer ein
da
individueller Casus.
Sdh
und
Arthur Schnitzler documentirte in seinem Stücke gleichwohl
stüc
eminente Fähigkeiten. Die Charakterisirung seiner Gestalten ist vielfach
iösen
eine ebenso plausible als dem Bühnengebrauch zuthunliche — das Letztere
ichen
wird ihn kränken, es ist aber Thatsache. Die Art, wie er seine Leute
ven
sich
reden läßt, ist ein Kunstwerk an sich. Sie sprechen so, wie sie sprechen
und
Troß
müssen und wie sie im Leben sprechen würden. Und eines vor Allem
Sic
kann er: eine Atmosphäre schaffen, die Luft mit all' ihren Ingredienzien,
Ma
ch in
in der diese Leute athmen, die so denken und so thun; das war diesmal
war
man
die echt wienerische Luft jener wienerischen Welt, die nicht zur beau
Kuf
gut
monde gehört und doch noch nicht demi monde ist. Das Publikum an¬
nden
erkannte diese nicht alltäglichen Talente und ehrte den Verfasser durch
mehrfache Hervorrufe und durch eine seh achtungsvolle Aufnahme seines
jubel
Werkes. Die zum Theile sehr gute Darsteuung wurde in hervorragender
ung,
Weise durch Frl. Sandrock, in löblicher durch Herrn Nhil und in
erheiternder durch das höchst anmuthige Frl. Bock und die Herren
Ei
Giampietro, Kutschera und Tewele besorgt. Man würde
hat
unrecht thun, wollte man nicht auch die Herren Eppens, Meixner,
daß
Weisse und die Damen Berg und Trenk als verdienstliche Inter¬
der
preten ihrer minderen Rollen neunen.
un
7
Carltheater.
urch¬