II, Theaterstücke 3, Das Märchen. Schauspiel in drei Aufzügen, Seite 29

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Das Maerchen
3. Das Hasrenen
ANAZ
Dramatische Werke.
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Ob es schließlich nöthig war, E. Gerard's Roman:
Papiere gefunden hat. Als Roman diese Nachricht er¬
„Eine geheime Sendung“ (Nr. 5) aus dem Englischen
halten und sich von dem Unglück, das diese Maßregelung
ins Deutsche zu übertragen, das will uns höchst zweifel¬
in dem sonst so friedlichen Hause seines Bruders ange¬
haft erscheinen. Wir sind gewiß am wenigsten Gegner
richtet hat, mit eigenen Augen überzeugt hat, erfaßt ihn
von Uebersetzungen aus fremden Literaturen, aber wir
die Reue und Verzweiflung. Er glaubt nie wieder glück¬
meinen, daß sie nur berechtigt sind, wenn durch sie be¬
lich werden zu können und verzichtet auf die Ehren, die
deutende Erscheinungen von ausgesprochener Eigenart
ihm seine so geschickt durchgeführte Mission in reichem
einem größern Kreise deutscher Leser zugänglich gemacht
Maße einträgt, und auf die Ehe mit der Gräfin, um
wird. Als eine solche aber können wir Gerard's Roman
sich selbst den russischen Gerichten zu stellen und dadurch
nicht ansehen, wenn wir auch zugeben, daß er nicht unter
die Freilassung seines Bruders zu erwirken.
dem heutigen Durchschnittsmaß einer Erzählung für unsere
Diese kurze Wiedergabe des Gauges der Erzählung
Familienblätter zurückbleibt. Gerard's Held ist ein pol¬
muß genügen, uns zu zeigen, daß der Roman nicht übel
nischer Offizier in preußischen Diensten, der den Auftrag
erfunden ist. Als ein weiterer Vorzug ist noch hinzuzu¬
erhält, die Stellungen und Stärke der russischen Truppen
fügen, daß die Schilderung der Zustände in dem Haus
an der deutschen Grenze auszukundschaften. Um diese ge¬
und Hof Felicyan Starowolski's ganz vortrefflich ist, weil
heime Sendung möglichst wenig auffällig ausführen zu
sie uns einen interessanten Einblick in das Leben und
können, lebt er eine Zeit lang auf dem Lande bei seinem
Treiben der kleinen polnischen Edelleute gewährt. Dement¬
Bruder, der in der Nähe der deutschen Grenze in russisch
sprechend erscheinen uns auch die Bewohner dieses Hauses,
Polen ein bescheidenes Landgut besitzt. Felicyan Staro¬
sowohl Felicyan Starowolski selbst, als seine Frau Halo
wolski, so heißt dieser Gutsbesitzer, ist aber ein viel zu
und seine Schwägerin Luba, die eine stille Liebe zu Ro¬
beschränkter Mann und dabei viel zu ängstlich, um seinem
man in dem Herzen trägt, nicht minder der alte kindisch
gewordene Schwiegervater Starowolski, dessen größte Leiden¬
seinen Plänen gewähren zu können. Roman Starowolski
schaft es ist, Fliegen zu tödten, als eigenthümlich ge¬
muß sich also nach einem andern Bundesgenossen um¬
arkete Charaktere, die so scharf und bestimmt gezeichnet
sehen. Er findet ihn in der Person der Gräfin Biruta
sind, wie wir es von den Figuren in den Werken der
modernen russischen Erzähler gewöhnt sind. Dagegen fehlt
Massalowska, einer ebenso schönen, als leidenschaftlichen
und ehrgeizigen Dame, die von dem Wunsche, eine poli¬
nicht nur der Gestalt Roman's, sondern auch der der
Gräfin jede Spur von Originalität; beide sind Figuren
tische Rolle zu spielen, geleitet, auf Roman's Abenteuer
nach bekannten Mustern, und obwol Gerard menigstens¬
eingeht-und den General Bassilief, der als ein eitler, alter
Geck und Frauenjäger geschildert wird, den Mobilmachungs¬
bei der Gräfin den Versuch gemacht hat, sie als ein
plan der russischen Armee durch die Künste ihrer Koketterie
excentrisches Wesen hinzustellen, so ist er doch dabei über
eine Charakterisirung durch belanglose Aeußerlichkeiten nicht
zu entlocken weiß. Indessen erscheint das Benehmen Ro¬
hinausgekommen. Dieser Mangel thut dem Werth seiner
man's den russischen Behörden verdächtig, er wird als
preußischer Spion verhaftet, nach Verlauf von mehrern
Arbeit bedeutenden Eintrag und stellt ihn trotz der er¬
Wochen aus Mangel an Beweisen aber wieder entlassen, wäh¬
wähnten Vorzüge auf die schon oben angedeutete, nicht
rend sein Bruder Felicyan in die Verbannung nc Si¬
eben hohe Stufe eines leidlichen Familienromans.
birien geschickt wird, weil man in seinem Hausee von
H. A. Lier.
der Gräfin entwendeten und von Roman dort versteckten
Dramatische Werke.
1. Das Märchen. Schauspiel in drei Aufzügen von Arthur
ungestüme Pracht der Welt an Farben und an Klängen
Schnitzler. Dresden, E. Pierson's Verlag. 1894. 8. 1 M.
ist ihm versagt. Er weiß immer nur einen einzigen
50 Pf.
Menschen, ja nur ein einziges Gefühl zu gestalten. Aber
dieser Gestalt gibt er Vollkommenheit, Vollendung. Mit
Arthur Schnitzler ist ein großer Virtnose, aber sein
Vorliebe behandelt Schnitzler, der zum sogenannten Jungen
Talent ist von kleinem Umfang. Schnitzler muß sparen,
sagt Hermann Bahr von ihm in seinen Studien zur Kritik
Oesterreich gezählt wird, den österreichischen Lebemann
und das bunte Leben in Wien. Auch sein neuestes Schau¬
der Moderne, denn er hat wenig. So will er es denn
spiel „Das Märchen“ spielt in wiener Kreisen, diesmal
mit der zärtlichsten Sorge, mit erfinderischer Mühe schleifen,
bis das Geringe durch seine unermüdliche Kunst Adel und
von kleinbürgerlichem Zuschnitt. Sein Thema ist das
Würde verdient. Was Schnitzler bringt, ist nichtig. Aber
Märchen von den Gefallenen, von jenem Ereigniß, über
das nach Hebbel's Ausdruck kein Mann hinweg kann. Ein
wie er es bringt, darf gelten. Die großen Züge der Zei¬
Leidenschaften, Stürme, Erschütterungen der Menschen, die junger ernster Schriftsteller liebt eine Schauspielerin, die