II, Theaterstücke 3, Das Märchen. Schauspiel in drei Aufzügen, Seite 31

3. Das Maerchen
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Die Zukunft.
Ein Märchen.
s war schon lange in den Köpfen der Menschen. Aber früher führte es
da gewissermaßen ein verschämtes Dasein. Es war eins jener ver¬
schwiegenen Märchen, die gelobt, aber nicht gern erörtert wurden. Die älteren
Dichter knabberten wohl daran herum, bissen aber nicht recht mit ihren idea¬
listischen Zähnen zu, denn Das hätte nicht dem Märchen, aber den Zähnen
recht übel bekommen können. Und so blühte es weiter wie ein Veilchen und
duftete im Verborgenen.
Und darüber änderten sich die Zeiten.
Jetzt steht es schon seit einer Weile am Horizont wie ein Gewitter, das weder
aufziehen noch abziehen mag. Viele Menschen können nicht mehr darunten
athmen und viele Gehirne sind darüber wild geworden. Uns Frauen hat man
es von verschiedenen Seiten gründlich vorgepredigt und uns alle Individualität
und was dazu gehört abgesprochen, wenn wir nicht daran glauben wollten.
Es ist das Märchen von der freien Liebe.
Es zog mit dem gesammten Problemgewitter erst über den Norden. Da
brach es los mit Blitzen und Krachen und es regnete eine Sintfluth bedruckten
Papiers. In jedem Buch, das damals erschien, fiel wenigstens ein Mädchen;
keineswegs eins von den Mädchen, die vom Schicksal dazu ausersehen scheinen,
sondern wohlerzogene Töchter aus anständigen Familien fielen massenweise.
Es wurde eine Spezialität in der Dichtung, sie zu Fall zu bringen; sie fielen
beim ersten Abendessen, sie fielen auf den ersten Blick. Die gesammelten
Dramen Eduards Brandes könnte man auch gesammelte Fälle nennen; viele
Dichter im Norden eiferten ihm nach, keiner kam ihm barin gleich. Aber er
nahm die Sache noch zu sehr als Epikuräer; es war nicht der richtige sittliche
Ernst dabei. Diesen strengen Ernst des Moralisten brachte Garborg hinein.
Er begnügte sich nicht mit dem Einzelnfall. Er begründete die Nothwendigkeit,
Zuträglichkeit und Unvermeidlichkeit des „Falls“ theoretisch ind philosophisch
in einem eigenen Buch, „Mannsleute“, das er mit frommem Fleiß über dieser
Problemfrage aufbaute wie eine Kapelle über einem Heiligenschrein. Wer
nicht gefallen war, ging herum und schämte sich. Es war damals wirklich un¬
angenehm, ein Weib ohne „Vergangenheit“ zu sein.
Aber die Wasser verliefen sich. Die freien Liebelisten heiratheten ihre
Verhältnisse — ob gern, ob ungern, Das ging ja Keinen was an, obgleich
Garborg sich stark für die zweite Auffassung aussprach — und die schlechte Ge¬
sellschaftordnung triumphirte einmal wieder. Wie aber die Sache im Norden
schon ziemlich aus der Mode war, da kam sie als etwas ganz Neues nach
Deutschland. Hier wuchs sie eigentlich auf einem anderen Stengel. Es war der
Sozialismus, der sie als seine poetischeste Blüthe emporgetrieben hatte, und
die jungen Dichter, die sich dieser polizeiwidrigen Frage widmeten, hatten alle
ihre sozialistische Lehrzeit durchgemacht. Sie waren nicht wie jene nordischen
Sensualisten, die gewaltsam ausbrachen gleich feuerspeienden Bergen. Unter dem
Schnee von Island giebt es Vulkane, aber nicht unter dem Sande der Mark.
Die Jungdeutschen nahmen die Sache als nüchterne junge Männer ganz
nüchtern und trocken und einfach vernünftig. Sie stellten das anstößige Moment
des größeren Vergnügens gar nicht so in den Vordergrund, sie hielten sich
mehr an das auch sympathischere Moment der größeren Ersparnisse. Es waren